Feiern im Heim: "Das Schöne an Weihnachten hervorholen"
„Romantisch leises Abenteuer, und es hetzt uns kein Termin“: Weihnachtliche Schlager-Klänge schallen aus dem Radio, für die Zuhörer wohl einen Hauch zu leise eingestellt.
Sorgsam und wahrhaftig ungehetzt falten die Damen, die da im Seniorenschlössl Atzgersdorf am Tisch sitzen, Servietten. Ecke auf Ecke, so präzise es geht. Herta Schittenhelm ist fast blind, gibt sich aber größte Mühe mit der Fertigung von Tischdekoration für das große Heim-Weihnachtsfest.
Das Basteln macht ihr Freude, und in der Vorweihnachtszeit gibt es viel zu tun – das kennt sie noch von daheim. Von dort ist sie seit drei Jahren weg, jetzt nennt die 85-Jährige das Pflegezentrum im Wiener Bezirk Liesing ihr Zuhause.
So schön es hier sei, so viel Mühe sich die Pfleger auch geben, Frau Schittenhelm gesteht ein: „Es ist mein letztes Rennen im Leben, das schwingt immer mit.“
Letzte Station im Leben
Für die rund 150 Bewohner des Pflegeheims dürfte dies tatsächlich die letzte Station im Leben sein: Vier Stockwerke, auf jedem steht ein Christbaum, helle Räume, liebevoll dekoriert, es riecht nach Filterkaffee.
An einer Tasse mit dem pechschwarzen, dampfenden Elixier nippt Brigitte Pleininger – ohne Milch und Zucker, sie ist Diabetikerin; und hier im Heim, weil ihr Anfang des Jahres ein Oberschenkel amputiert wurde. Es ist ihr erstes Weihnachten im Heim, aber Frau Pleininger ist pragmatisch. „Ich habe im dritten Stock gewohnt. Es war mir bewusst, dass ich das der Familie nicht antun kann, mich daheim zu pflegen.“
Wichtiges, emotionales Fest
85 Prozent der Bezieher von Pflegegeld werden zu Hause gepflegt, nur rund 82.400 Ältere waren 2017 in einer stationären Einrichtung. Die meisten bleiben, so lange sie können, lieber in den eigenen vier Wänden, bestätigt die 77-Jährige – auch ihr sei der Abschied schwer gefallen. Eine behindertengerechte Wohnung als Alternative „hätte sich bei mir nicht ausgezahlt. Es sei denn, Sie geben mir eine Garantie, dass ich noch 20 Jahre lebe“, scherzt die Heimbewohnerin.
„Wie daham“ nennt sich der Privatbetreiber des Seniorenschlössls, und „wie daham“ soll es sich für die Klientel auch anfühlen. „Weihnachten ist ein sehr wichtiges, ein sehr emotionales Fest. Bei den Bewohnern werden Erinnerungen geweckt, und man merkt, sie sind gerührt. Wir versuchen, diese Zeit mit möglichst vielen Veranstaltungen abzudecken“, erklärt Leiter Thomas Kleewein beim KURIER-Besuch.
Das beginnt mit einem Punschstand, geht über einen Weihnachtsmarkt und endet mit einer Heim-Weihnachtsfeier inklusive klassischem Konzert und üppigem Buffet, zu dem die Angehörigen eingeladen sind. In der Weihnachtszeit werden auch Speisen angeboten, die viele von ihrer Heimat kennen – Schinkenrollen zum Beispiel seien „der Renner“. Es zählen die kleinen Dinge.
Vergangenes und Schönes
Die meisten, so Kleewein, würden am Heiligen Abend von ihren Familien zu sich nach Hause geholt, deshalb wird das Fest im Schlössl einige Tage vorher gefeiert. Es gibt aber auch Bewohner, die niemanden haben – sei es, weil man zerstritten ist, weil sich der Kontakt zu Verwandten verloren hat, oder auch, weil die Kraft im Alter nachlässt.
Am 24. Dezember gibt es für jene, die nicht abgeholt wurden, ein eigenes Programm, sagt Kleewein: „Wir gestalten den Tag möglichst schön, um die Gedanken etwas verfliegen zu lassen. Wir erzählen uns Geschichten, holen das Schöne an Weihnachten hervor.“
Mit Geschichten (und erstaunlich derben Witzen) kann Ottilie Lischka dienen. Während die anderen an der Tischdeko werkeln, sitzt die 94-Jährige in ihrem mit vielen Fotos dekorierten Zimmer, erzählt von ihrer Kindheit in „Sankt Meidling“, und was das für eine Sensation war, als einmal ein Bursch mit einem Moped vorfuhr, oder von ihrem Job als Telefonistin in der Nazizeit. „Das ist Zeitgeschichte, ich hatte ein langes Leben“, sagt sie, und beendet ihren Monolog abrupt: „Es war ein erholsamer Nachmittag. Danke, dass ich meine Gehirnwindungen wieder betätigen konnte.“
Lesen Sie am 25.12.: „Ein Sehnsuchtsort namens Familie“