Politik/Inland

Ein Jahr Kern: Von der Stilwende zu Instagram

"Wenn wir dieses Schauspiel weiter liefern, ein Schauspiel der Machtversessenheit und der Zukunftsvergessenheit, dann haben wir nur noch wenige Monate bis zum endgültigen Aufprall. Wenige Monate, bis das Vertrauen und die Zustimmung in der Bevölkerung restlos verbraucht sind."

So klang das, als Christian Kern am 17. Mai 2016, also genau vor einem Jahr als neuer Bundeskanzler vor die Kameras trat. Kern, der Politik-Quereinsteiger, der Außenseiter, Kern der Erfolgsmanager stand für einen verheißungsvollen Neubeginn. In der SPÖ, in der es nach dem unsanften Abgang von Werner Faymann rumorte; in der Bundesregierung; und generell in der Politik. Kern stand für eine Stilwende.

"Wir wissen, dass die Stimmung im Lande schlecht ist. Das ist nicht nur ein psychologisches Motiv, sondern hat auch fundamentale Gründe, wie ich ausgeführt habe. Und diese schlechte Stimmung gilt es zu drehen“, sagte Kern damals.

Ein Jahr später muss man festhalten: Der ausgerufene Neustart mag Kern in der SPÖ gelungen sein. Mit dem Plan A und der dazugehörigen Grundsatzrede Mitte Jänner in Wels verschaffte der Kanzler der Partei wieder ein Profil, eine Zukunftsvision die von vielen Genossen mitgetragen wird. Was die Bundesregierung im Speziellen und den Politikstil im Allgemeinen betrifft, könnte die Bilanz jedoch schlechter nicht ausfallen. Seit gestern sind die Neuwahlen am 15. Oktober fix. Die „Stimmung im Land“, die Kern vor einem Jahr noch „drehen“ wollte, ist am Boden.

"Dauerwahlkampf"

Dazu beigetragen hat auch Kerns Profilierung in der SPÖ selbst, sagen seine Kritiker in der ÖVP. Von Dauerwahlkampf, ständiger Selbstinzenierung ist da die Rede. Dass angesichts steter Querschüsse insbesondere von Minister Wolfgang Sobotka dasselbe für die ÖVP gelten muss, ist eine andere Geschichte.

"Solange die Partei wahrnimmt, dass Kern populärer als die Partei ist, hat er viel Freiraum. Kerns Bonus sind Rhetorik, Stil – ein Auftreten wie Emmanuel Macron. Man könnte glauben, wüsste man es nicht besser, Macron hat Kern studiert. Kern ist sehr flott, sehr cool, sehr in. Und das bringt ihm offenkundig Bonuspunkte", sagte Politologe und SP-Kenner Anton Pelinka im KURIER über die Performance des Kanzlers.

Die meta-politischen Ansagen von Christian Kern waren von Beginn auch immer mit einer neuen Inszenierung gepaart. Die Marke "Slim-Fit-Kanzler" hat sich 51-Jährige auch selbst zuzuschreiben, wenn ihn hauseigene Fotografen auf Instagram in Szene setzen. Natürlich sah da Reinhold Mittlerlehner vergleichsweise alt aus. Im digitalen Zeitalter, der steten "Überfrachtung mit Botschaften ist es besonders schwer, auf sich aufmerksam zu machen", analysierte Werbe-Profi Radjabi im KURIER. Das Fußball-Foto auf Instagram (siehe unten) habe Akzente gesetzt.

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Dass Kern inzwischen auch „Pizza“ ausgeliefert hat und das in einem Video auf Facebook als „Mittelstandskampagne“ verkaufte, legten ihm die politischen Gegner hingegen als weniger gelungenes Beispiel der Inszenierung gelten. Die Zuschreibung „Pizza-Kanzler“ wird Kern weniger freuen. Wobei Werbe-Profi Radjabi auch hier findet, dass es sich um einen "gelungenen Versuch im Kampf um Aufmerksamkeit" handelt.

Wobei der Auftritt in den Sozialen Medien letztlich kaum dazu angetan ist, die Amtszeit von Christian Kern zu definieren. Programmatisch ist neben seiner in der SPÖ euphorisch aufgenommenen Antrittsrede vor allem jener Auftritt zu erwähnen, den er 11. Jänner in Wels dazu nutzte, um seinen Plan A zu präsentieren,

"Wir haben unbequeme Wahrheiten ignoriert. Wir haben die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Wir sind nicht mehr die Kraft und der Katalysator der Veränderung gewesen, sondern wir haben es sehr mit der Verwaltung des Status Quos und der Zustände beschäftigt", sagte Kern damals. Und weiter: "Aber ich bin davon überzeugt, dass wir das ändern können. Und wir müssen es ändern. Weil von heute an werden wir unseren Kurs wechseln."

„Ich bin der Meinung, dass wir jetzt diese Phase, die aus Posten, Poker und Parteipolitik bestanden hat, raschest zu überwinden haben. Weil wir hier eine Verantwortung haben für unser Land. Und ich bin davon überzeugt, dass man mit Österreich nicht spielt.“ Noch so ein schöner Satz. Gesagt hat ihn Kern aber nicht vor einem Jahr, oder im Jänner in Wels, sondern bei der gestrigen Parlamentsdebatte. Klingt gar nicht einmal so anders – nur die Bedingungen haben sich eben geändert.

Und so ist von Kerns Einjahres-Bilanz als Bundeskanzler vielleicht dieser Satz am präsentesten:

„95 Prozent der Politik, die geboten wird, besteht aus Inszenierung.“

Gesagt hat er ihn als Retourkutsche an den polternden Innenminister, der ihm Inszenierungs-Sucht wegen der Präsentation seines Plan A vorgeworfen hatte. Dass sich damit auch Sobotka selbst in Szene setzte - offenbar geschenkt. Das eigene Bild lässt sich eben nur auf Instagram auch wirklich selbst bestimmen.

"Ab heute läuft der Countdown um die Herzen in diesem Land", sagte Kern bei seiner Antrittsrede. Dass dieser Countdown schon im Oktober ablaufen könnte, hätte er sich damals wohl nicht gedacht.

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Die gesamte transkribierte Rede im Wortlaut finden Sie auf neuwal.com