Politik/Inland

Pelinka: "Kern wird durch die Befragung der Mitglieder gefesselt werden"

KURIER: Herr Professor Pelinka, weist der von der SPÖ vorgelegte Kriterienkatalog auf eine Koalitionspräferenz hin?

Anton Pelinka: Direkt und für sich selbst genommen weisen die präsentierten Kriterien auf keine Präferenz für eine bestimmte Partei hin. Aber angesichts der Ausgangslage ist der Kriterienkatalog natürlich als Öffnung zu den Freiheitlichen zu verstehen. Die FPÖ ist jetzt für die Sozialdemokraten eine Partei und ein potenzieller Regierungspartner, so wie alle anderen Parteien auch.

Ist der Kriterienkatalog mit den konkreten Bedingungen bzw. Hürden für einen Koalitionspakt ein Befreiungsschlag für SPÖ-Chef und Bundeskanzler Christian Kern?

Kern hat sich freigespielt für den Augenblick, aber er wird durch die wohl zwingend kommende Mitgliederbefragung wieder gefesselt werden. Und er wird jetzt erst recht einem innerparteilichem Druck in entgegengesetzte Richtungen ausgesetzt sein.

Ermöglichen die vorgelegten Kriterien, die beiden Lager in der SPÖ – die einen, die für eine FPÖ-Koalition sind, und die anderen, die eine solche strikt ablehnen, – zu versöhnen?

Die entscheidende Herausforderung für die Einigkeit der SPÖ wird erst in diesem Moment kommen, in dem die SPÖ mit der FPÖ eine Koalitionsvereinbarung schließt. Bis dahin rechne ich mit wohl auch heftigen parteiinternen Auseinandersetzungen – in einer grundsätzlich nach außen hin geeinten SPÖ.

Eröffnet der Kriterienkatalog einen strategischen Vorteil für die SPÖ bei Koalitionsverhandlungen mit jedweder Partei?

Die SPÖ wird nach der Nationalratswahl am 15. Oktober vermutlich in einer Situation sein, die von der Volkspartei schon seit 1986 vorgefunden wurde: Sie wird zwei Koalitionsoptionen vorfinden. Das gibt der SPÖ zwar keinen taktischen Startvorteil, hebt für sie aber einen Startnachteil auf.

Hilft die Aufzählung von prinzipiellen Werten und konkreten Kriterien für eine Koalition, neue Wählerschichten zu gewinnen?

Die Verbesserung der taktischen Situation wird mit einer möglichen Verschlechterung der strategischen Situation erkauft: Viele Wähler, die in der SPÖ vor allem die Partei zur Verhinderung einer FPÖ an der Regierung gesehen haben, werden sich nun anders orientieren. Die Grünen stehen dafür schon bereit, und das gilt wohl auch für die Neos. Ob die SPÖ deshalb Wählerinnen und Wähler gewinnt, die sonst FPÖ oder auch die Volkspartei gewählt hätten, bleibt abzuwarten. Ich hätte da meine Zweifel.

Die SPÖ hat eine Mitgliederbefragung über jedweden Koalitionspakt festgelegt. Ist so eine Befragung ein probates demokratiepolitisches Mittel?

Mitgliederbefragungen sind eine Flucht aus der politischen Verantwortung. Weder das Niessl-Beispiel mit nichtssagenden No-Na-Fragen, noch das Kern-Beispiel in Sachen CETA mit einer extrem geringen Beteilung und einem Parteivorsitzenden bzw. Bundeskanzler, der dann ohnehin das Gegenteil macht, sind in irgendeiner Weise beeindruckend (Im Burgenland haben sich 2014 die SPÖ-Mitglieder mit überwältigender Mehrheit für Koalitionsgespräche mit allen Parteien ausgesprochen). Die Mitgliederbefragung wird wohl kommen, weil sie die notwendigen Ausreden liefert – und es keine Ausrede gibt, ihr zu entkommen.

Ist mit diesem Kriterienkatalog die Vranitzky-Doktrin, das strikte Nein zu einer Koalition mit der FPÖ, somit definitiv nicht mehr gültig?

Die Vranitzky-Doktrin ist tot. Sie hat für mehr als drei Jahrzehnte der SPÖ die relative Mehrheit gesichert, die Ausnahme war die Wahl 2002. Jetzt wird diese Doktrin Geschichte. Vielleicht ist damit aber auch die SPÖ als Mehrheitspartei Geschichte.