Wie der rote EU-Listenführer in seiner Heimat gesehen wird.
Würselen bei Aachen, ein Sonntagnachmittag im April. Im Stadion am Lindenplatz wird das Heimspiel des Traditionsvereins SV Rhenania 05 in der Kreisliga A angepfiffen. Jeder, so scheint’s, kennt hier jeden. Und jeder kennt hier Martin Schulz. "Eine anständige Familie", sagt ein ergrauter Herr am Tresen, "Vater Polizist, Schwester Lehrerin, Bruder Hausarzt. Und der Martin selbst, der macht noch was in Brüssel, nicht?"
Alle Inhalte anzeigen
Welche Rolle genau "der Martin" seit 2012 als EU-Parlamentspräsident spielt und dass er jetzt als EU-weiter Spitzenkandidat der Sozialdemokraten in ganz Deutschland plakatiert wird – all das scheint hier nebensächlich.
Alle Inhalte anzeigen
Lieber reden die Leute über "ihren"
Martin Schulz: Der neben dem Sportplatz in einfachen Verhältnissen aufwuchs; der bis zu einer Verletzung als linker Verteidiger für die
Rhenania spielte ("kein großer Techniker, aber ein Kämpfer, ein Rackerer"); der mit Narrenmütze auf Faschingsveranstaltungen zu sehen ist. "Verwurzelt" ist neben "tüchtig" das am häufigsten gebrauchte Adjektiv, wenn es um
Schulz geht.
Schulz, der Verwurzelte
Es gibt, wenn die Leute hier über Martin Schulz sprechen, noch etwas, das auffällt: Da ist nicht nur der lokalpatriotische Stolz, dass "einer von uns" jetzt mit der Kanzlerin aus der Bild-Zeitung lacht. Da ist auch ehrlicher Respekt. Dafür, dass sich der Bürgermeister der 37.000-Einwohner-Stadt Würselen im EU-Parlament behauptet hat. Dafür, dass der Polizisten-Sohn und gelernte Buchhändler davor zehn Jahre hier Bürgermeister war. Und Respekt dafür – auch das wird offen angesprochen, so wie Schulz das selbst tut –, dass einer, der mit Anfang 20 arbeitslos war und ein Trinker, so viel erreicht hat.
Schulz, der Trinker
Alle Inhalte anzeigen
"Meine Frau und ich, wir hatten damals eine Gaststätte", sagt Horst Zengerling, freundlich, grau, Rentner. "Gegenüber war auch eine Gaststätte – da ist der Martin hin und her gependelt." Zengerling holt ein Fotoalbum, schlägt eine Doppelseite mit Zeitungsausschnitten auf: "Der Martin" mit Angela Merkel, mit Karnevalsmütze, mit der Friedensnobelpreismedaille. Darunter eine Widmung: "Lieber Horst! Danke für deine Freundschaft! Dein Martin Schulz"
Alle Inhalte anzeigen
Seine Freunde, sagt
Arno Nelles, habe
Schulz nie vergessen.
Nelles,
Würselens amtierender SPD-Bürgermeister, kennt
Schulz seit gut 30 Jahren, hat seinen politischen Aufstieg von Anfang an miterlebt.
Würselens Lage im Dreiländereck mit
Belgien und den
Niederlanden habe wohl eine Rolle gespielt, dass es
Schulz in die Europapolitik zog. Als
Schulz 1994 nach
Brüssel ging, "war das
EU-Parlament nicht, wie bei anderen, ein Versorgungsjob", sagt
Nelles. "Ihm war der europäische Gedanke wichtig."
Schulz, der Büchernarr
Alle Inhalte anzeigen
Nelles lobt Schulz’ argumentative Stärke ("Man kann gut mit ihm streiten, wenn man bereit ist, auch zu verlieren"), auch er betont die Verwurzelung. Wirklich verändert habe er sich nicht seit der Zeit, als die Stadtpolitik auch noch im Hinterzimmer von Schulz’ Laden gemacht wurde. In der Buchhandlung, die er gründete, nachdem er sich aus dem Alkohol-Sumpf gezogen hatte. Den Laden gibt es noch. Schulz sei nach wie vor Stammkunde, sagt Martina Schillings, die das Geschäft einst von ihm übernahm: "Meistens ruft er von irgendwo aus der Welt an und bittet uns, etwas für ihn zurückzulegen." Erst vorige Woche sei "der Martin" wieder da gewesen, um Lesestoff zu holen.