"Im Zentrum" zu Eklat mit Israel-Flagge: "Es muss mehr Konsequenzen geben"
Von Laila Docekal
Wann immer es Konflikte zwischen Israel und Palästina gibt, steigt der Antisemitismus in Europa, erklärte Bini Guttmann vom Exekutivrat des Jüdischen Weltkongresses Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum". Seit den Ereignissen am 7. Oktober sei der Antisemitismus explodiert, "und da ist Wien keine Ausnahme".
Trotz der erhöhten Schutzmaßnahmen vor jüdischen und israelischen Einrichtungen kritisiert er, "das Sicherheitsgefühl vieler Jüdinnen und Juden in Wien ist ein sehr, sehr schlechtes". Eltern hätten Sorge ihre Kinder in jüdische Schulen zu schicken, ganz viele Menschen hätten derzeit Angst jüdische Institutionen aufzusuchen. "In genau dieser Situation fühlen wir uns derzeit in Wien von der Polizei nicht ausreichend geschützt."
Dass vor dem Wiener Stadttempel "nur" eine Israel-Fahne heruntergerissen wurde und kein Brandsatz auf die Synagoge geworfen wurde, wertet Guttmann als reinen Zufall. "Der Stadttempel ist nicht einfach nur ein reines Gebäude, das man zu den Öffnungszeiten schützen muss. Er ist die einzige Synagoge in Wien, die das Novemberprogrom überlebt hat, das Zentrum jüdischen Lebens in Wien."
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Dass so ein Ort nicht beschützt wird, ist ihm nach all den politischen Bekenntnissen der vergangenen Wochen "vollkommen unverständlich". Da müsse mehr passieren: "Da muss es mehr Konsequenzen geben."
"Die Außenwirkung ist ein komplettes Desaster"
Dem pflichtet Nicolas Stockhammer, Terror- und Extremismusforscher von der Donau-Universität Krems bei: "Es ist als fahrlässig zu sehen, dass der Objektschutz nicht mitgezogen hat. Es hätte durchaus Sinn gemacht, neuralgische Gebäude besonders zu schützen. Die Außenwirkung ist ein komplettes Desaster und das hätte man sich sparen können."
Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (NEOS) ist davon ausgegangen, dass der Stadttempel auch in der Nacht geschützt ist und stimmt mit ein, dass bisherige Schutzbekundungen "wohl Showpolitik" waren. Die Polizei in Wien sei personell nicht gut genug ausgestattet. "Wir haben ein systematisches Problem, die Sicherheit der jüdischen Gemeinde in Wien muss sichergestellt sein."
Auch Karl Mahrer, Landesparteiobmann der ÖVP Wien und ehemaliger Landespolizeikommandant der Bundeshauptstadt, zeigt sich tief betroffen und versteht jede Kritik. Allerdings betont er als ehemals selbst Verantwortlicher für den Bereich, dass die Schutzmaßnahmen stets im Einvernehmen mit den Betroffenen entschieden werden.
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"Das sind Menschen, die unseren Rechtsstaat missbrauchen"
Seyran Ates, Menschenrechtsanwältin und Autorin, die seit 17 Jahren unter Polizeischutz lebt, kritisierte in der Sendung den laschen Umgang mit dem gesellschaftlichen Antisemitismus: "Wir erleben Menschen, die unseren Rechtsstaat und die Meinungsfreiheit missbrauchen, um Antisemitismus und Judenfeindlichkeit zu verbreiten." Ates adressiert dabei konkret den muslimischen Antisemitismus, bei dem zu oft weggesehen worden sei.
Sie betont allerdings, dass es sich dabei nicht nur Palästinenser und Migranten handelt, die etwa bei Demos mitmachen. Kein einziges Land in Europa habe sich getraut, die Probleme in den Gegengesellschaften so zu benennen. "Wir brauchen in der Bildungsarbeit radikale Reformen. Wir müssen Lesen, Schreiben, Rechnen und Demokratie unterrichten, weil wir mehr Bewusstsein für Demokratie und Unrechtsbewusstsein vermitteln müssen. Wir müssen endlich radikal in diese Richtung unterrichten."
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