Coronavirus: Für IHS-Chef Kocher sind 38 Milliarden Euro "substanzielle Summe"
Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), der Wirtschaftsforscher Martin Kocher, begrüßte am Mittwoch das große Hilfspaket der österreichischen Bundesregierung. Die 38 Milliarden Euro sind für Kocher eine "substanzielle Summe, die in den nächsten Wochen und Monaten einen wirtschaftlichen Schutzschirm" bilden. Er belaufe sich auf rund 10 Prozent des BIP in Österreich.
"Herunterregeln"
"Das ist schon sehr viel. Natürlich sind die Ausfälle auch groß, die jetzt passieren, aufgrund des Herunterregelns der Wirtschaft, aber mit 38 Milliarden kommt man schon sehr weit", erklärte Kocher am Mittwoch im Gespräch mit der APA - Austria Presse Agentur. "Ich glaube, es war eine richtige Entscheidung anzukündigen, dass man die wirtschaftlichen Nebeneffekte dieses Herunterregelns so gut es geht ausgleichen wird." Damit habe man eine gewisse Sicherheit geschaffen für die Unternehmen. "Die Hoffnung ist, dass darin vertraut wird, dass es möglichst rasch dann wieder ein Hochfahren gibt, wenn die gesundheitlichen Maßnahmen beendet werden können."
"Vertrauen entscheidend"
Kocher ist überzeugt, dass die Maßnahme helfen wird. "Vertrauen ist entscheidend, weil alle Entscheidungen, die jetzt getroffen werden, bei den Unternehmen bezüglich Freistellung von Arbeitnehmern und ähnliche Entscheidungen, natürlich darauf fußen müssen, dass sie vertrauen können, dass die Möglichkeit für sie besteht, mittelfristig wieder wirtschaftlich aktiv sein zu können." Darum sei es auch wichtig, dass eine Summe genannt wurde. Nun sei entscheidend, dass dies möglichst rasch auch umgesetzt werde.
Bei vielen anderen Krisen wie etwa die Finanzkrise regle sich die Wirtschaft sehr langsam von selbst herunter. "Aber jetzt haben wir in einigen Branchen wie der Gastronomie ein Zurückfahren um 100 Prozent innerhalb von ein paar Tagen. Dass heißt, da muss ich mit ganz anderen Maßnahmen reagieren und deshalb ist es so wichtig, dass es jetzt möglichst rasch Klarheit gibt, wie wird das jetzt genau umgesetzt, wo kriege ich das Geld her. Das Hauptproblem bei diesen Unternehmen ist im Moment, dass sie Liquiditätsprobleme haben."
Beim Budget 2020 werde nun nicht mehr auf genaue Zahlen geschaut. "Wir haben auch glücklicherweise einen gewissen Spielraum, der uns erlaubt ein Defizit zu machen, dass höher ist als wir normalerweise machen können." Der Schuldenstand werde zwar steigen, aber selbst wenn das gesamte Geld abgerufen wird, "liegt er unterhalb dessen, was der Höchstschuldenstand Österreichs nach der Finanzkrise war. Der Spielraum ist da, ich finde es gut, dass man jetzt so starke Maßnahmen angekündigt hat."
Sollte der Schutzschirm komplett ausgenutzt werden, und dieser komplett aus Schulden finanziert werden, würden die 38 Milliarden laut Kocher rund zehn Prozent des BIP ausmachen. "Dann würde der Schuldenstand von 68 auf 78 steigen. Bei der Finanzkrise waren wir einige Jahre danach auf über 80 Prozent des BIP." Entscheidend sei aber auch der Vergleich mit anderen Staaten. "Ich gehe nicht davon aus, dass die Staatsschulden-Zinsen, die Österreich bezahlt, massiv steigen würden. Der Effekt auf das nächstjährige Budget ist nicht so brutal, wie das normalerweise wäre, wenn es höhere Zinsen gäbe", glaubt der Wirtschaftsforscher.
Wie stark das BIP zurückgehen wird, hänge freilich stark von der Dauer der Maßnahmen zur Einschränkung des Wirtschaftslebens ab. "Wir haben bei ähnlichen Szenarien-Rechnungen, die wir gemacht haben, unter der Annahme, dass das ganze bis Ostern dauert, einen Wert von minus 1,5 bis minus 2 Prozent. Das ist ungefähr der Rahmen, wo man hinkommt, Stand jetzt."
"Man kann es nicht in Zahlen sagen"
Inwiefern sich die Steuereinnahmen 2020 verringern werden, sei schwer vorherzusagen. "Die Steuereinnahmen in einem normalen Jahr sind ungefähr 80 Milliarden. Da kann man ungefähr ausrechnen, wenn das BIP um minus zwei Prozent wächst. Wenn es keine Gegenmaßnahmen gibt, dann kommt man gleich einmal auf zwei, drei Milliarden weniger Steuereinnahmen. Die Gegenmaßnahmen würden vielleicht dazu führen, dass wieder Steuereinnahmen im Herbst reinkommen, wenn die wirtschaftliche Aktivität wieder auf normal hochgefahren wird." Zudem, so Kocher, sei es auch ganz schwierig einzuschätzen, wie die Stundungen wirken würden. "Man kann es nicht in einer Zahl sagen."
Zum Thema Inflation ist Kocher eher optimistisch.
"Es würde mich sehr überraschen, wenn das zum großen Problem werden würde, also eine starke Inflation. Aber diese Maßnahmen überall in Europa sind dazu angetan, dass die Inflationsrate tendenziell steigt, allerdings erst dann wieder, wenn die ökonomische Aktivität stattfindet. So lang es nicht die Möglichkeit gibt, das Geld auszugeben, werden die Preise auch nicht massiv steigen", erklärte der IHS-Chef. Bei der Annahme, dass im Idealfall das Problem im Mai, Juni gelöst ist, könne es schon sein, dass es zu einem Preisanstieg komme.
Jedenfalls handle es sich keinesfalls um Beträge der Fantasie. "Im Moment sind das ganz reale Beträge in einem Rahmen, den man sich vorstellen kann. Alles muss sehr schnell und kurzfristig kommen. Da gibt es praktisch keine Modelle, die das wirklich abbilden können, weil es so etwas noch nie gegeben hat in so großem Umfeld." Ähnliche Entwicklungen gäbe es nur bei allerdings lokal begrenzten Naturkatastrophen. "Jetzt haben wir es in ganz Europa. Es ist sehr schwierig zu sagen, wie schnell es nach oben geht."