Netzwerk um Kurz: Schwarzer "Club 35" hat Aufwind
Frühjahr 2014 in einem Lokal in Linz: Zu späterer Stunde geht ein offensichtlich angetrunkener junger Mann auf den damals 27-jährigen Sebastian Kurz zu, will mit ihm debattieren, wird sogar laut. Kurz, der nach geschlagener Nationalratswahl gerade erst Außenminister geworden war, bleibt unbeeindruckt. Er lächelt freundlich, legt dem Parteifreund die Hand auf die Schulter und bietet ihm an, "doch an einem anderen Tag weiterzureden – nüchtern".
An dieses Erlebnis erinnern sich noch viele von den jüngeren ÖVPlern, und einer von ihnen erzählt davon, um zu beschreiben, wie "der Sebastian" als Führungskraft tickt: "Er schafft es, sich durchzusetzen, ohne dass jemand das Gesicht verliert."
Der künftige ÖVP-Chef hatte sich ausbedungen, sein Team völlig frei gestalten zu können. Groß ist deshalb die Hoffnung seiner Vertrauten, bald auch in der Bundespolitik eine maßgebliche Rolle zu spielen. "Wir erheben aber nicht den Anspruch, dass er sämtliche Spitzenposten mit uns besetzt. Das gäbe nach außen auch kein gutes Bild ab. Der Sebastian wird sich zur Erneuerung der Partei wesentlich breiter aufstellen, aber wir bleiben seine engsten Verbündeten", sagt ein JVP-Mann im KURIER-Gespräch.
"Club 35"
Der erste Karrieresprung steht schon diese Woche an: Stefan Schnöll soll Kurz als JVP-Obmann beerben, wird dem KURIER aus schwarzen Kreisen bestätigt. Aktuell ist der 29-jährige Salzburger JVP-Generalsekretär und Vizepräsident der Europäischen Jungen Volkspartei (YEPP). Schnöll dürfte bei der nächsten Nationalratswahl auch ein Abgeordnetenmandat anstreben.
In welche Position der derzeitige Stellvertreter von Kurz in der JVP, Asdin El-Habbassi, aufsteigen könnte, ist noch unklar. Sein Name wird etwa für die Nachfolge von Werner Amon als ÖVP-Generalsekretär genannt. Für diesen Posten kommt auch die Ex-NÖ-JVP-Chefin und Landtagsabgeordnete Bettina Rausch infrage. Da Kurz angekündigt hat, in seinem neuen Team Frauen stärker zu fördern – angepeilt wird eine 50-prozentige Quote –, könnte Rausch gute Chancen haben. "Sie ist perfekt vernetzt und hat zu 100 Prozent das Potenzial", heißt es in der ÖVP.
Rausch leitet derzeit den "Club 35", der aus ÖVPlern besteht, die mit 35 aus der Jugendorganisation ausgeschieden sind. Diese Altersgrenze hat kürzlich Christine Haberlander überschritten. Sie ist erst im Februar Landesrätin in Oberösterreich geworden – und derzeit die einzige ÖVP-Frau in der Landesregierung. Man geht daher davon aus, dass sie in Linz bleibt. Selbiges gilt für Helena Kirchmayr, 34, Klubchefin im Landtag und eine der acht Vize-Obleute der JVP. Da sie erst im November Mutter geworden ist, soll ein Wechsel ihres Lebensmittelpunkts nach Wien vorerst keine Option sein, heißt es.
Drei Stunden, nachdem Sebastian Kurz am Sonntag von den Parteigranden zum geschäftsführenden ÖVP-Obmann gekürt worden ist, nimmt Elisabeth Köstinger in der ORF-Talkrunde "Im Zentrum" Platz und gibt das Sprachrohr der neuen Bewegung. Das darf wohl als Beleg dafür gedeutet werden, dass die 38-jährige Kärntnerin zum engsten Kreis des neuen Jung-Bosses zählt.
Und während die Kurz-Jünger alle anderen Personalfragen noch als "reine Spekulation" abtun, heißt es beim Namen Köstinger: "Fixstarterin." Da sie auf EU-Ebene für Agrar-Agenden zuständig ist, wäre sie prädestiniert als Ersatz für Landwirtschaftsminister Andrä Rupprechter.
Köstinger, aufgewachsen auf einem Bio-Bauernhof in St. Paul im Lavanttal, betrat 2002 als Bundesleiterin der Landjugend die politische Bühne. 2009 wurde sie vom Bauernbund als Spitzenkandidatin für die EU-Wahl ins Feld geschickt – und erreichte mehr als 44.000 Vorzugsstimmen. "Offen, freundlich, herzlich", schwärmen ihre Kollegen im Europäischen Parlament und einer fügt hinzu: "Aber als Feindin möchte ich sie nicht haben."
In vielen Verhandlungen habe sie "neben den Deutschen und den Franzosen, die schon sehr fleißig und beinhart sind, bewiesen, dass sie den Männer in nichts nachsteht", schildert er. Und gezeigt, dass "die freundliche Elli gewaltige Zähne hat".
"Leader", keine "Touristin" im EU-Parlament
Köstinger werde zu jener kleinen Gruppe gezählt, die ihr Dasein im EU-Parlament nicht als "Fußsoldaten" und "Touristen" fristen, sondern als "Leader" die Richtung vorgeben. Eine beachtliche Entwicklung für die Jungbäuerin aus Kärnten, die mit 30 Jahren als Listensechste nach Brüssel geschickt worden ist.
Das Team der EU-Abgeordneten besteht zu 100 Prozent aus Frauen. Kurz’ Vorhaben, in seiner neuen Bewegung ein Fifty-fifty-Verhältnis herzustellen, bezeichnet Köstinger skeptisch als "Herausforderung", und erklärt: "Die ÖVP ist nicht gerade als die frauenfreundliche Partei bekannt. Wir müssen uns dem mehr öffnen. Denn wenn wir die klügsten Köpfe des Landes wollen, können wir nicht auf 50 Prozent der Bevölkerung verzichten."
Ihr Aufstieg zur Ministerin wäre ja ein Anfang – im KURIER-Gespräch darauf angesprochen lässt Köstinger, die auch stellvertretende Vorsitzende der Politischen Akademie der ÖVP ist, sich aber nicht in die Karten schauen. "Ich begleite Sebastian Kurz seit Anbeginn und vertraue ihm voll. Er wird die Entscheidung treffen, wenn die Zeit reif ist."
Sollte Köstinger in Regierung wechseln, rückt Ex-Ministerin Beatrix Karl ins EU-Parlament auf.
(lin)