Politik/Inland

Leaks: "Deutsche Anwälte schütteln über Österreich den Kopf"

Für prominente Wirtschaftstrafverteidiger wie Norbert Wess (er ist derzeit in allen prominenten Fällen von Novomatic bis Mattersburger Commerzialbank als Rechtsvertreter engagiert) gibt es außer Österreich kaum ein Land in Europa, in welchem während eines laufenden Ermittlungsverfahrens ständig Aktenbestandteile an die Öffentlichkeit geraten und dann völlig aus dem Zusammenhang gerissen und isoliert thematisiert werden. „Meine deutschen Anwaltskollegen schütteln über die Zustände in Österreich den Kopf. Hier stehen wir mittlerweile vor einem sehr großen Problem“, prangert Wess an.

Als Vergleichsbeispiel führt der Anwalt die Wirecard-Ermittlungen in Deutschland an. Hier bekommt man de facto wenig von den Ermittlungen der deutschen Staatsanwaltschaft in der Öffentlichkeit mit, obwohl es um einen Schaden von 1,9 Milliarden Euro geht. Ganz anders spielt sich das in Österreich ab. Die Pläne der Kanzlerpartei, Leaks in den Medien unter Strafe zu stellen, würden zahlreiche namhafte Strafverteidiger begrüßen, meint Wess.

Vorverurteilung

Für Anwalt Oliver Scherbaum sind die Folgen dieser Zitate aus den Akten kaum mehr korrigierbar. Als die Abhörprotokolle von Karl-Heinz Grasser und Walter Meischberger im Audimax von Kabarettisten verlesen wurden, kam es für Scherbaum nicht nur zu einer „öffentlichen Vorverurteilung, sondern auch zu einer Verspottung“. Für Scherbaum sind Aktionen wie diese eine grobe Verletzung der Unschuldsvermutung.

Wess sieht aber nicht nur die Medien bei diesem Österreich-Spezifikum in der Ziehung, sondern auch die Verteidiger. Denn die Strafprozessordnung sieht für jede betroffene Partei, insbesondere auch für die Anzeiger und Opferanwälte, „leider“ vor, kritisiert Wess, dass sie im „Einvernehmen mit ihren Mandanten Unterlagen aus dem Akt an die Öffentlichkeit reichen können“, wenn das ihren Interessen dient.

Bei diesen punktuellen Veröffentlichungen könne sich der Betroffene dann fast nicht mehr zur Wehr setzen.

Ganz anders sieht das Rupert Wolff, Präsident des Österreichischen Rechtsanwaltskammertages. Er spricht sich für eine Beibehaltung der aktuellen Gesetzeslage aus. Jeder, der sich durch mediale Berichterstattung in seinen Rechten verletzt erachte, habe die Möglichkeit, sich dagegen zur Wehr zu setzen, erklärt Wolff: „Einen medialen Maulkorb halte ich für rechtsstaatlich höchst bedenklich und würde uns zurück in das 19. Jahrhundert katapultieren.“