Politik/Inland

Kickl kritisiert Nehammer – und umwirbt ÖVP weiter

ÖVP-Chef Karl Nehammer schließt eine Koalition mit FPÖ-Chef Herbert Kickl am Dienstag aus - wie er in einer Pressekonferenz nach dem Gespräch mit dem FPÖ-Chef sagt. "Ich mache nicht den Steigbügelhalter". Das Treffen zwischen Kickl und Nehammer hat nach der Nationalratswahl Bundespräsident Alexander Van der Bellen beauftragt. 

Tags darauf meldet sich nun der FPÖ-Chef zu Wort, gibt bei der Pressekonferenz, die unter dem Motto "Nachlese" steht, den Medienvertretern eine Mappe in Blau aus. Deren Inhalt: gemeinsame Punkte zwischen ÖVP und FPÖ, Themen, die es gemeinsam abzuarbeiten gebe. Doch Nehammer sieht das - wie berichtet - anders. Kickl habe mehr vielfach bewiesen, dass er "nicht bereit dafür ist, politische Verantwortung zu übernehmen", so Nehammer. Der ÖVP-Chef nennt die Corona-Krise als Beispiel, wo Kickl die Ängste der Menschen verstärkt hätte, statt produktiv zu agieren. 

Nehammer habe "Chance vertan"

Nehammers Stellungnahme sei "etwas seltsam" gewesen, sagt Kickl am Mittwoch zu Mittag eingangs. Sie sei direkt nach dem Treffen, in Eile, ohne "Überlegungsphase" erfolgt. "Man hat fast das Gefühl, dass hier jemand versucht, den sprichwörtlichen Sack direkt zuzumachen", so Kickl - in Anspielung auf eine Koalition ÖVP/SPÖ/Neos.

"Ich habe ihn gestern in gewisser Weise emotional beleidigt erlebt, einen beleidigten und gekränkten Wahlverlierer", so Kickl über Nehammer. Die ÖVP habe ihre Chance vertan, den Kurs anzupassen und zu korrigieren. Das wäre ein "Zeichen der Größe, der Stärke" und "Kanzler-like" gewesen, so Kickl. Was er in Nehammers Statement auch vermisst habe: eine Zukunftsansage.

"Ich bin mir jedenfalls sicher, dass der Nehammer-Text für diese Pressekonferenz gestern schon fix und fertig war, bevor wir überhaupt ein Wort gewechselt haben", meint Kickl. Nehammer habe im persönlichen Gespräch sogar dieselben Satzbausteine verwendet. War die Unterredung also umsonst? "Im Gegenteil, sie war auf eine bestimmte Weise sogar erhellend", antwortet sich Kickl selbst.

Was Kickl Nehammer gesagt hat

Dann nennt er Inhalte, Argumente und Vorschläge, die er im Gespräch mit Nehammer vorgebracht habe. Er habe versucht, eine "gemeinsame Ebene" zwischen FPÖ und ÖVP zu definieren. "Das ist auch für mich nicht leicht. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich jahrelang im Fadenkreuz, im Visier der heftigsten Angriffe der Volkspartei gestanden bin", sagt Kickl.

Er habe Nehammer Fakten genannt: etwa die schlechte wirtschaftliche Lage, die "Völkerwanderung" in Österreichs Sozialsystem oder die "sehr, sehr vielen Überschneidungen" zwischen den Programmen von ÖVP und FPÖ. Und: Die Wähler hätten der Politik den klaren Auftrag erteilt, eine "Mitte-rechts-Regierung" zu bilden.

Bergsteiger-Vergleich: "Warum soll das in der Politik nicht funktionieren?"

Auf der "Beziehungsebene" habe sich Kickl zudem um eine "Entkrampfung" bemüht. Man dürfe nicht dauernd in den Rückspiegel schauen, sondern die Kraft und Arbeit auf die Zukunft fokussieren. Eine Zusammenarbeit dürfe nicht nur unter Freunden möglich sein, es gehe vor allem um Professionalität. 

So sei es auch bei rivalisierenden Bergsteigern, die sich für große Projekte zusammenschließen. "Warum soll das bitte in der Politik nicht funktionieren? Gar nicht so selten wird aus so einer Zweckgemeinschaft eine Kameradschaft oder gar Freundschaft." Nehammer habe ihm hier sogar "Punkt für Punkt" recht gegeben. Doch Nehammer fehle der Wille.

Kickls Mappe

Zudem hat Kickl Nehammer eine Mappe überreicht. In der Mappe (das Dokument ist auch online auf der FPÖ-Website abrufbar) stünden "thematische Punkte". Die FPÖ hat Punkte definiert, die für beide Seiten akzeptabel sein sollten - etwa Sofortmaßnahmen zur Stabilisierung des Wirtschaftsstandorts oder für ein ausgeglichenes Budget zum Ende der Regierungsperiode. 

Die ÖVP hätte nur noch "Ja" sagen müssen, sagt Kickl. "Ich habe ihn (Nehammer, Anm.) ersucht, in aller Ruhe darüber nachzudenken, wenn er nicht gleich zustimmen kann." Nehammer habe offenbar Angst davor, dass es zu einer inhaltlichen Einigung kommen könnte. Denn dann würde er den Kanzlerposten verlieren.

Kickl warnt vor "Links-Schwenk" und bleibt optimistisch

Sobald es zu Gesprächen zwischen FPÖ und ÖVP komme, werde auch eine Einigung immer realistischer. Doch diese Tür dürfe "offenbar keinen Millimeter aufgehen", so Kickl. "Wer verweigert hier staatspolitische Verantwortung? Es ist Karl Nehammer, nicht ich." Beide Seiten müssten sich bewegen. Diese Bewegung sei auch "kein Verrat an irgendwelchen Wählern".

"Wenn er sich nicht in unsere Richtung bewegt, bewegen sich er und die ganze ÖVP in Richtung der Babler-SPÖ", so Kickl. Das wäre ein "noch schlimmerer Links-Schwenk" als die Koalition mit den Grünen. Was wohl Industrie, Wirtschaft und Bauernvertreter zu diesem "Kommando linksum" sagen würden?

Nehammer habe das Schicksal der ÖVP nun in Andreas Bablers Hände gelegt, diesen enorm stark gemacht, sich "einem Kleinen" ausgeliefert. Vermögens- und Erbschaftssteuer rückten nun wieder in greifbare Nähe. "Und das alles ist Gift für den Standort Österreich", meint Kickl.

In Summe bleibt Kickl optimistisch. Nehammer müsse sich nur "entkrampfen", die FPÖ habe ihren Beitrag geleistet. Ob er notfalls Platz mache, um eine Koalition mit der ÖVP zu ermöglichen? Diese Frage stelle sich nicht, betont Kickl.