Politik/Inland

Nach Frauenmordserie: 228 Mio. jährlich für Gewaltschutz gefordert

Gewaltschutzorganisationen fordern 228 Millionen Euro im Jahr für eine Ausweitung und längerfristige Absicherung ihrer Arbeit und zusätzlich rund 3.000 neue Arbeitsstellen im Opferschutz.

Die dringend nötige Aufstockung wäre auch als Teil der Joboffensive in der Coronakrise zu sehen, hieß es beim Online-Pressegespräch "Femizide stoppen" von Österreichischem Frauenring (ÖFR), Verein Österreichische Autonome Frauenhäuser (AÖF) und Wiener Interventionsstelle am Montag.

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Es müsse immer erst "etwas sehr Schlimmes passieren", oder wie im Fall des jüngsten Tötungsdelikts an einer Frau durch ihren (Ex-)Partner, dem bereits neunten seit Jahresbeginn, der Täter mehr oder weniger prominent sein, "bis gehandelt wird", kritisierte AÖF-Geschäftsführerin Maria Rösslhumer. Gerade in letzter Zeit seien die Opferschutzeinrichtungen von politischer Seite "nicht gehört und nicht einbezogen worden".

Gipfel ohne Experten

An die Kritik schließt eine der weiteren Forderungen an: Ein "echter Gewaltschutzgipfel" sei nötig, man solle nicht Maßnahmen "ohne die Expertinnen setzen", denn "die Politik ist ahnungslos", sagte ÖFR-Vorsitzende Klaudia Frieben.

Der nach der Tötung einer 35-Jährigen in Wien-Brigittenau in der vergangenen Woche für Montag einberufene Sicherheitsgipfel im Innenministerium finde ohne die Opferschutzeinrichtungen statt.

Dort sollen auch die Sicherheitspolizeilichen Fallkonferenzen thematisiert werden, für deren sofortige Umsetzung "mit allen im Gewaltschutz tätigen Organisationen" sich die Rösslhumer, Frieben und Rosa Logar von der Wiener Interventionsstelle gegen Gewalt in der Familie ebenfalls stark machten.

Noch keine Fallkonferenzen heuer

Das in der Bundeshauptstadt von 2011 bis 2017 aufgebaute Projekt der Zusammenarbeit, in dem mehr als 80 Hochrisikofälle behandelt worden waren, sei vonseiten der Polizei mit dem Argument aufgekündigt worden, es sei nicht effizient. Im Gewaltschutzpaket, das nach einem starken Anstieg der Frauenmorde für Anfang 2020 geschnürt worden war, wurden die Fallkonferenzen wieder aufgegriffen, könnten seither aber nur durch die Polizei einberufen werden, erläuterte Logar. Seither habe es "sehr wenige" gegeben, heuer noch keine.

"Das ist als ob Ärzte vor einer Diagnose behandeln", sagte Logar. "Wir machen bei jedem Fall eine Gefährlichkeitseinschätzung (des Täter, Anm.)", Polizei und Justiz nur fallweise. "Viele gefährliche Täter werden derzeit nur auf freiem Fuß angezeigt und es passiert gar nichts mit ihnen."

Dabei gebe die Gesetzeslage im Gewaltschutz viel her, nicht zuletzt aufgrund fehlender personeller Ressourcen könne der Rahmen nicht ausgeschöpft werden. Die Polizei müsse sich nun die Beurteilung, welche Täter potenziell gefährlich sind, "erwerben" und dies nicht auf den Opferschutz abwälzen. Bei der jüngsten Bluttat sei der Beschuldigte "amts- und justizbekannt" gewesen, seine potenzielle Gefährlichkeit sei aber nicht behördlich eingeschätzt worden, erinnerte Frieben.

Frauen weggewiesen

Eine Forderung bezieht sich auf direkten persönlichen Schutz von Betroffenen: "Frauen brauchen Personenschutz, wenn sie in einer Risikosituation sind und der Täter frei herumläuft", sagte Rösslhumer.

Zudem seien mehr verpflichtende Schulungen für Polizei und Justiz nötig, denn Frauen werde häufig nicht geglaubt und Anzeigen in Gewaltfällen würden - selbst wenn es sich um ein Offizialdelikt handelt - häufig eingestellt oder gar nicht erst aufgenommen. "Eine Ohrfeige für die Frau und ein Freibrief für den Täter", so die Expertin. Sie beobachte auch eine Entwicklung, dass "Frauen vermehrt weggewiesen werden, wenn sie sich einmal wehren".

Wegweisungen seien grundsätzlich ein wichtiges Instrument, sie würden aber nicht immer, wenn nötig, verhängt und sollten "bei jeder strafbaren Handlung und auch bei Stalking" eingesetzt werden, meinte Logar. Auch die Polizei brauche aber genügend Personal, um das umzusetzen.

Zudem urgierten die Gewaltschutzorganisationen eine "echte Regierungskampagne gegen Gewalt in der Familie", die sich auch gegen frauenverachtendes Verhalten richten müsse. Weiters seien noch immer nicht an allen Spitälern funktionierende Opferschutzgruppen etabliert.