Peter Westenthaler im Interview: „Die Zelle war beklemmend“
Von Ida Metzger
KURIER: Herr Westenthaler, vor Ihrem Haftantritt sagten Sie, Sie fühlen keine Angst, aber ein Unbehagen. Sie haben eine Woche im geschlossenen Vollzug, dann im lockeren Vollzug und die letzten vier Wochen mit der Fußfessel absolvieren müssen. War die Haft weniger schlimm als befürchtet?
Peter Westenthaler: Ich habe das Unbehagen zu Recht verspürt. Was man im Gefängnis erlebt, ist weit entfernt von allem, was man sich je vorstellt. Es ist die Hölle, die man hier durchschreitet. Bei mir dauerte der geschlossene Vollzug, also das echte Gefängnis, nur ein paar Tage. Darüber bin ich froh. Länger hätte ich dieses Haftübel nicht ertragen.
Warum empfanden Sie es als Hölle?
Das erste, was mir aufgetragen wurde, war: „Ziehen Sie alles aus. Ihre Kleidung wird konfisziert, weil wir Ungeziefer in der Anstalt haben.“ Da fragte ich nach: „Welches Ungeziefer denn?“ Als Antwort erhielt ich: „Alles was Sie sich so vorstellen können. Bettwanzen, Flöhe, Läuse.“ Ich erhielt dann eine Anstaltskleidung: Blaue Hose, weißes T-Shirt, eine Feinrippunterhose. Das kann man noch mit einem Schmunzeln sehen. Weniger zum Schmunzeln fand ich, dass mir meine acht Bücher, die ich lesen wollte, gesetzeswidrig und grundlos weggenommen wurden. Unfrei zu sein und unter ständiger Kontrolle ist an sich schon Hölle.
Wie erlebten Sie die ersten Stunden in der Zelle?
Die Zelle ist sieben Quadratmeter groß. Vorne eine blaue Stahltür mit mehreren Schlössern, hinten ein doppelt vergittertes Fenster. Als ich die Zelle zum ersten Mal betrat, war es knapp vor 16 Uhr. Zu diesem Zeitpunkt bekommst du das Abendessen: Eine Scheibe Brot, Liptaueraufstrich und Leitungswasser. Mineralwasser ist in der Justizanstalt Simmering verboten. Dann hört man noch: „Gute Nacht“. Es knallt die Tür zu, die Schlösser werden versperrt und man ist in Haft bei Wasser und Brot. Von 16 Uhr bis sieben Uhr in der Früh ist die Tür verschlossen. Das ist beklemmend und eine ernste Situation. Diese Beklemmung in der kleinen Zelle, der kurze Zellenausgang von maximal 90 Minuten pro Tag, teils schwere Jungs, auf die man dort trifft. Das alles ist die Hölle. Viele sind auch drogensüchtig. Man erlebt Schlägereien. Wirklich schlimm ist die Infrastruktur in Simmering: Im Freigängertrakt gibt es kein dichtes Fenster, es zieht, viele Häftlinge sind deswegen krank. In den Sanitäranlagen gibt es schwarzen Schimmel – schwerst gesundheitsgefährdend. Das habe ich im Labor testen lassen. Aber Hut ab vor den Justizbeamten, was die täglich leisten. Denn Humorvolles erlebt man dort eher selten.
Was ist denn im Knast humorvoll?
Ein Mal war ich beim Arzt. Neben mir saß ein sehr ermüdeter junger Mann. Ich fragte ihn, warum er müde sei? Er antwortete: „Ich komme gerade von meiner Flucht, die schief gegangen ist.“ Er gab mir Tipps für die Flucht. Beispielsweise soll man nichts aus der Haftanstalt mitnehmen: keine Bettwäsche, keinen Schlüssel, kein Handtuch. Denn wenn du etwas mitnimmst, begehst du Diebstahl, bekommst ein neues Verfahren und eine Haftverlängerung. Flüchtet man ohne etwas mitgehen zu lassen, dann gibt es nur ein Disziplinarverfahren (lacht). Mittlerweile weiß ich, dass öfter Häftlinge flüchten, als man aus den Medien erfährt.
Wie haben Sie die vielen Stunden mit sich alleine genutzt? Peter Hochegger erzählte mir, dass es eine gute Zeit für ihn war, das Leben zu analysieren ...
Da flunkert er. Das stimmt nicht. Das stellt man sich so romantisch vor. Jetzt bin ich eingesperrt, alleine, lasse mein Leben Revue passieren und werde ein besserer Mensch. Papperlapapp! Sie sitzen dort und fragen sich: Warum bin ich da? Vielleicht ist das der Unterschied zu Peter Hochegger, der ja seine Strafen und Taten anerkennt. Ich war dort wegen eines krassen Fehlurteils.
Also weiterhin keine Reue?
Warum auch? Ich wurde wegen Betrugs verurteilt. Es gab aber absolut keine persönliche Bereicherung, keinen Schaden, auch wurde niemand geschädigt oder getäuscht. Alle Säulen für die Verurteilung fehlen. Deswegen wurde ich in erster Instanz freigesprochen. Dann wurde das Urteil politisch umgedreht, und es gab die Verurteilung. Eine Neuaufnahme ist schwer zu erreichen, darum erwägen wir, vor dem Europäischen Gerichtshof die eindeutige Befangenheit meiner Richterin Marion Hohenecker zu thematisieren. Mir wurde von vielen Europarechtsexperten erklärt, dass das Sensorium für Befangenheit beim EuGH viel größer als in Österreich ist. Ich werde keine Ruhe geben.
Marion Hohenecker ist auch die Richterin von Ihren ehemaligen Parteifreunden Karl-Heinz Grasser und Walter Meischberger. Was raten Sie beiden im Umgang mit der Richterin?
Die beiden können nur auf die zweite Instanz hoffen. Das inszenierte, peinliche Wackelgeständnis von Peter Hochegger soll offenbar als Schuhlöffel für eine Verurteilung herhalten. Das wurde wahrscheinlich so mit ihm paktiert – und vor allem dieser Richterin genügt das. Hohenecker macht jetzt noch ein Jahr Schauprozess, wo sie penibelst darauf achten wird, dass sie sehr freundlich, bestimmt und korrekt ist, damit man ihr keinen Verfahrensfehler vorwerfen kann und dann ist ein entsetzliches, sachlich aber nicht gerechtes Urteil von Ihr zu befürchten.
Sie haben Schwarz-Blau erlebt. Bei sämtlichen Umfragen schießt derzeit die ÖVP in die Höhe auf 33 bis 34 Prozent. Die FPÖ fällt hingegen auf 23 bis 25 Prozent ab. Wie lange wird die Harmonie halten?
Die Harmonie ist fast ein biblisches Gesetz. Selbst die Rücktrittsforderung vom Hans Tschürtz, was Justizminister Josef Moser betrifft, war kalkuliert. Das war ein Schuss vor den Bug. Wobei in der Person des Josef Moser aus Sicht der FPÖ offenbar der meiste Zündstoff liegt, aber er wird nicht reichen, um die Koalition zu sprengen. Moser muss als Justizminister ein Verfechter der rechtlichen Nomenklatura sein. Der engagierte Reformer kann er nur in der Verwaltung sein. Außerdem wird ständig kolportiert, dass er amtsmüde sei. Sollte das stimmen, könnte es nach der EU-Wahl eine größere Regierungsumbildung im VP-Team geben.
Ist Moser den Blauen ein Dorn im Auge, weil er früher FPÖ-Mitglied war?
Das wird ihm in der FPÖ spürbar sehr krumm genommen. Das ist etwas, was in Kreisen, wo Ehre, Anstand und Geradlinigkeit eine besondere Rolle spielen, nicht vergeben wird. Aber da der Streit nicht zwischen Strache und Kurz stattfindet, weil die beiden sich sehr gut verstehen, wird das keine große Rolle spielen. Ich glaube, es gab noch nie eine Regierungsspitze, wo die Harmonie so groß war. Nicht einmal bei Wolfgang Schüssel und Susanne Riess – und die waren auch ein gutes Team.
Wenn Sie Kurz/Strache und Schüssel/Riess vergleichen. Wo liegt der Unterschied?
Kurz und Strache begegnen einander immer auf Augenhöhe. Etwas was in der Zeit von Schwarz-Blau I leider nicht stattfand, uns aber viele Turbulenzen erspart hätte. Das ist besonders klug von Kurz als Kanzler und damit formell Höherem. Denn Kurz vergibt sich ja nichts. Deswegen ist innerhalb eines Jahres ein Vertrauen zwischen den beiden gewachsen.
War es ein Fehler, Herbert Kickl zum Minister zu machen?
Nein, denn er macht seine Sache gut, aber ich hätte ihn eher als Klubobmann gesehen. Er ist einer der genialsten politischen Generalisten, der alle Politfelder bearbeiten kann. Davon gibt es nicht viele. Wenn du ihn in der Nacht aufweckst, hat er zu jedem Thema eine Antwort. Als Innenminister stößt er jetzt aber auf rechtlichen Grenzen des Machbaren. Man kann halt straffällige Flüchtlinge rein rechtlich nicht so leicht abschieben. Da ist nicht viel Spielraum. Da muss neues Recht erst entstehen.
Muss man Kickl nicht bald in den Griff bekommen?
Nein, denn da steckt ja auch gute Strategie dahinter. Kickl der „Bad Guy“ und Strache der „Good Guy“. Denn Strache muss jetzt als Vizekanzler neue Wählerschichten ansprechen. Es gibt immer drei bis fünf Prozent an überzeugten Protestwähler, die aus Prinzip keine Regierungspartei wählen. Diese Prozent fehlen jetzt auch in den Umfragen. Das ist noch kein Schaden. Die Frage ist aber: Hält man das aus? Schwarz-Blau I hat 2002 deswegen der Hafer gestochen. Die aktuelle FPÖ hatte das Glück, das bei den bisherigen Landtagswahlen noch der Zauber des Neuen vorherrschte. Spannend werden die Wien- und die Steiermark-Wahl 2020. Es wird sicher schwer, in Wien an das Ergebnis von letztem Mal heranzukommen, aber die FPÖ wird trotzdem um beachtliche 25 Prozent liegen. Die Steiermark ist auch schon eine blaue Hochburg, diese Wahlen werden spannend.
Der Sündenfall
Westenthaler wurde vorgeworfen, Förderungen in der Höhe von einer Million Euro als Bundesliga-Vorstand missbräuchlich verwendet zu haben. Schwerer Betrug und Untreue lautete die Anklage. 2015 wurde Westenthaler freigesprochen. 2016 hob der OGH das Urteil auf. Nach einem neuen Prozess bekam er 24 Monate, wovon acht Monate unbedingt ausgesprochen wurden. Fünf Monate davon musste er in Haft und die letzten vier Wochen mit Fußfessel verbüßen. Jetzt arbeitet er als Verlagsleiter des rechten Magazins „Alles roger?“