Politik/Inland

Kampf um die besten Schulplätze

Dieser Tage erleben viele Familien ihren persönlichen Albtraum – Kinder weinen, Eltern sind entsetzt. Denn derzeit verschicken die Schulbehörden an Eltern die Mitteilung, ob ihr Kind den Platz im Wunschgymnasium bekommt.

Dieser Kampf um einen Platz in der AHS hat Auswirkungen – nicht nur auf die Familien, sondern auch auf Volksschullehrer und -direktoren, die AHS-Schulleiter und die Schulinspektoren.

Die Wiener Volksschullehrerin Andrea, die anonym bleiben will, hat „das Gefühl, dass es immer schlimmer wird.“ Sie unterrichtet derzeit eine vierte Klasse in einem Wiener Innenstadtbezirk. „Die Eltern haben das Gefühl, versagt zu haben, wenn ihr Kind nicht in eine AHS, sondern in eine Neue Mittelschule gehen muss. Sie fürchten nämlich, dass damit die Chance des Kindes auf ein gutes Leben dahin ist.“

Allerdings: Die Angst der Eltern vor den NMS ist jedenfalls in den großen Städten nachvollziehbar: Aktuell haben 72,8 Prozent der Wiener NMS-Schüler daheim eine nicht-deutsche Umgangssprache.

Zeichnet sich ab, dass einem ihrer Sprösslinge keine AHS-Reife beschieden wird, würden Eltern nicht selten „Himmel und Hölle in Bewegung setzen“, um das zu verhindern. „Zuerst wird den Lehrern gedroht, dann dem Direktor, dann den Schulinspektoren, immer mit dem Ziel, meine Benotung zu bekämpfen.“ Auch Rechtsanwälte würden beauftragt werden, oder versucht, Lehrer zu bestechen – auch wenn ihr das noch nie passiert sei, erzählt die Lehrerin.

Druck von Eltern

Das trifft nicht nur die Volksschulen, auch AHS-Schulleiter berichten von Eltern, die massiv Druck machen. Schlimm sei das alles vor allem für die acht- bis neunjährigen Kinder: Die Eltern setzen sie unter Druck, mehr und länger zu lernen. Rund sieben Prozent engagieren laut einer ifes -Studie vom April 2017 Nachhilfelehrer für Volksschulkinder.

Familie G., die ebenfalls anonym bleiben möchte, hat es auch ohne Nachhilfe geschafft. Dennoch war die Suche nach der richtigen Schule eine nervenaufreibende Zeit. „Zuerst hatte ich meinen Sohn Lukas in einer Privatschule angemeldet. Leider umsonst. Ich war geschockt über die Absage“, sagt die Mutter. Also versuchte sie es in einem Innenstadtgymnasium: „Leider hat man mir auch dort gesagt, dass wir keine Chance haben.“ Die Suche ging von vorne los. Jetzt wird ihr Sohn in eine Schule in der Nähe des Wohnorts gehen. Wobei: „Bei der Anmeldung hat uns niemand gesagt, dass das ein Gymnasium ist, das in der Unterstufe als NMS geführt. Ich hoffe es geht dennoch gut.“

Michael Sörös, Sprecher der Landesschulinspektoren, rückt die Zahlen etwas zurecht: „In Wien bekommen 98 Prozent der Schüler einen Platz in der Wunsch-AHS.“ Allerdings melden viele Eltern ihren Nachwuchs gar nicht in der Wunschschule an, sondern suchen sich wie Familie G. gleich eine Alternative – etwa Eltern in den Bezirken Liesing, Simmering und Favoriten, wo es zu wenige AHS-Plätze gibt.

Jedes 3. Kind

Rund 75.000 Kinder gehen derzeit in eine vierte Klasse Volksschule. Doch während im Österreich-Schnitt nur jedes dritte Kind (36 Prozent) in eine AHS wechselt, sind es im größten Ballungsraum Wien fast 53 Prozent.

Sind die Wiener Kinder denn so viel klüger als jene in den Bundesländern? Natürlich nicht.

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Dass immer mehr ins Gymnasium wechseln (siehe Grafik) führt zu einem neuen Problem: Sowohl AHS als auch NMS verlieren an Niveau. An Gymnasien „bremsen“ langsamere Kinder den Unterrichtsfortschritt. Und in den NMS, wo genau diese AHS-Kinder eigentlich Leistungsträger wären, fehlen sie.

„Enttäuschte Eltern wollen oft nicht glauben, dass ihre Kinder in einer qualitätsvollen Mittelschule besser gefördert werden und später trotzdem Matura machen könne“, beklagt Direktorensprecherin Isabella Zins. Sie spricht sich deshalb für ein neues Aufnahmeverfahren aus, indem bereits entwickelte Tests einbezogen werden.

Dass in den NMS immer weniger Schüler sind, spüren inzwischen auch Industrie und Handwerk – sie finden nur schwer geeignete Lehrlinge. „Wir machen für Lehrlinge seit 40 Jahren den gleichen Aufnahmetest: Flächen berechnen, Prozentrechnen, ein handschriftlicher Lebenslauf. Die Ergebnisse werden aber jedes Jahr schlechter“, sagt etwa Gabriel Feiner, Chef eines kleinen Metallbetriebs in der Obersteiermark.

Nur: Das habe nichts mit Migranten zu tun. Das bestätigt auch die Industriellen vereinigung Steiermark: Die AHS würden immer mehr Schüler wegnehmen, die NMS ausgedünnt. Kleine Betriebe seien längst im Wettbewerb um die wenigen gut qualifizierten Jugendlichen. Eine ge sellschaftliche Aufwertung der NMS sei mehr als über fällig.