Politik/Inland

Nach Wahlanfechtung: Briefwahl vor Reform

Wahlkarten, die zu früh ausgezählt oder von unbefugten Helfern sortiert werden. Protokolle, die Kommissionsmitglieder unterschreiben, obwohl sie die Vorgänge gar nicht im Blick hatten.

Falsche Vorwürfe oder "gängige Praxis"? Und, die wichtigste Frage: Haben derlei Schlampereien bei der Auszählung der Briefwahlstimmen das Ergebnis der Bundespräsidenten-Stichwahl beeinflusst? Das prüft derzeit der Verfassungsgerichtshof. Intern macht sich auch das Innen-ministerium Gedanken, was schiefgelaufen sein könnte.

Zum Artikel: Blaue Abrechnung mit der Briefwahl

Runder Tisch am Mittwoch

Am Mittwoch lädt Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) die Verfassungssprecher der Parlamentsklubs sowie Vertreter des Gemeindebunds, des Außenministeriums und des Auslandsösterreicher-Weltbunds zu einem runden Tisch, um Ideen für eine Reform zu sammeln.

Man müsse aber die Kirche im Dorf lassen, mahnt Bundeswahlleiter Robert Stein. Das Wahlgesetz sei "wasserdicht" – sofern man es befolge. Bis dato gab es keinen einzigen Hinweis auf eine Manipulation, die Rede ist nur von Behördenfehlern. "Offenbar fehlt das Bewusstsein für die Vorschriften. Das muss eindringlich klargestellt werden", sagt Stein, der sich eine verpflichtende Schulung für die Bezirkswahlleiter vorstellen kann.

Für sie steigt die Belastung (siehe Grafik). Denn während die Urnenstimmen am Wahlsonntag direkt in den österreichweit rund 13.000 Sprengeln ausgezählt werden, müssen die 113 Bezirkswahlbehörden am Montag alle Briefwahlstimmen zählen – per Gesetz ab punkt 9 Uhr.

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2007 wurde die Briefwahl mit dem Argument eingeführt, die Wähler würden mobiler, man wolle die Wahlbeteiligung erhöhen. Bundesweite Premiere hatte sie bei der Nationalratswahl 2008 mit 461.161 Briefwählern. Seither sind die Wähler entweder tatsächlich mobiler oder fauler geworden. Der Postweg ist bequem: Bei der Nationalratswahl 2013 gab es insgesamt weniger Wahlbeteiligung, aber bereits 574.000 Wähler, die sich ihre Wahlkarte frei Haus liefern ließen.

Bei der Hofburg-Stichwahl stellten 759.968 Briefwähler einen Rekord auf. Die Wahlbeteiligung lag bei 72,7 Prozent, ohne Briefwahl waren es nur knapp 61 Prozent.

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"Menge macht anfällig"

Ist dieser logistische Aufwand noch zu bewältigen, oder wächst uns die Briefwahl über den Kopf? Wahlleiter Stein: "Die Bezirkswahlbehörden haben den Auftrag, für eine passende Infrastruktur zu sorgen. Ich war bei einer Auszählung dabei. Es ist durchaus möglich, sie nach den Buchstaben des Gesetzes durchzuführen."

FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan ist skeptisch: "Die Menge macht fehleranfällig." In der jetzigen Form sei die Briefwahl nicht mehr tragbar, die FPÖ fordert die Abschaffung oder zumin-dest eine Beschränkung auf Ausnahmefälle. "Es ist nicht Sinn der Sache, dass sie immer mehr Wähler aus Bequemlichkeit nutzen", sagt Stefan.

Beim Kritisieren stark, in Sprengeln schwach vertreten

Apropos Bequemlichkeit: Die FPÖ soll beim Kritisieren stark, in den Wahlsprengeln aber schwach vertreten sein, lautet ein Vorwurf. "Das stimmt leider. Wir müssen uns an der eigenen Nase nehmen", gesteht Stefan ein. Es gebe einen Appell an die Funktionäre, aktiver mitzuwirken.

Die anderen Parteienvertreter sind für eine Beibehaltung der Briefwahl, wenn auch mit kleinen Adaptierungen. Ein Wunsch lautet: Die Briefwahlstimmen sollten schon am Wahlsonntag mit den übrigen Stimmen, und nicht erst am Montag ausgezählt werden. "Es sorgt für Unsicherheiten, wenn sich das Ergebnis, so wie bei der Stichwahl, am nächsten Tag durch die Briefwahl so dreht. Dann treten Weltverschwörer wie Strache & Co. auf den Plan. Und das will ja wirklich niemand", sagt ÖVP-Verfassungssprecher Wolfgang Gerstl.

Skurriles Detail: Die FPÖ beklagt in ihrer Wahlanfechtung auch den "psychischen Druck" durch Facebook-Postings ausgefüllter Stimmzettel von Van der Bellen-Unterstützern. Freilich hat FPÖ-Chef Strache selbst für Norbert Hofer gepostet.