Politik/Inland

Leben in der Illegalität: "Ständige Angst, erwischt zu werden"

Seit sieben Jahren lebt Frau I. in Wien, aber ein gutes Leben sei es nicht, sagt sie.

Die 42-Jährige hat kein eigenes Geld, wohnt bei einer Freundin, und aus dem Haus geht sie nur, wenn es unbedingt notwendig ist. Heute war es notwendig – ihr Asthma-Spray ist ihr ausgegangen. Hier im Ambermed im Süden Wiens sitzen viele, die so leben wie Frau I.: Krank und in ständiger Angst.

Frau I. kommt aus Bulgarien. Als EU-Bürgerin dürfte sie sich nur drei Monate in Österreich aufhalten, darüber hinaus bräuchte sie einen festen Job und einen Meldezettel – beides hat sie nicht, genauso wenig wie eine Krankenversicherung.

„Diese Menschen würden gerne arbeiten, werden aber oft nur schwarz beschäftigt“, erklärt Ambermed-Leiterin Carina Spak. Bei dem Projekt von Diakonie und Rotem Kreuz werden Menschen behandelt, die nicht versichert sind – nach Namen, Ausweis oder Aufenthaltstitel wird nicht lange gefragt. „Wir helfen einfach“, sagt Spak.

Rund 3500 Menschen wurden im Vorjahr ehrenamtlich von Ärzten behandelt, darunter auch Österreicher. Die Einrichtung finanziert sich zu rund 50 Prozent aus privaten Spenden.

2700 Illegale aufgegriffen

Menschen wie Frau I. fühlen sich hier sicher. Beim Stichwort „ Polizei“ schüttelt sie den Kopf, klopft auf den Holzsessel im Wartezimmer – murmelt etwas auf Bulgarisch. Ein Problem hatte sie noch nie mit der Polizei, "aber ich bin auch sehr vorsichtig", erklärt sie. Öffentliche Plätze sind tabu: die Wiener Polizei hat bei Schwerpunktkontrollen heuer schon 2700 Illegale aufgegriffen.

Das Thema hat Burgenlands Landeshauptmann Hans Niessl jüngst angeheizt. Bis zu 250.000 Menschen hielten sich illegal hier auf, sagte er und bezog sich auf „Quellen aus dem Sicherheitsapparat“. Dass die Zahl viel zu hoch gegriffen ist, bestätigten Innenministerium und NGOs, die mit „Illegalen“ zu tun haben. Maximal 100.000 dürften es sein – immer noch viel, aber lange keine Viertelmillion.

Eine Gruppe sind Asylwerber mit einem negativen Asylbescheid, die untertauchen. Wo sie leben, was sie tun, weiß niemand so genau – zu heikel ist die Angelegenheit, zu groß die Gefahr, erwischt und abgeschoben zu werden.

Eine größere Gruppe dürften Menschen wie Frau I. ausmachen, sie kommen aus EU-Ländern wie Bulgarien und Rumänien.

„Anonymität wichtig“

Illegaler Aufenthalt ist eine Verwaltungsstrafe, im Wiederholungsfall oder bei Schwarzarbeit kann ein Aufenthaltsverbot verhängt werden. Wer dagegen verstößt, dem droht Schubhaft.

Um dem zu entgehen, reist Frau I. regelmäßig aus: drei Monate ist sie in Wien, fährt heim nach Bulgarien, und ist dann wieder drei Monate in Wien. So bleibt ihr Aufenthalt „legal“, aber es ist eine Grauzone. Und die Polizei kann kaum nachprüfen, ob jemand über die erlaubten drei Monate hinaus durchgehend im Land war. Warum sie sich das antut? Alles sei besser, als in Bulgarien zu leben, sagt Frau I. nur.

NGOs beobachten zuletzt, dass immer mehr Chinesen im Land sind – allerdings jeweils nur für wenige Monate. Sie verwenden meist gefälschte Ausweise, die in der Community weitergegeben werden. Die „Illegalen“ sind unter Landsleuten meist gut vernetzt, schlagen sich lange selber ohne Geld aus der öffentlichen Hand durch. Wenn aber einer krank wird, braucht es Hilfe von außen.

Medizinische Versorgung als Menschenrecht

„Deshalb ist für uns Anonymität das allerwichtigste. Wenn sich diese Menschen nicht sicher fühlen bei uns, kommen sie nicht, um sich versorgen zu lassen“, erklärt Ambermed-Leiterin Spak. Nicht zuletzt durch die Regierung sei eine härtere Gangart bei der Polizei spürbar. „Es herrscht die ständige Gefahr, erwischt zu werden.“

Auch beim Roten Kreuz betont man, dass der Datenschutz gewährleistet sein muss. Menschen müssen - unabhängig von ihrem legalen Status - Zugang zu medizinischer Versorgung bekommen. Es gehe dabei schließlich um Menschenrechte, die respektiert und geschützt werden müssen.