Jeder Zweite ist verärgert über Dauerversager in der Politik
Von Daniela Kittner
Wie nach jeder Nationalratswahl legte auch gestern Politikforscher Peter Ulram eine Analyse des aktuellen Wahlergebnisses vor. Basierend auf 1250 Interviews am Wahltag betrieb Ulram Ursachenforschung. Die wichtigsten Ergebnisse:
Alter Die hauchdünne Stimmenmehrheit von Rot-Schwarz sicherten die Älteren. Ginge es nach den Wählern bis 45, hätten SPÖ und ÖVP nur mehr runde 40 Prozent. Bei den unter 30-Jährigen liegt die SPÖ besonders schlecht. Ulram: „Die Jungen glauben der SPÖ die Sicherheitsversprechen einfach nicht.“
Geschlecht SPÖ und Grüne werden von deutlich mehr Frauen gewählt als von Männern.
Stammwähler SPÖ und ÖVP haben einen reinen Stammwähler-Wahlkampf gemacht. Ulram: „Das Angebot an die mobilen Wähler wurde vernachlässigt. Wenn SPÖ und ÖVP so weitermachen, ist es absehbar, dass ihre Mehrheit weg ist.“ Wie im Jahre Schnee ist die SPÖ immer noch die Partei der gewerkschaftlich organisierten Arbeiter und die ÖVP die der regelmäßigen Kirchgänger (Grafik).
Der Einstand der Neos sei „beachtlich“, meint Ulram. Der Politikforscher glaubt, dass sich das österreichische Parteiensystem gerade wieder in einer Phase der Neuordnung befinde. Ulram: „Aber wohin die Entwicklung führen wird, ist noch nicht absehbar. Das zeigt sich noch nicht deutlich genug.“
Neos retteten SPÖ
Ulram sagt, ohne die Neos hätte die ÖVP „zumindest auf Augenhöhe mit der SPÖ abgeschnitten.“ Soll heißen: die SPÖ verdankt ihren ersten Platz und den Kanzlerposten möglicherweise den Neos.
Tatsächlich sind vier von zehn Neos-Stimmen von der ÖVP gekommen, besonders deutlich war das in Wien zu sehen: In den innerstädtischen Bezirken, wo die Neos zweistellige Prozentsätze einfuhren, hat die ÖVP besonders viel verloren. In den Außenbezirken, wo die Neos weniger Zulauf hatten, konnte sich die ÖVP halten.
An die Neos verloren haben auch die Grünen. Ulram: „Die Grünen vergessen gern darauf, dass ein Drittel ihrer Wähler wirtschaftsliberal ist. Diese Wähler sind alle weg, besonders wegen der Wiener Grünen.“
Interessant ist die Grundstimmung, in der diese Nationalratswahl stattfand. Noch nie haben so viele Bürger der Politik häufiges und substanzielles Versagen attestiert wie jetzt. Ulram: „Das ist eine Folge der Kombination von Stillstand und Korruption.“
47 Prozent der befragten Wähler halten die Politiker für Dauerversager. Dazu kommen noch die Nichtwähler, die gar nicht befragt wurden – in Summe also mehr als die Hälfte der Bürger.