Blaue Abrechnung mit der Briefwahl

Rechtsanwalt Dieter Böhmdorfer und FPÖ-Bundesparteiobmann Heinz Christian Strache
Auch in der FPÖ-Klagsschrift fehlen Beweise für Wahlfälschung. Aber noch ist bis zur Neuwahl alles drin.

Vielleicht haben sie verschlafen, vielleicht wurden sie einfach nicht eingeladen, jedenfalls haben Michael und Victoria jetzt ein Problem. Es ist der Vormittag nach der Bundespräsidenten-Wahl, Montag, der 23. Mai also, und die Wahl-Beisitzer der FPÖ wurden gerade von einem Bekannten angerufen.

Um 9 Uhr Früh würden ja die Wahlkarten ausgezählt!, meinte der Anrufer.

Was? Um 9 Uhr? Michael und Victoria machen sich auf den Weg, und als sie um 10:37 Uhr in ihre steirische Bezirkshauptmannschaft kommen, finden sie für sie unhaltbare Zustände vor: Ein gewisser "Augustin" hat begonnen, die Außenkuverts der Briefwahlstimmen zu öffnen und auf vorhandene Unterschriften zu prüfen; er hat sie sortiert, zwei Stapel gemacht – und ist längst damit fertig.

Ein Skandal!

Ein Skandal?

Nun ja, für Heinz-Christian Strache ist er das. Denn was Herr "Augustin" getan hat, gehört zu jenen konkreten Beispielen, die FPÖ-Chef Strache unter Mitwirkung von Anwalt und Ex-Justizminister Dieter Böhmdorfer in seiner offiziellen Wahl-Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof (VfGH) anführt. Dem KURIER liegt das ungeschwärzte Dokument vor, die FPÖ hat am Samstag eine anonymisierte Version online gestellt. Das Papier ist auf den ersten Blick tatsächlich beeindruckend: 152 Seiten, klar strukturiert, mit zahlreichen Verweisen auf Gesetzespassagen und Verfassungstexte.

Kopfzerbrechen

Insbesondere ein Faktum wird den angerufenen Höchstrichtern und dem für die Wahl zuständigen Innenministerium noch Kopfzerbrechen bereiten. Das sind all jene Fälle, bei denen die Briefwahlstimmen nicht erst am besagten Montag, ab 9 Uhr Früh im Beisein des Leiters der Bezirkswahlkommission geöffnet und/oder gezählt wurden, sondern allenfalls früher – oder gar schon am Wahlsonntag.

Hier ist das Gesetz sehr klar, und der frühere VfGH-Präsident Ludwig Adamovich hat im KURIER bereits darauf hingewiesen, dass der juristische Spielraum daher ausnehmend eng ist und das Höchstgericht streng am Gesetzestext bleibt.

Kann das bewiesen werden – ziehen also einzelne Wahlbeisitzer oder Kommissionsleiter ihre Unterschrift zurück, wonach alles korrekt abgelaufen wäre – ist daher an diesem Punkt sogar denkbar, dass die gesamte Stichwahl wiederholt werden könnte. Denn es gibt Zusatzproblem: Das sind jene Wähler, die zwar eine Wahlkarte beantragt haben, dann aber doch im heimatlichen Wahllokal ihre Stimme abgegeben haben. Sie könnten theoretisch zwei Mal wählen, daher sei die Wiederholung nur der Briefwahl in einzelnen Bezirken eher unwahrscheinlich.Bei den im Fokus stehenden Wahlkarten handelt es sich freilich nicht um eine halbe Million, wie Strache und Böhmdorfer kolportieren, sondern um exakt 120.067 – freilich auch das eine relevante Größenordnung.

Warum der blaue Frontrunner und sein Anwalt dennoch stark übertreiben, versucht der mit den Zahlen konfrontierte Grünen-Mandatar Dieter Brosz so zu erklären: "Böhmdorfer verwendet wissentlich falsche Zahlen, um seiner Anfechtung ein Gewicht zu geben, das sie in der Realität nicht hat." Tatsächlich finden sich in dem Schriftstück einzelne Causen, bei denen man den Eindruck gewinnt, die FPÖ-Wahlzeugen haben zwar die Wahl kontrolliert und per Unterschrift für in Ordnung befunden – es sich Tage später aber anders überlegt.

Ein Beispiel: der Stimmbezirk Südoststeiermark. Hier hat die Bezirkswahlbehörde die Auszählung der Wahlkarten ausdrücklich an Mitarbeiter der Bezirkshauptmannschaft delegiert – also an Beamte, die sich per Definition streng an die Gesetze zu halten haben. Trotz dieser transparenten Arbeitsteilung ist diese Auszählung für die FPÖ nichtig, weil sie von "unbefugten Personen" gemacht wurde.

Wer den Schriftsatz nach konkreten Fällen durchforstet, bei denen glaublich behauptet wird, Wahlkarten seien gefälscht oder gar unterschlagen worden, wird ebenfalls enttäuscht. Wie aber kommt man dann auf 152 Seiten?

Das lässt sich damit erklären, dass in dem Schriftstück auch allerhand enthalten ist, was Nicht-Juristen gemeinhin als Grundsatz- oder Demokratie-Kritik verstehen könnten. So versteigen sich die Freiheitlichen dazu, auf nicht weniger als 17 Seiten die Arbeit der Medien und von Sozialen Medien wie Facebook und Twitter zu verteufeln. Da wird lamentiert, dass Norbert Hofer grundsätzlich benachteiligt wurde, weil die Berichterstattung in Zeitungen und Fernsehen ja "einseitig und tendenziös" war.

Psychischer Druck?

Und bisweilen tragen die Argumente fast bizarre Züge. So echauffiert sich FPÖ-Boss Strache in der Beschwerde zwar, dass "durch zahlreiche Veröffentlichen (sic!) von Fotos mit ausgefüllten Wahlzetteln (…) ein erheblicher psychischer Druck auf Wahlberechtigte ausgeübt wurde."

Was Strache dabei "vergisst" ist: Er selbst hat genau das gemacht, nämlich: Seinen Stimmzettel mit einem Hofer-Kreuz fotografiert – und vor Wahlschluss via Facebook mit Tausenden geteilt. Ob dadurch ein einziger Wähler "psychischem Druck" ausgesetzt war? Geht’s nach HC, dann jedenfalls.

Kommentare