Politik/Inland

"Stillstand ist Rückschritt"

Die Wiener SPÖ hat bei der Nationalratswahl im September geschwächelt. Sie verlor mehr als die SPÖ bundesweit. 2015 sind in Wien Gemeinderatswahlen, auf die sich die SPÖ bereits vorbereitet.

KURIER: Herr Bürgermeister, welche Schlussfolgerungen ziehen Sie aus der Nationalratswahl in Hinblick auf die kommende Gemeinderatswahl?

Michael Häupl: Wir haben uns auf unserer Parteiklausur mit dem Thema Nichtwählen beschäftigt, und daraus resultierend mit Kommunikationsfragen. Ich bin nicht der Einzige, der findet, dass man die Kommunikation verbessern muss.

Inwiefern? Die Stadt Wien kommuniziert ohnehin mit viel Geld auf allen Kanälen ...

Ich rede nicht von der Stadt Wien, sondern von der Wiener SPÖ. Zur Kommunikation der Partei gehört es auch, nach innen Diskussionen zu organisieren. Es gibt in verschiedenen Bereichen Nachholbedarf, etwa auch im Social-Media-Bereich.

Sie haben Ihre Stadträte angeblich beauftragt, innovative Ideen zu entwickeln und diese öffentlich zu diskutieren?

Das brauche ich ihnen nicht zu sagen, das wissen sie. Es geht darum, die Stadt weiterzuentwickeln. Es kann nicht sein, dass mit dem Todeshauch von „Wir haben kein Geld“ nichts mehr passiert. Das geht gar nicht. Stillstand ist Rückschritt. Das gilt für die Stadt und für die Wettbewerbssituation, in der sich die Stadt befindet. Bei aller Liebe, aber wir stehen nicht in Konkurrenz zu St. Pölten, sondern zu den Metropolen in Europa.

Was ist Ihre Leitidee für Wien 2025 oder 2030?

Wir haben dazu ein dickes Buch produziert, aber wenn ich einen Punkt herausnehmen darf: Wien wächst. Es verändert sich die Wirtschaft von rauchenden Schornsteinen zur Wissensgesellschaft. Es ist daher im Wissens-, Bildungs-, Forschungs- und Innovationsbereich eine Menge zu tun: Kindergärten müssen die erste Bildungseinrichtung sein. Das Bildungssystem muss inhaltlich umgestellt werden, da gibt es großartige neue Erkenntnisse in der Pädagogik. Das ganze ist einzubauen in eine neue Unterrichtsorganisation, in Ganztagsschulen tunlichst gemeinsam für 10- bis 14-Jährige. Dann geht es um die Universitäten. Sie sind nicht schlecht, aber man darf sich nicht begnügen, dass unsere beste Universität um den 200. Platz in internationalen Rankings steht, während die genauso kleine Schweiz mit zwei Universitäten unter den besten zehn der Welt rangiert.

Konkret lautet also ein Ziel: Zumindest eine Wiener Universität unter die Top Ten zu bringen?

Ja. Wobei wir eine Reihe von an sich sehr guten Universitäten haben, die mit der Forschung eng verknüpft sind. Ich halte eine weitgehende Verschränkung von Forschungseinrichtungen mit Universitäten für sehr wichtig, um rundherum in Anbindung an die Ökonomie Spin-offs zu ermöglichen. Die Spin-offs von Cambridge zum Beispiel beschäftigen 25.000 Menschen‚ nur im direkten Umfeld der Universität. Das muss man sich als Vorbild nehmen, das ist das, was wir machen müssen und was Wien auch kann. Wien war einmal das intellektuelle Zentrum Europas, warum sollten wir das nicht wieder schaffen?

Warum liegen unsere guten Unis in den Rankings nicht so gut? Was können Sie dazu beitragen, dass sie besser liegen?

Ich kann in erster Linie die ideelle Unterstützung beitragen, indem ich das Thema am Köcheln halte. Das zweite sind direkte Kooperationen, wir arbeiten intensiv mit diesen Forschungszentren zusammen. Wir bemühen uns, mit forschungsintensiven Betrieben wie Siemens oder Baxter zu kooperieren, die Vernetzungen zu den Unis herbeizuführen und betriebliche mit universitärer Forschung zu verknüpfen. Über unsere Fonds leisten wir auch Finanzierungshilfe. Verfassungsmäßig haben wir mit all diesen Bildungsaufgaben zwar nichts zu tun, aber wir machen es, weil es im Interesse von Wien ist.

Ist im Sinne der Vernetzung von Unis und betrieblicher Forschung die Zusammenlegung des Wirtschafts- mit dem Wissenschaftsministerium sinnvoll? Oder sind Sie weiterhin für ein eigenständiges Wissenschaftsressort?

Die Abschaffung des Wissenschaftsministeriums ist ein falsches Signal.

Der amerikanische Politologe Benjamin Barber hat ein aufsehenerregendes Buch veröffentlicht, in dem er die These vertritt, die pragmatischen Bürgermeister sollten die Welt regieren, weil sie besser regieren als die ideologisch getriebenen Regierungschefs. Was halten Sie von dieser These?

Alles.

Bürgermeister an die Macht?

Der Befund ist richtig. Die ideologische Auseinandersetzung darüber, dass die Abwässer entsorgt werden, und ein optimales Wasser aus der Leitung rinnt, oder die Müllabfuhr funktioniert, kann ich nicht erkennen. 85 Prozent unserer Entscheidungen hier sind pragmatisch. Unterschiede gibt es sicher im Bereich der Kultur, auch vielleicht im Bereich der Kinderbetreuung. Es ist wohl kein Zufall, dass die meisten Krippenplätze in Wien sind. Ich weiß nicht, ob Erwin Pröll recht hat, wenn er meint, dass 80 Prozent der Frauen im erwerbsfähigen Alter nicht arbeiten. In Wien arbeiten 80 Prozent der Frauen, und ich weiß, dass auch in Niederösterreich sehr viele Frauen zum Beispiel auf den Bauernhöfen arbeiten und damit enorm zur Gemeinschaft beitragen. Wirtschaftspolitik kann man heute überhaupt nur mehr mit hohem Pragmatismus machen. Es ist heute völlig egal, wem ein Betrieb gehört, es geht nur darum, ob er gut oder schlecht geführt ist. Wenn er schlecht geführt ist, wird er untergehen, wie 1989 ganze Volkswirtschaften untergingen.

In der Bundesregierung sperrt sich Ihre Partei gegen Privatisierungen. Ist es im Sinne Ihrer Aussagen nicht egal, wem die Post gehört?

Ich glaube, dass es bei solchen Betrieben nicht ganz unwichtig ist, einen gewissen Staatseinfluss zu erhalten. Es gibt Betriebe der Daseinsvorsorge, die sollen zu hundert Prozent in öffentlicher Hand sein, die Wasserversorgung zum Beispiel. Dann gibt es Betriebe, wo Mischformen gut sind, die OMV ist dafür ein gutes Beispiel. Was bei den Koalitionsverhandlungen diskutiert wurde, klingt nach Schüssel und Grasser. Warum man eine Kuh verkaufen soll, von deren Milch man gut leben kann, weiß ich nicht. Ein Bauer würde so etwas nicht machen. Bauern sind ähnlich pragmatisch wie Bürgermeister.

Also lieber Dividenden kassieren als Einmalerlöse durch Privatisierung?

Sicher. Wenn man diese im allgemeinen Budgettopf verschwinden lässt, ist das nicht rasend zielführend.

Sie lassen explizit offen, ob Sie die Koalition mit den Grünen nach der Gemeinderatswahl 2015 fortsetzen. Warum?

Der Vertrag mit den Grünen läuft fünf Jahre, dann kommt der Souverän, mischt die Karten neu, und dann schauen wir weiter. Vielleicht brauche ich ja gar keine Koalitionspartner.

Kommen auch die Neos für Sie als Koalitionspartner infrage?

Alle kommen infrage, wo ich einen gewissen inhaltlichen Boden sehe, auf dem man zusammenarbeiten kann. Ich grenze niemanden aus, auch die Freiheitlichen nicht, nur sehe ich mit der FPÖ keinen einzigen Punkt, wo es zu einer inhaltlichen Übereinstimmung kommen könnte. Abgesehen davon, dass es wohl auch eine Frage des Anstands ist.

Sind die Neos für Sie die jungen, modernen Schwarzen?

Ob sie jung sind, weiß ich nicht. Aber moderne Schwarze ist nicht ganz falsch.