Gesundheitsreform: "Mit einem Diktat aus Wien kriegt man das nicht hin"
Von Daniela Kittner
Christopher Drexler (Foto) ist Kronprinz in der steirischen ÖVP. Aufstrebende Politiker versuchen in der Regel, sich populär zu machen, um etwaige Konkurrenten zu überstrahlen.
Nicht so Christopher Drexler.
Er sperrt sechs Spitäler zu. Er krempelt die Gesundheitsversorgung im ganzen Bundesland um, was für Unruhe in der Bevölkerung, bei Spitalbelegschaften, Bürgermeistern und anderen Funktionären sorgt.
Die Steiermark ist ein Praxistestland für die Gesundheitsreform.
Erster Schritt zur Reform war ein Plan. Drexler hat die Beteiligten (Krankenkassen und Spitalsbetreiber) sowie Wissenschafter vom Joanneum Research an einen Tisch geholt, um eine zeitgemäße Gesundheitsversorgung auszuarbeiten. Der Plan reicht bis ins Jahr 2035, jener Abschnitt, der bis 2025 gedacht ist, befindet sich bereits in Umsetzung.
An eine Schlüsselstelle hat sich Drexler einen Profi geholt: Günther war als SPÖ-Landesrat sieben Jahre für das steirische Gesundheitswesen zuständig. Inzwischen arbeitet er für eine Privatfirma. Zusätzlich hat Dörflinger auf Wunsch der steirischen ÖVP den Aufsichtsrats-Vorsitz in der Kages, der Krankenanstaltengesellschaft des Landes, übernommen. Dörflinger, der die private und die öffentliche Wirtschaft kennt, schwärmt davon, wie professionell die Gesundheitsreform in der Steiermark umgesetzt werde.
Projekt Liezen
Das jüngste Projekt läuft im Bezirk Liezen. Er ist flächenmäßig größer als Vorarlberg und hat derzeit drei Spitäler. Diese drei werden zugesperrt, und an deren Stelle im zentral gelegenen Stainach ein neues gebaut. Es soll 2025 in Betrieb gehen. Die drei derzeitigen Spitalsgebäude beherbergen künftig Gesundheitszentren und Fachärzte – also ausschließlich ambulante Behandlungen. Auf sperrige Bezeichnungen wie Primary Healthcare Center oder Primärversorgungszentren verzichten die Steirer. „Das ist schwer vermittelbar, wir reden von Gesundheitszentren“, sagt Drexler. Aus dem derzeitigen Spitalstandort Schladming wird naheliegenderweise eine große Unfallambulanz, wegen der Schifahrer und der Holzfäller. Schwer Verunglückte werden ins neue Spital Stainach gebracht.
Geübte Ärzte
Die geplante Struktur mit einem großen Spital statt drei kleinen und dafür drei regionalen, ambulanten Ärztezentren hat für die Bevölkerung Vorteile. Im großen Spital steigt die Qualität der Behandlung, weil mit größeren Patientenzahlen die Erfahrung der Ärzte steigt. Das neue Ärztearbeitszeitgesetz mit maximal 48 Wochenstunden verteilt die vorhandenen Patienten auf mehr Ärzte. Dadurch werden kleine Fallzahlen in Kleinspitälern zusätzlich kleiner. Mit Pech käme man mit einem akuten Blinddarm auf einen Arzt, der schon ein Jahr lang keinen mehr operiert hat und entsprechend ungeübt ist.
Dienstradl statt Einzelpraxis
Gesundheitszentren sind wiederum ein Heilmittel gegen den grassierenden Ärztemangel auf dem Land. „Es ist erheblich leichter, Ärzte für ein Gesundheitszentrum zu finden als Einzelärzte für ein fernes Tal. Im Gesundheitszentrum gibt es planbare Arbeitszeiten, Teamarbeit und Hilfspersonal wie Pfleger“, erzählt Drexler. So mancher Arzt, der in einem entlegenen Gesundheitszentrum arbeitet, pendelt von Graz ein. Wäre er oder sie ein traditioneller Kassen-Einzelarzt mit Bereitschaftsverpflichtung vor Ort, wäre Pendeln unmöglich. Im Team hingegen sind Dienstradln möglich, die man in Arbeit und Freizeit blocken kann.
Eine andere Reformvariante wurde in der Weststeiermark angewandt. Aus zwei nahe gelegenen Kleinspitälern wurde ein großes auf zwei Standorten gemacht. Jeder Standort spezialisierte sich auf einen Teil der Behandlung, und zusammen ergeben sie ein Ganzes: so geschehen in Voitsberg und Deutschlandsberg.
900 Betten weniger
Die Gesundheitsreform löst in der Steiermark alljährlich seit 2014 öffentliche Investitionen von rund 400 Millionen aus. Anders als im Wiener Krankenhaus Nord blieben die abgerechneten Ausgaben bisher stets unter den geplanten.
In Summe werden bis 2025 900 Betten abgebaut, von 6800 auf 5900. "Dennoch steigt die Qualität der Versorgung, denn diese hängt nicht mehr an der Anzahl der Spitalsbetten", sagt Dörflinger.
Um Projekte wie im Bezirk Liezen durchzuziehen, ist enormer Aufwand nötig. „Mit einem Diktat aus Wien kriegt man das nicht hin“, sagt Dörflinger. Um die Akzeptanz der Bevölkerung, der regionalen Politiker und der Belegschaften der Spitäler zu erhalten, „braucht man die Kenntnis der Region“. Drexler und Dörflinger sind gemeinsam in Bürger- und Betriebsversammlungen und auf Bürgermeisterkonferenzen aufgetreten. „Wenn man sich gut vorbereitet und gute Argumente hat, kann man auch vermeintlich Unpopuläres machen“, sagt Dörflinger.
Keine "blöden Länder"
Drexler stimmt die Gesundheitsversorgung inzwischen auch mit der Nachbarschaft, Beate Prettner in Kärnten und Hans-Peter Doskozil im Burgenland, ab. So sollen die Spitäler Oberwart und Hartberg künftig eine Einheit bilden. Mit Kärnten wird die Kooperation, sobald es den Koralmtunnel gibt, an Relevanz gewinnen. Drexler: „Das Argument, die blöden Länder bringen nichts weiter, greift zu kurz. Wir sind schneller, wir brauchen keine Direktiven aus dem Bund abzuwarten.“