Politik/Inland

EU-Renaturierung: Nichtigkeitsklage bedeutet "juristisches Neuland"

Mit der vom Kanzleramt angekündigten Nichtigkeitsklage beim EuGH gegen das Vorgehen von Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), die am Montag im Rat der EU-Staaten für das EU-Renaturierungsgesetz gestimmt hat, wird "juristisches Neuland" betreten. Das sagte Walter Obwexer, Experte für Europäisches Verfassungsrecht, im Gespräch mit der APA. Die Chancen stünden "nicht schlecht", dass der Ratsbeschluss vom EuGH wegen Formmängeln aufgehoben wird.

Gewessler hatte gegen den Willen des Koalitionspartners ÖVP für die Verordnung gestimmt, nachdem Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) noch am Sonntagabend den belgischen Ratsvorsitz darüber informiert hatte, dass Gewessler dazu nicht berechtigt sei. Für Obwexer ist "wohl davon auszugehen, dass der Beschluss zustande gekommen ist und im Amtsblatt veröffentlicht werden wird". 

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Österreich habe ab Veröffentlichung dann eine Frist von zwei Monaten und zehn Tagen, um die avisierte Nichtigkeitsklage einzubringen. Mit einer Entscheidung des EuGH sei dann in rund eineinhalb Jahren zu rechnen, erläuterte Obwexer, Dekan der rechtswissenschaftlichen Fakultät an der Uni Innsbruck.

War Gewessler nicht bevollmächtigt?

Von Bedeutung ist aus rechtlicher Sicht, dass Gewesslers Stimme maßgeblich für das Zustandekommen des Ja zur EU-Verordnung war. Beachtlich ist dabei, dass der Rat von Nehammer vorab darüber informiert wurde, dass Gewessler nicht bevollmächtigt sei, dem Gesetz zuzustimmen, wobei Nehammer auf eine aufrechte negative Stellungnahme der Bundesländer und das fehlende notwendige Einvernehmen mit dem Landwirtschaftsministerium verwies. Der Rat habe sich darüber hinweggesetzt. 

Wie der Beschluss zu werten sei, müsse nun der EuGH entscheiden. "Diese Entscheidung wird zukunftsweisend sein", meinte der Experte. Eine entsprechende Fallkonstellation habe es bisher nicht gegeben, daher liege zu dieser Thematik auch noch keine Judikatur vor.

Experte: Höchst komplexe Lage

Für den Verfassungs- und Verwaltungsjuristen Peter Bußjäger ist die rechtliche Lage nach Österreichs Zustimmung zum EU-Renaturierungsgesetz beim heutigen Umwelt-Rat in Luxemburg höchst komplex. Weder hält er die Argumentation von Ministerin Gewessler, der am 11. Juni erfolgte Landesregierungsbeschluss Wiens habe die Lage geändert und die Bundesländer-Blockade aufgelöst, für schlüssig, noch hält er es für ausgemacht, dass Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) alleine eine Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen könne. "Das wird man sich genau ansehen müssen", so der an der Universität Innsbruck lehrende Vorarlberger am Montag im Gespräch mit der APA.

Wiener Beschluss nicht ausreichend?

"Meines Erachtens ist der Beschluss der Wiener Landesregierung nicht ausreichend. Die Bindungswirkung der einheitlichen Länderstellungnahme besteht weiter", erklärte Bußjäger. Seines Wissens habe es keine offizielle Information Wiens an den Bund gegeben. Überdies gelte der Rechtsgrundsatz, dass getroffene Beschlüsse nur auf jenem Weg geändert werden könnten, auf dem sie getroffen wurden.

Die Argumentation Niederösterreichs als aktuellem Vorsitzland der Landeshauptleutekonferenz, das Ausscheren von nur zwei Bundesländern (Wien und Kärnten, Anm.) aus der einstimmig verabschiedeten Länderstellungnahme gegen das Gesetz zur Wiederherstellung der Natur reiche zu einer Annullierung des einstigen Beschlusses nicht aus, ist für Bußjäger absolut nachvollziehbar.

Befassung des Ministerrats

Für offen hält Bußjäger dagegen die Frage, wie die ÖVP nun tatsächlich gegen Gewesslers Alleingang juristisch vorgehen könnte. Angekündigt wurde neben einer Anzeige wegen Amtsmissbrauchs das Einbringen einer Nichtigkeitsklage beim EuGH durch Europaministerin Edtstadler.

"Die Frage ist schon, ob sie damit (Anm. der Nichtigkeitsklage) nicht vorher den Ministerrat befassen muss", meinte Bußjäger. Dort regiert bekanntlich das Einstimmigkeitsprinzip. Die nächsten juristischen Gutachten dürften also bereits in Vorbereitung sein.