Kurz zu Türkei: "Österreich wird seine Grenzen schützen"
Der "koalitionsfreie Raum", den ÖVP und Grüne in ihrem Regierungspakt vereinbart haben, könnte früher kommen als gedacht: Auf Europa kommt eine Flüchtlingswelle aus der Türkei zu - und die Ansichten, wie damit umzugehen ist, gehen bei den beiden Parteien weit auseinander.
Nachdem der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan verkündet hatte, die "Tore" seien offen, haben sich Zehntausende Flüchtlinge, die sich zuletzt in der Türkei aufgehalten haben, auf den Weg zur türkisch-griechischen Grenze gemacht.
ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz twitterte daraufhin: "Wenn der Schutz der EU-Außengrenzen nicht gelingen sollte, dann wird Österreich seine Grenzen schützen." Ohne näher zu definieren, was das bedeutet.
Mit den Grünen war vereinbart, dass sich die Koalitionspartner in besonderen Fällen, in denen man sich partout nicht einig wird, auch andere Partner im Parlament suchen können.
Die FPÖ würde für eine Grenzschließung wohl zur Verfügung stehen. Klubobmann Herbert Kickl erklärte, er hoffe, dass die "Regierung das weitere Vorgehen der Verantwortlichen in Brüssel genau im Auge hat und bei einem Nichthandeln unsere Grenzen dicht macht".
Reimon: "Humanitäre Hilfe leisten"
Der koalitionsfreie Raum war - zumindest am Samstag - noch kein Thema. Der grüne Abgeordnete Michel Reimon meinte zum Thema vorerst nur, die EU dürfe sich von der Türkei "nicht erpressen lassen".
Österreich müsse "sofort humanitäre Hilfe leisten und an internationale Organisationen auszahlen, um das Leid zu mildern". Die türkis-grüne Regierung habe ja eine Aufstockung der Hilfe vor Ort vereinbart.
Kurz bestätigte auch, was zuvor Innenminister Karl Nehammer gesagt hatte: Österreich sei bereit, die Länder an den Außengrenzen mit zusätzlichen Polizisten zu unterstützen. Wie das genau aussehen soll, blieb offen.
Schallenberg lud türkischen Botschafter vor
Auch Außenminister Alexander Schallenberg hat sich inzwischen eingeschaltet: Er telefonierte mit seinen Amtskollegen aus Griechenland und Bulgarien.
Den türkischen Botschafter Ozan Ceyhun hat Schallenberg zu einem Gespräch gebeten, das am Freitagnachmittag stattfand.
"Es ist essenziell, dass die Türkei ihren Teil des EU-Türkei-Flüchtlingsabkommens einhält", betonte Schallenberg - ebenfalls via Twitter. "Eine Wiederholung der Migrationskrise von 2015/2016 muss unbedingt vermieden werden."
Er sei "sehr besorgt" über die Eskalation in der Region Idlib und die humanitären Auswirkungen. "Wir rufen zu einem sofortigen Waffenstillstand auf."
Erdogan: "Werden die Türen nicht schließen"
Der türkische Präsident erklärte indes: "Wir werden die Türen in nächster Zeit nicht schließen, und das wird so weitergehen.“
Als Grund nannte er, die EU habe sich nicht an die Zusagen des Flüchtlingsdeals mit der Türkei gehalten, die 3,6 Millionen Syrer aufgenommen hat. Das Geld fließe zu langsam.
Die EU aber hält entgegen: Von den versprochenen sechs Milliarden Euro wurden bisher rund 4,7 für die Versorgung, Unterbringung, medizinische Betreuung, Schulen und Lehrer aufgewendet.
Die Türkei hat nach eigenen Angaben mehr als 35 000 Migranten die Grenze Richtung EU passieren lassen. Bis zum Samstagabend gegen 21:00 Uhr Ortszeit (19 Uhr MEZ) hätten 36 776 Migranten über die Provinz Edirne die Grenze passiert, teilte der türkische Innenminister Süleyman Soylu am Samstagabend via Twitter mit.
In der Provinz Edirne gibt es Grenzübergänge nach Griechenland und nach Bulgarien. Allerdings berichteten bis zum Abend weder Sofia noch Athen über das Eintreffen größerer Zahlen von Migranten.
Beobachter vor Ort schätzen die Zahlen als zu hoch ein. Aber Tausende Flüchtlinge stecken nun im Niemandsland zwischen türkischer und griechischer Grenze fest.