Familienbeihilfe: ÖVP prescht erneut vor
ÖVP-Außenminister Sebastian Kurz ist erfreut. Das verwundert nicht. Ein Gutachten des Arbeits- und Sozialrechtlers Wolfgang Mazal besagt sinngemäß, Österreich könne die Familienbeihilfe, die für Kinder ins Ausland überwiesen wird, im Alleingang indexieren, also kürzen. Eine EU-weite Vereinbarung sei nicht vonnöten.
Kurz hatte schon 2015 gefordert, dass die Familienbeihilfe für im EU-Ausland lebende Kinder an die jeweiligen Lebenshaltungskosten in der Heimat anpasst werden soll. Österreich könnte sich damit 100 Millionen Euro ersparen, rechneten Kurz und ÖVP-Familienministerin Sophie Karmasin vor. "Es hat immer geheißen, das sei EU-rechtlich nicht möglich. Jetzt zeigt sich, es geht doch. Wir werden daher die Gesetzeslage dementsprechend verändern", kündigte Kurz an.
Warum ist Mazal im Gegensatz zu Experten auf EU-Ebene der Ansicht, dass Österreich eine nationale Regelung schaffen kann, ohne EU-Recht zu verletzen?
Die Sache ist komplex. Ausgangspunkt für Mazals Expertise ist eine EU-Verordnung, die besagt, dass EU-Bürger, die in einem anderen EU-Land wohnen, Anspruch auf Leistungen für Familienmitglieder haben, konkret "als ob" die Angehörigen in diesem Land leben würden. Das heißt: Ein Rumäne, der beispielsweise in Österreich arbeitet, dessen zwei Kinder aber in Rumänien leben, hat Anspruch auf Familienbeihilfe aus Österreich für seine beiden Kinder. Das bedeutet laut dem Experten aber nicht, dass die Familienbeihilfe stets in einheitlicher Höhe ausbezahlt werden muss. Mazal erklärt, in Österreich habe die Beihilfe den Zweck, die Unterhaltspflichtigen (also die Eltern) finanziell zu entlasten bzw. einen Teil der Ausgaben für die Kinder zu decken. Bekomme etwa ein Kind in Rumänien ebenso viel Familienbeihilfe wie ein Kind in Österreich, wäre das "nicht mehr gerecht". Die Kinder würden also nicht mehr so behandelt, "als ob" sie in Österreich leben würden. Denn sie würden in Relation "überfördert", also mehr Unterstützung bekommen als Nachwuchs in Österreich. Mazal betont , dass eine solche Regelung auch eine Anpassung der Beihilfe nach ob bedingen würde, wenn Kinder in Ländern mit höheren Lebenshaltungskosten wohnen.
EU pocht auf Fairness
In der EU-Kommission will man die neue Idee aus Österreich "nicht kommentieren". Es gebe ja "keinen konkreten Vorschlag", sagt Kommissionssprecher Christian Wigand. Er betont aber, dass es der Kommission "um Fairness bei der Arbeitskräftemobilität in Europa" gehe. "Das Prinzip ist klar: gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort. Das gilt ebenso für Beitragszahlungen und Beihilfen."
Mazal entgegnet, nicht die Kommission werde entscheiden, ob eine österreichische Regelung rechtskonform sei, sondern der Europäische Gerichtshof. Denn ein solches Gesetz würde gewiss gerichtlich bekämpft werden – sei es von der Kommission oder von Betroffenen.
Europarechtsexperte Walter Obwexer, der Mazals Argumentation auf KURIER-Anfrage geprüft hat, beurteilt die Chancen der potenziellen Kläger als gut: "Der EuGH hat die entsprechende Verordnung bisher immer zugunsten der Arbeitnehmer ausgelegt. Wenn er bei seiner bisherigen Judikatur bleibt, glaube ich daher nicht, dass eine solche österreichische Regelung halten wird." Es sei aber nicht gänzlich ausgeschlossen, dass der EuGH seine Rechtsauslegung ändere.
Zurückhaltend reagierte Othmar Karas, ÖVP-Delegationsleiter im EU-Parlament, auf den Vorstoß seiner Partei: "Jede Maßnahme ist möglich, die nicht diskriminierend ist und die nicht zwischen EU-Bürgern unterscheidet." Kritisch äußerte sich SPÖ-Mandatarin Evelyn Regner: "Wir wollen, dass die Unterschiede in Europa nicht größer werden, sondern kleiner. Eine Indexierung ist das Mittel, die bestehenden großen Unterschiede zu zementieren." Wie Regners Parteikollege Alois Stöger die Sache sieht, ist offen. Der Sozialminister muss sich mit der ÖVP auf ein Gesetz einigen. Noch diese Woche wird verhandelt.