Politik/Inland

Oberhauser zu Nebenjobs von Ärzten: "Ich bin gegen ein Verbot"

Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger will Spitalsärzten Nebenbeschäftigungen generell untersagen. Zahlreiche Kassenarztstellen können mangels Interessenten nicht besetzt werden. Und es gibt Probleme bei der eMedikation – in der Gesundheitspolitik krankt es also an mehreren Stellen. Der KURIER bat die Gesundheitsministerin und Kinderärztin Sabine Oberhauser (53) zum Interview – und fragte die SPÖ-Politikerin auch, wie es ihr damit geht, derzeit selbst wieder das Gesundheitssystem beanspruchen zu müssen. Oberhauser muss aufgrund ihrer Krebserkrankung erneut eine Chemotherapie absolvieren.

KURIER: Frau Minister, der Hauptverband hat prüfen lassen, ob man Spitalsärzten Nebenbeschäftigungen generell verbieten könnte. Soll man Spitalsärzten Nebenjobs untersagen?

Sabine Oberhauser: Das kann man jetzt schon tun. Im Dienstrecht kann geregelt werden, wie Nebenbeschäftigungen gehandhabt werden sollen. Es gibt Uni-Kliniken, die eine Beschränkung von fünf oder zehn Stunden pro Woche haben. Im Wiener Krankenanstaltenverbund muss man seine Nebenbeschäftigung bekannt geben. Der Dienstgeber hat dann die Möglichkeit zu sagen: "Ja, das will ich – oder nein, das will ich nicht." Das reicht aus. Ein generelles Nebenbeschäftigungsverbot vonseiten des Bundes kann ich mir nicht vorstellen. Ich bin also gegen ein generelles Verbot. Wenn man das machen würde, würde etwa das Notarztwesen zusammenbrechen, weil viele Spitalsärzte in den Bundesländern auch als Notärzte arbeiten.

Fakt ist freilich auch, dass es immer mehr Wahlarztpraxen gibt und es immer schwieriger wird, Kassenpraxen zu besetzen. Der Hauptverband dürfte wohl deshalb über ein Nebenbeschäftigungsverbot nachgedacht haben. Was könnte man tun, um Kassenstellen attraktiver zu machen?

Es gibt zwei Herangehensweisen: Die des Hauptverbandes, der die Nebenbeschäftigungen verbieten will und sich davon erwartet, dass die Ärzte dann wieder mehr Kassenverträge wollen. Die zweite Herangehensweise ist: Wie muss man ein Kassenvertragsverhältnis strukturieren, dass Ärzte ein solches wieder gerne eingehen? Ich glaube, dass man sich eher Letzterem widmen muss. Denn es sind ja nicht nur Spitalsärzte, die nebenbei als Wahlärzte arbeiten. Ich kenne eine Menge Ärzte, die den Kassenvertrag zurückgelegt haben und nur noch kleine Kassen oder eine Privatpraxis haben, weil man in Kassenpraxen nur durch eine entsprechende Frequenz auf eine adäquate Entlohnung kommt. Das heißt, man muss möglichst viele Patienten in kurzer Zeit behandeln. Das wollen viele, vor allem junge Kollegen nicht mehr.

Was kann man dagegen tun?

Man kann sich andere Honorierungsmodelle für die Ärzte überlegen. Man könnte zum Beispiel eine umfassende Pauschale pro Patient machen. Eine andere Möglichkeit ist das, was wir in der Primärversorgung versuchen: Also, dass man in einem Ärztezentrum oder in einem Netzwerk von Ordinationen auch eine Krankenschwester oder eine Sozialarbeiterin beschäftigt, um gewissen Tätigkeiten auszulagern und dadurch Zeit zu gewinnen.

Das alles würde aber mehr kosten – Geld, das die Krankenkassen wohl nicht haben.

Beim Primärversorgungskonzept soll es auch einen Finanzierungsbeitrag der Länder geben. In Wien kostet das Zentrum für Primärversorgung in der Mariahilfer Straße auch mehr, aber ein Teil des Geldes kommt vom Land.

Um Geld geht es auch beim Streit um die Reduktion der Ärztearbeitszeit in Wien. Sie sind selbst Ärztin, aber auch Politikerin, müssten also beide Seiten kennen. Wer hat da recht?

Ich bin froh, dass ich derzeit nichts darüber in der Zeitung lesen muss. Ich glaube, dass es jetzt gut läuft. Ich gehe davon aus, dass sie sich hinter verschlossenen Türen einigen werden. Mehr will ich dazu nicht sagen.

Konfliktträchtig ist auch die eMedikation. Im Bezirk Deutschlandsberg sollte sie erprobt werden. Der Pilotversuch wurde aber gerade gestoppt, weil es technische Probleme gibt. Bei der eMedikation sollen ja alle Medikamente, die die Patienten erhalten, gespeichert werden, um Doppelverordnungen und unerwünschte Wechselwirkungen zu vermeiden. Gehen Sie davon aus, dass trotz der Probleme Anfang 2017 mit dem österreichweiten Ausbau der eMedikation begonnen wird?

Beim Probelauf gab es eine unglückliche Kommunikationskultur: Der Hauptverband hat den Ärzten vorsintflutliches Arbeiten vorgeworden. Daraufhin haben die Ärzte gesagt: "So lassen wir nicht mit uns reden. Wir steigen aus." Es sind aber nicht alle Ärzte ausgestiegen. Wir haben jetzt einen Fragebogen an die Softwareanbieter geschickt, wo sie garantieren sollen, dass das System funktioniert. Wenn 80 Prozent der Hersteller garantieren, dass die Software funktioniert, wird es von mir die Verordnung geben, um die eMedikation österreichweit auszurollen. Unser Standpunkt ist also: Lieber ein bisschen länger testen, damit die Software funktioniert und die Datensicherheit gegeben ist, als sich an einen fixen Zeitpunkt zu halten.

Ist es tatsächlich nur ein technisches bzw. ein Kommunikationsproblem – oder bremsen die Ärzte auch wegen der Kontrolle?

Ich glaube nicht, dass es mit Kontrolle zu tun hat, sondern mit einem derzeit generellen Veto der Ärztekammer bei allem, was sich im Gesundheitswesen irgendwie verändert. Die Apothekerkammer hatte auch Anlaufschwierigkeiten bei der eMedikation, aber die Kommunikationskultur war eine andere.

Die Ärztekammer hat einen Gesundheitsgipfel mit dem Kanzler gefordert, wo alle Probleme auf den Tisch kommen sollten. Was halten Sie davon?

Vorweg: Die Ärztekammer hatte schon einen Termin mit dem Bundeskanzler. Außerdem sind die Positionen und Themen allseits bekannt. Es ist wichtiger auf dem Verhandlungstisch weiterzukommen. Denn der Bund ist zwar die Problemsammelstelle, die Lösungskompentenzen liegen aber etwa bei den Ländern und den Sozialversicherungen.

Hätten Sie gerne mehr Kompetenzen als Ministerin? Sie können bei Problemen oft nur zuschauen.

Ja, vor allem in der Planung im Spitalsbereich wäre es einfacher, wenn der Bund mehr Kompetenzen hätte. Der Gesundheitsminister sollte aber nicht über die Nachbesetzung von Arztstellen entscheiden. Das muss man regional machen.

Die Länder sind aber wohl eher nicht bereit, Kompetenzen abzugeben. Da dürften Sie sich wohl keine großen Hoffnungen machen.

Meine Hoffnungen sind begrenzt. Wir versuchen daher mit der Bundeszielsteuerung (Bund, Länder, Sozialversicherung planen gemeinsam) mehr Verbindlichkeit bei der Planung zu erreichen.

Sie sind derzeit in der Situation das Gesundheitssystem persönlich beanspruchen zu müssen. Sie haben kürzlich bekannt gegeben, dass Sie wegen Ihrer Krebserkrankung eine zweite Chemotherapie machen müssen. Wie geht es Ihnen?

Schlechter als bei der ersten Chemotherapie, aber ich würde sagen: Es geht bergauf.

Sie gehen sehr offen mit Ihrer Krankheit um. Sollten das Politiker generell tun. Sollten beispielsweise Spitzenkandidaten vor einer Wahl ihren Gesundheitszustand generell öffentlich machen?

Verpflichtend würde ich das nicht machen. Außerdem kann sich das rasch ändern. Ich bin zum Zeitpunkt, als ich gewählt wurde, auch davon ausgegangen, dass ich gesund bin. Ich glaube aber, wenn du in einer Position bist, dass Menschen dich gewählt haben und du dein Geld vom Staat beziehst, dann haben die Leute ein Recht darauf, zu erfahren, ob der Politiker seiner Tätigkeit nachgehen kann. Rechenschaft klingt hart, aber die Wähler bezahlen mich – und haben daher ein Recht zu fragen, ob ich meine Arbeit machen kann.

Ernest Pichlbauer ist das, was man gemeinhin einen alten Hasen nennt. Er hat Medizin studiert, ist ausgebildeter Controller und beobachtet als Gesundheitsökonom seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten das heimische Gesundheitssystem. Bei der Frage, wie genau es um die Nebenbeschäftigungen der Spitalsärzte bestellt ist, muss aber selbst einer wie Pichlbauer passen. „Die einzige Institution, die wirklich weiß, was die einzelnen Spitalsärzte zusätzlich in Wahlarzt-Ordinationen verdienen, ist das Finanzministerium. Und nicht einmal die teilt ihr Wissen mit dem Gesundheitsministerium“, sagt Pichlbauer zum KURIER. In Wien, so schätzt der Fachmann, hätten zwei von zehn Spitalsärzten nebenbei noch eine Wahlarzt-Ordination. „Aber nur geschätzte zehn Prozent, in der Regel die Oberärzte und Primare, profitieren finanziell davon. Der Betrieb einer Ordination kostet ja auch etwas.“

Ein Interessenskonflikt

Aus gesundheitspolitischer Sicht wäre es für Pichlbauer sehr wünschenswert, würden Spitalsärzte exklusiv für die Krankenhäuser arbeiten: „Ich plädiere dafür, dass ein Arzt nur einen Job macht, auf den er sich zu 100 Prozent konzentrieren kann, und für den er auch sehr gut bezahlt wird. Wenn Ärzte nur durch die Zuzahlungen von Privat- oder Sonderklasse-Patienten auf ein entsprechendes Gehalt kommen, dann geraten sie zwangsläufig in einen Interessenskonflikt.“
Warum daran nichts geändert wird und in Österreich – anders als beispielsweise im benachbarten Bayern – Spitalsbetreiber den Ärzten immer noch freistellen, in der Freizeit als Wahlarzt zu arbeiten, hat im Wesentlichen zwei Gründe: „Zum einen bestand lange Zeit die Regel, dass bei medizinischen Problemen nur der Arzt und nicht der Arbeitgeber zur Verantwortung gezogen wird“, erklärt Pichlbauer. Das bedeutet: Wenn ein Spitalsarzt in seiner „Freizeit“ als Wahlarzt operiert, unausgeschlafen in den Spitalsdienst kommt, und ihm in der Folge im Spital ein Behandlungsfehler unterläuft, ist nur der Arzt haftbar. Pichlbauer: „Seit Kurzem ist in bestimmten Fällen auch der Arbeitgeber, also das Spital, verantwortlich. Das ändert vieles.“ Weit schwerer wiegt freilich der finanzielle Aspekt. Denn durch die Tatsache, dass es in vielen Spitälern nur eine Meldepflicht, aber kein Verbot von Nebenbeschäftigungen gibt, erspart sich das Spital Geld. „Das Management musste den Ärzten nicht so viel zahlen, weil man sagen konnte: ,Verdienst halt nebenbei was in deiner Ordination dazu‘.“