Politik/Inland

Grüne im Mauerblümchen-Eck

Johannes Voggenhuber sagt „wir“, wenn er über die Grünen spricht. Noch immer. Der Ex-EU-Mandatar ist 2009 im Streit gegangen, er sagt: „Wieso nicht? Ich war bei der Entstehung der Partei dabei. Umso mehr tut mir ihr Versanden weh.“ Am Samstag wählen die Grünen in Linz ihre Kandidaten für 2013 – als erste Partei, ein ganzes Jahr vor der Wahl. So wollen sie interne Querelen im Wahlkampf vermeiden; aber es stellt sich auch die Frage: Sind Interna das größte Problem? Oder gibt es da eine Sache, die dringender zu klären wäre: das Phänomen, das Voggenhuber „versanden“ nennt?

Denn eigentlich müssten die grünen Umfragewerte durch den Plafond schießen: Nur sie sparen sich Skandale Marke FPÖ, haben nicht die Blockierer-Punze der Regierungsparteien. Trotzdem: Die Umfragen mäandern zwischen zehn und 15 Prozent; das Graz-Ergebnis (12,14 Prozent) ist eine kleine Katastrophe: In Ballungszentren sind die Grünen eigentlich stark.

Voggenhuber: „Das Traurige ist, für diesen Moment wurden wir damals gegründet. Um in der Krise da zu sein, wenn das alte System kollabiert. Aber die Grünen haben sich alle Krankheiten der Altparteien eingefangen, sie verwalten Marktanteile mit Spindoktoren und Marketing. Haben Sie eine große Rede der Grünen zur Krise gehört? Ich nicht. Die Partei ruft lieber zur Sommertour mit Chillen und Grillen auf. “

Apokalypse

Voggenhuber zeichnet gerne apokalyptische Bilder. Aber auch Experten empfehlen der jungen Altpartei eine härtere Ansage. Politberater Thomas Hofer: „ Anfang der 2000er-Jahre wurde beschlossen: ,Jetzt wollen wir auch mal regieren.‘ So wurden die Kanten abgeschliffen. Das ist gerade für eine Partei schlecht, die im Finale eines Wahlkampfes sowieso untergeht, weil Sie mit ihren Themen nicht mehr durchkommt.“

Der Politologe Peter Filzmaier glaubt, dass die Grünen für die Schwäche der Ex-Großparteien bezahlen: Mit den 15 Prozent, die Parteichefin Eva Glawischnig als Ziel genannt habe, sei „eine Koalition rechnerisch fast unmöglich. Das motiviert weder Wahlkämpfer noch Wähler“. Anders gesagt: Wenn sich eine realistische Option einer Koalition am Horizont abzeichnet, könnte das den Grünen einen Schub geben. Filzmaier würde ihnen riskantere Strategien nahelegen, um ihr Potenzial abzurufen: „Rot-grünen Lagerwahlkampf etwa. Oder gezielt die ansprechen, die bisher kaum grün wählen – wie die Pensionisten. Beides ist riskant, aber was haben die Grünen zu befürchten? Im schlimmsten Fall wieder zehn Prozent.“

Für die Grünen selbst ist das Glas natürlich nicht halb leer, sondern halb voll. Die Mandatarin Gabi Moser ist als Vorsitzende des U-Ausschusses gemeinsam mit Peter Pilz so was wie das Gesicht der grünen Aufklärungskampagne geworden. Sie sagt: „15 Prozent. Damit haben wir real vom letzten Wahlergebnis um 50 Prozent zugelegt. Das Ende der Fahnenstange ist längst nicht erreicht.“

Jenen, die fehlenden Mut unterstellen, sagt sie: „Wenn es kein Mut ist, wenn Maria Vassilakou eine Miet-Obergrenze fordert, dann weiß ich auch nicht, was Mut ist?“ Die Wiener Vizebürgermeisterin hatte gefordert, die Mieten mit sieben Euro pro Quadratmeter zu deckeln.

David Ellensohn, Klubchef in Wien, glaubt wie Moser, dass die Aufklärungsarbeit noch für steigende Zustimmung sorgen wird: „Wir werden nächstes Jahr einen großen Wahlerfolg feiern.“ Das System habe sich bisher gewehrt und versucht, auch Grünen Skandale anzudichten. „Aber das hat nicht funktioniert.“ Er ist sicher: „Wenn das Interesse an Aufklärung das einzige Wahlmotiv wäre, hätten wir nach der Wahl sogar eine absolute Mehrheit.“

Fakten

Nationalrat
1983 haben die Grünen den Einzug verpasst, seit ’86 sitzen sie im Parlament und wachsen – langsam. 2008 gab es sogar ein Minus: 10,4 Prozent; noch 2006 hatten sie 11,05 %.

Länder
In fast allen Ländern gab es ebenfalls Dämpfer bei den letzten Wahlen: In Wien fielen die Grünen von 14,63 % (2005) auf 12,64 % (2010); in Tirol verloren sie fast fünf Prozentpunkte. Zuwächse gab es in Vorarlberg (+0,46), Oberösterreich (+0,1) und Steiermark (+0,82).

Viel früher als alle anderen Parteien schließen die Grünen am Samstag auf ihrem Bundeskongress die Listenerstellung für die Nationalratswahl 2013 ab. Auffallend: ein Großteil der Abgeordneten, die bereits im Parlament sitzen, haben sich ihr Ticket für die nächsten fünf Jahre wieder gesichert. Bis jetzt ist kein einziger Newcomer von außerhalb der grünen Parteiwelten auf einem sicheren Platz, spannende neue Persönlichkeiten wurden auf „Kampfmandate“ verbannt – also auf Listenplätze, die nur bei merkbarem Wahlgewinn zum Einzug ins Hohe Haus reichen.

Da wäre in erster Linie der profilierte Anwalt für Fremdenrecht, Asyl und Grundrechtsfragen, Georg Bürstmayr zu nennen. Den Praktiker haben die Wiener
Grünen auf den aussichtslosen neunten Platz gereiht, die fünf bis sechs Wiener Fix-Mandate gehen an politisches Stammpersonal.

Oder Niederösterreich. Dort bewirbt sich die Psychotherapeutin Eva Mückstein , die aus ihrem Spezialfach Kinder, Jugend und Familie praktische Ansätze in die Politik einbringen könnte. Reihung: unrealistischer dritter Platz.

Oder Tirol. Zwar zieht der erfrischende bisherige Landtags-Klubobmann Georg Willi von Innsbruck nach Wien um, allerdings zu einem hohen Preis: Sigrid Maurer , die 27-jährige Ex-Vorsitzende der Hochschülerschaft erhielt – erraten – nur ein Kampfmandat.

Maurer hat wenigstens am Samstag – beim großen Stechen um die sechs Bundesmandate – ganz gute Karten. Die Plätze vier bis neun können mit einem Einzug in den Nationalrat rechnen (die Plätze eins, zwei und drei gehen an Eva Glawischnig , Werner Kogler und Gabriela Moser ; das grüne Statut schreibt aber vor, dass diese drei ihre Landesmandate nehmen müssen, daher ist der vierte Platz eigentlich der erste.) Die Plätze vier, sechs und acht gehen an Männer, die Plätze fünf, sieben und neun an Frauen. Platz vier will Peter Pilz haben. Um die zwei verbleibenden Männer-Tickets bewerben sich mindestens sieben – Bürstmayr braucht schon viel Glück für einen Erfolg. Um die drei Frauen-Tickets ist weniger Gedränge. Die könnten sich für Umweltsprecherin Christiane Brunner , die Gehörlosen-Vertreterin Helene Jarmer und Sigrid Maurer gerade ausgehen. (Daniela Kittner)