Eine Armee ohne Feind?
Am 1. Juli 1991 wurde der Warschauer Pakt aufgelöst. 550.000 sowjetische Soldaten wurden aus Europa abgezogen. Die osteuropäischen Ex-Mitglieder des Bündnisses integrierten sich in NATO und EU. Es gibt nun niemand mehr, der Willens und in der Lage wäre, Europa und damit Österreich militärisch anzugreifen.
Seither gibt es Diskussionen um das Bundesheer. Es wurde der Ruf laut, die "Friedensdividende" einzulösen und das Bundesheer aufzulösen. Tatsächlich werden aber seither die Armeen europaweit ständig mit neuen Aufgaben konfrontiert.
Internationaler Terror
Bei den Bombenanschlägen am 11. März 2004 in Madrid wurde die spanische Armee zur Absicherung benötigt. Auch der Bombenanschlag am 7. Juli 2005 in London war nur mit einem Armee-Einsatz zu bewältigen. Selbst ein Einzeltäter, wie der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik, brachte die zivilen Sicherheitsstrukturen an den Rand der Kapazitäten. Beim Attentat in Oslo mussten Soldaten wichtige Gebäude schützen.
Aufgrund dieser Ereignisse war für die österreichischen Sicherheitsanalysten bald klar, dass die Polizei schon alleine mit der Überwachung der Raffinerie Wien Schwechat überfordert wäre. Diese Bedrohungen sind nun ein Schwerpunkt im neuen österreichische Konzept der "Umfassenden Sicherheitsvorsorge", wo von einer Demilitarisierung keine Rede mehr ist.
Kampfpanzer
Dafür kamen nun die schweren Panzer in die Kritik. Denn nach dem Wegfall des Feindes drohe keine Panzerschlacht mehr im Marchfeld. Das akzeptierten selbst die Militärs, und ließen widerstandslos 750 ohnehin veraltete Panzer – das sind zwei Drittel der Flotte – einmotten. Sie wollen aber die wenigen noch vorhandenen Kampfpanzer Leopard und einige schwere Artilleriegeschütze erhalten. Und zwar zur Aufrechterhaltung eines "angemessenen Wissensstandes und der Handlungskompetenz", wie es in den Empfehlungen der Bundesheerreformkommission heißt. Das hat zwei Gründe: Wenn sich die geostrategische Großwetterlage wieder ändert, braucht man zumindest ein paar Spezialisten, die noch wissen, wie man mit Kampfpanzern umgeht. Und bei den Petersberg-Aufgaben für die EU müssen österreichische Soldaten mit diesen Waffensystemen umgehen. Das können sie aber nur, wenn sie damit auch üben.
Internationalisierung
Neue Herausforderungen tun sich auch im Ausland auf. Zusätzlich zu den Engagements bei der UNO hat sich Österreich nach dem EU-Beitritt auch zur Mitwirkung an der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) verpflichtet. Und zwar im gesamten Spektrum der Petersberg-Aufgaben, also auch für Kampfeinsätze. Dafür wurde in Mautern/Donau ein Logistik-Bataillon aufgebaut, das im Ernstfall die Aufgabe hat, eine EU-Battlegroup zu versorgen. Am Balkan war das Heer auch bereits unter NATO-Kommando im Einsatz.
Katastrophenschutz
Unumstritten ist eine Nebenaufgabe des Bundesheeres: Die Assistenzleistung bei Katastrophen. Die wird so effektiv erledigt, dass manche schon meinen, es wäre die Hauptaufgabe. Hier haben sich insbesondere die Rekruten bewährt. Sie spielen mit ihren Inlandseinsätzen den Miliz- und Berufssoldaten den Rücken frei für deren Auslandsengagements.
Heer muss im Krisenfall bei Polizei aushelfen Herbert Anderl ist Generaldirektor für öffentliche Sicherheit im Innenministerium und Herr über 27.500 Polizisten. Selbst diese scheinbar hohe Zahl kann im Anlassfall sehr rasch zu klein sein, und dann braucht Anderl Verstärkung vom Bundesheer.
Anderl zum KURIER: "Mir ist es wichtig, dass ich meine sicherheitspolizeilichen Aufgaben erfüllen kann, unter besonderer Bedachtnahme auf die kritische Infrastruktur." Gemeint sind Einrichtungen wie die Schaltstellen der Regierung, wichtige Energieversorgungseinrichtungen wie Kraftwerke und Verteileranlagen, Kommunikationseinrichtungen und vieles mehr. Denn schon ein Anschlag auf ein bestimmtes Umspannwerk in Wien könnte fast die ganze Stadt lahmlegen.
Dazu kommt aber auch noch kritische Infrastruktur mit internationaler Bedeutung. Bei einem Anschlag auf einen bestimmten Gasverteiler im Marchfeld würde in Teilen Deutschlands die Gasversorgung zusammenbrechen.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat erst in den letzten Monaten den Katalog der schutzwürdigen Objekte aktualisiert. Deren Zahl ist geheim, liegt aber auf jeden falls weit über hundert.
Eine Assistenzanforderung ans Heer könnte relativ rasch notwendig werden, erklärt Anderl. Ein Anschlag wie in Madrid oder London würde genügen. "Ich könnte in diesem Fall nicht alle Polizisten aus Österreich zusammenziehen, und den Rest der Republik schutzlos lassen."
Die Aufgaben der Soldaten in diesem Falle: Sichern, Beobachten und Melden. Braucht man dafür eine Berufsarmee? In diese Diskussion will sich Anderl nicht direkt einmischen, lässt aber klare Präferenz für das derzeitige Wehrpflichtsystem durchblicken: "Ich brauche keine top-ausgebildeten Super-Profis, sondern Soldaten, die mit den militärischen Grundfertigkeiten vertraut sind – so wie die früher vorhandenen Wach- und Sperrkompanien.“ Aufgaben, für die Rekruten und Milizsoldaten bestens geeignet seien.