Politik/Inland

Ein Finale mit vielen Fragen und großen Risiken

Ein Anruf bei der Gratis-Hotline, ein eMail oder ganz einfach direkt, per Mausklick, auf Websites mit Namen wie "Betrügerin Hillary" oder "Patrioten für Trump" – um Wahlbeobachter für Donald Trump zu werden, braucht es derzeit nicht allzu viel Mühe. Nicht nur die Wahlkampagne des Milliardärs, auch örtliche Büros der Republikaner in den umkämpften Bundesstaaten und diverse Trump-Fanclubs rekrutieren eifrig Helfer. Diese werden, so wird der Job auf einer der Websites beschrieben, "zu Kirchen, Schulen und allen anderen Wahllokalen geschickt, um Beweise für jede Art von Fälschung oder Wahlbetrug aufzuspüren."

In den ländlichen Regionen Ohios etwa – Hochburgen für Trump – verabreden sich jetzt schon Freiwillige, um am Wahltag in die nächste Großstadt zu fahren, um dort quasi nach dem Rechten zu sehen. Das sorgt gerade in Vierteln, wo etwa viele Afroamerikaner leben, für Unruhe. "Wählen, während dir irgendein Unbekannter über die Schulter schaut", macht sich Jamaa, der für Clinton in Ohio wahlkämpft, gegenüber dem KURIER Sorgen. "Das klingt alles ziemlich bedrohlich."

Millionen tote Wähler

Trump selbst betreibt seit Wochen mit Warnungen vor einer "manipulierten Wahl" Wahlkampf. Ungeachtet der Aufforderungen, auch aus der eigenen Partei, hat er sich bis jetzt geweigert, sich auf das in den USA traditionelle Ritual am Wahlabend festzulegen: Er könne noch nicht sagen, ob er eine mögliche Niederlage eingestehen werde. Je nach Stimmungslage konzentriert der launische Populist seine Attacken entweder auf die Medien, die sich allesamt gegen ihn verschworen hätten. Oder er zaubert in seinem Haussender Fox News meist halbwahre Berichte aus dem Hut – über Millionen von Toten, die auf Wählerlisten stünden, oder Bürger, die in zwei Bundesstaaten wahlberechtigt seien. Launige Bemerkungen wie "Ich erkenne die Wahl an, wenn ich sie gewonnen habe" sorgen für Beunruhigung.

Bei Hillary Clintons Wahlkampagne bereitet man sich hinter den Kulissen längst großflächig auf mögliche Störungen der Wahl vor. Landesweit werden Zehntausende Anwälte als Freiwillige rekrutiert, die mögliche rechtliche Probleme in den Wahllokalen lösen oder Störungen dokumentieren können.

Zusätzlich Probleme machen auch die in den einzelnen Bundesstaaten unterschiedlichen Regelungen für Wahlbeobachter. So kann in Virginia etwa fast jeder, der sich zum Hüter des Wahlrechts berufen fühlt, im Wahllokal Stellung beziehen.

Trumps Aufholjagd

Nicht nur bei Medien und Wahlbehörden vermuten Donald Trump und seine Anhänger eine Verschwörung. Auch den schlechten Umfragedaten der vergangenen Wochen wollte man nicht glauben. Nun, da man in einigen Umfragen wieder Kopf an Kopf liegt und Clintons über Wochen klaren Vorsprung wieder eliminiert hat (in einer Umfrage des Senders ABC und der Washington Post liegt er mit 46 Prozent sogar einen Punkt vor Clinton – erstmals seit Mai), sieht sich das Trump-Lager bestätigt. Grundsätzlich werde die Demokratin von den einseitigen Meinungsforschern bevorzugt.

Clintons Kampagne dagegen hatte seit Wochen mit einen Erdrutschsieg kalkuliert. Wahlkampf-Aktivitäten wurden gerade in Bundesstaaten verstärkt, die als Hochburgen der Republikaner gelten, wie etwa Arizona oder Utah. Jetzt schwenkt man hektisch wieder auf die traditionell umkämpften Bundesstaaten um.

Für umso mehr Unruhe sorgte daher die jüngste Ankündigung des FBI, in der eMail-Affäre die bereits eingestellten Ermittlungen gegen Hillary Clinton wieder aufzunehmen. Neue eMails sind also aufgetaucht. Was sie enthalten, darüber spekulieren vor allem rechte Medien lustvoll. Die Kandidatin selbst hat FBI-Direktor James Comey vorgeworfen, mit lückenhaften Informationen die Wahl zu beeinflussen.

Nervosität bei Clinton

In eilig ausgesandten eMails an potenzielle Wähler beteuert Wahlkampf-Chef John Podesta, dass es "keinen Hinweis auf irgendein Vergehen Hillarys gibt". Die Nervosität bei der Clinton-Kampagne ist also unübersehbar, auch weil zugleich auch eine andere unangenehme Wahrheit bekannt geworden ist.

"Obamacare", die umstrittene Reform der Krankenversicherung des amtierenden US-Präsidenten, wird Millionen von US-Bürgern im kommenden Jahr drastische Erhöhungen ihrer Versicherungsbeiträge bescheren. Wasser auf die Mühlen von Trump, der die Reform ohnehin sofort – "am Tag eins meiner Präsidentschaft" – annullieren will und jetzt umso lauter dagegen wettert.

Von einer "schwarzen Woche für Hillary" schreiben sogar ihr zugeneigte Medien. Ob ihr Vorsprung (bei den Wahlmännern liegt sie laut Umfragen nach wie vor voran) dem standhält? Nur eine der Unsicherheiten vor einer Wahl, die schon wegen der Brutalität des Wahlkampfes von vielen als historisch bezeichnet wird, von der aber viele Amerikaner schon jetzt längst genug haben, wie etwa eine Kolumnistin der Washington Post: "Man glaubte schon, es ginge nie vorüber".