Politik/Inland

Neutralitätsdebatte: Zwischen Frieden, "Tarnkappe" und "Insel der Seligen"

Egal ob Bundeskanzler Karl Nehammer, der die Neutralitätsdebatte als beendet erklärt oder Außenminister Alexander Schallenberg, der jüngst in einem Interview mit Corriere della Sera die Neutralität Österreichs betonte ("Wir beteiligen uns an der europäischen Sicherheitspolitik, aber ein NATO-Beitritt steht nicht zur Diskussion und die österreichische Öffentlichkeit unterstützt mit Überzeugung die Neutralität."): die Diskussion rund um Österreichs Haltung in Fragen der Sicherheitspolitik ebbt nicht ab. 

In der ORF-Sendung "Im Zentrum" ist Ex-Bundespräsident Heinz Fischer (SPÖ) eines Sinnes mit der amtierenden Regierung und sagt: "Die Neutralität hat ausgezeichnete Dienste geleistet." Dass man diskutieren könne, wie über alles andere in der Politik, "das ist selbstverständlich. Eine vernünftig gehandhabte Neutralität und eine aktive Außenpolitik würde Österreich entsprechen und kein Bruch zur Neutralität sein."

Dreiviertel der Österreicher würden die Neutralität befürworten, so Fischer. Es sei kein Zufall, dass auch die Schweiz als Nachbarland neutral sei. "Die Neutralität kann uns nicht schützen", so der Ex-Bundespräsident weiter. "Aber die Neutralität hat einen Sinn, wenn sie mit Friedenspolitik verbunden ist." Er habe indes nichts dagegen, über Punkte in der Sicherheitsdoktrin zu überdenken.

Irmgard Griss, Ex-Neos-Mandatarin und Ex-Präsidentin des Obersten Gerichtshofes, ist der Meinung, dass "die Neutralität allein uns nicht schützen kann". Das "Ausruhen auf der Neutralität" oder "Ausreden auf die Neutralität" bringe das Bundesheer ob Unterdotierung auch in die Situation, dass es Österreich nicht mehr adäquat verteidigen könne. "Die Neutralität ist nicht mehr was sie 1955 war", so Griss. Die Bereitschaft zu einer ernsthaften Debatte sei aber "endend wollend". Österreich komme - durch die neuen NATO-Beitritt - einer "Insel der Seligen" gleich. Grund: Österreich ist in der EU mit Irland, Zypern und Malta einzig militärisch neutral.

Fischer gibt zu Bedenken, dass eine Nicht-Mitgliedschaft Österreichs bei der NATO auch innerhalb der EU von Vorteil sein könnte. Auch, um auch weiter als Verhandlungsort gelten zu können. Für Politologe Anton Pelinka ist es auf mehrfache Nachfrage vorstellbar, dass Österreich der NATO beitritt.

Bezugnehmend auf ein KURIER-Interview mit Ex-Außenministerin Ursula Plassnik, mahnt Pelinka ebenfalls ein, eine offene Debatte zu führen. Politik mache sich verzichtbar, wenn sie nur auf Umfragen schaue. Franz Vranitzky und Alois Mock hätten dereinst "nicht nur Taktik, sondern auch Strategie" verfolgt. Daran sei sich ein Beispiel zu nehmen. Pelinka vermisst zudem die "europäische Dimension in der Solidaritätsverpflichtung". Es gehe nicht nur um die österreichische, sondern auch um die europäische Sicherheitsarchitektur.

Erich Cibulka, Präsident der Österreichischen Offiziersgesellschaft, attestiert in der ORF-Sendung: "Wir haben über Jahre und Jahrzehnte das Bundesheer verkommen lassen." Das Heer könne keinen ausreichenden Schutz gewährleisten. Um die Neutralität ausreichend verteidigen zu können - ähnlich wie die Schweiz - müsse das Staatsgebiet ausreichend militärisch ausgestattet werden. Im Gegensatz zur Schweiz, die den Luftraum zu verteidigen imstande sei, heiße es in Österreich aufgrund mangelnder Ausstattung zurecht "Luftraumüberwachung".

"Wohlstand und Friede" seien nicht zwangsläufig an Neutralität gebunden, so Cibulka weiter -  mit dem Verweis  die Schweiz und Deutschland. Dass die Neutralität Österreichs auch als "Tarnkappe" interpretiert werde, wie Cibulka zitiert, das will Fischer nicht gelten lassen. 

Verpflichtende Milizübungen?

Laut Cibulka muss das Heer nicht aufrüsten, sondern ausgerüstet werden. "Die ganz trivialen Dinge, wie Waffen und Munition." Die 55.000 Soldaten, die im Falle des Falles einen Einsatz leisten müssten, sollen nicht von "der Couch in den Einsatz gehen", sondern wieder regelmäßige Übungen machen müssen. Cibulka zitiert Umfragen, wonach 70 Prozent sich für Milizübungen aussprechen. Griss spricht sich ebenso für verpflichtende Milizübungen aus. Ex-Bundespräsident Fischer will diesbezüglich indes keine "Zurufe von außen" machen.

Griss sieht Bundespräsident Alexander Van der Bellen gefordert, Stellung zu beziehen, die Sicherheitsdoktrin zu bedenken. "Wer soll nicht etwas dazu sagen, wenn nicht der Präsident als Oberster Befehlshaber des Heeres", fragt Griss.