Chronologie der Regierungskrise 2021: Ein zeitlicher Überblick
Gerade hatte es noch große Freude bei beiden Koalitionspartnern gegeben, als ÖVP und Grüne am Sonntag stolz die Eckpunkte der gemeinsamen Steuerreform präsentierten. Nur drei Tage später stand die österreichische Innenpolitik Kopf: Nach Hausdurchsuchungen in der ÖVP-Parteizentrale, dem Finanzministerium und dem Bundeskanzleramt wird publik, dass gegen Bundeskanzler Sebastian Kurz sowie acht weitere Verdächtige aus dessen näherem Umfeld ermittelt wird.
Der zeitliche Ablauf im Detail:
- 20. September
Der KURIER berichtet über "Nervosität wegen Gerücht über neue Razzia" in der Volkspartei
- 23. September
Die WKStA beantragt beim Richter Hausdurchsuchungen u.a. im Bundeskanzleramt, im Finanzministerium, in der ÖVP-Zentrale und der Mediengruppe Österreich
- 28. September
Gaby Schwarz, Vize-Generalsekretärin der ÖVP, gibt eine "Stellungnahme zu Medienanfragen zu angeblich weiteren Ermittlungsschritten gegen die ÖVP" ab. Der O-Ton: "Bei uns ist nichts mehr zu finden"
- 29. September
Der zuständige Richter genehmigt die Anordnung für die Hausdurchsuchungen
- 4. Oktober
Die Genehmigung geht zurück an die Staatsanwaltschaft.
- 5. Oktober, Teil 1:
Razzien der WKStA im Umfeld der Assistentin von Ex-ÖBAG-Chef Thomas Schmid
- 5. Oktober, Teil 2:
PK von ÖVP-Mann Andreas Hanger – für ihn stehe "außer Zweifel", dass es "linke Zellen" in der WKStA gebe, die eine "parteiische Vorgangsweise" wählen
6. Oktober - Der Tag der Hausdurchsuchung
- 6. Oktober, 10:23 Uhr
Die APA meldet "Hausdurchsuchung in ÖVP-Zentrale in Wien". Die Razzia betrifft auch Bundeskanzleramt und Büros im Finanzministerium. Betroffen waren unter anderem der Kanzlersprecher Johannes Frischmann, Kurz’ Medienbeauftragter Gerald Fleischmann und Kurz-Berater Stefan Steiner.
Vor dem Ministerrat erklärt Grünen-Klubchefin Sigi Maurer knapp: "Wir haben vollstes Vertrauen in die Justiz. Wir werden sehen, wie es weitergeht"
- 6. Oktober, 11:44 Uhr
Die FPÖ fordert den Rücktritt der Bundesregierung
- 6. Oktober, 18:10 Uhr
Die Opposition beantragt geschlossen eine Sondersitzung des Parlaments
- 6. Oktober, 22:00 Uhr
Kanzler Sebastian Kurz nimmt in der ZiB2 zu den Vorwürfen Stellung und weist sie vehement zurück
- 7. Oktober, 10:07 Uhr
Die Grünen stellen die Handlungsfähigkeit des Kanzlers infrage. Kogler lädt alle Klubobleute zu Gesprächen ein
- 7. Oktober, 12:00 Uhr
Die ÖVP-Teilorganisationen stellen sich hinter Kurz. Um 12.51 Uhr stellen sich auch alle ÖVP-Länderchefs hinter den Kanzler
- 7. Oktober, 16:40 Uhr
Kurz trifft Van der Bellen und sagt danach: "Wir stehen bereit, die Arbeit fortzusetzen" -
8. Oktober
Kogler startet Gespräche mit den Klubobleuten der Parlamentsparteien. Maurer legt vor dem Gespräch mit Rendi-Wagner nach und fordert die ÖVP auf, Kurz durch "eine untadelige Person" auszutauschenVan der Bellen empfängt die Parteichefs Herbert Kickl (FPÖ) und Beate Meinl-Reisinger (NEOS)
Der Tag des Rücktritts
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9. Oktober - Der Tag des Rücktritts
Nach einem ruhigen Samstag mit der ein oder anderen Aussendung im Lauf des Tages eskalierte am Abend die Lage. Um 19.30 Uhr stellte sich Sebastian Kurz vor die Presse und kündigte seinen Rücktritt als Kanzler an. Er wird künftig als Klubchef, gemeinsam mit August Wöginger, die Geschicke der Volkspartei im Parlament leiten bis die Ermittlungen gegen ihn beendet sind. Für ihn übernimmt Alexander Schallenberg den Posten des Kanzlers. -
10. Oktober
Vizekanzler Werner Kogler und der neue Kanzler Alexander Schallenberg treffen sich zu einem Vier-Augen-Gespräch
Alles begann 2019
Die aktuelle Regierungskrise hat ihren Ursprung aber eigentlich in den Ermittlungen der Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) wegen der Bestellung von FPÖ-Mann Peter Sidlo zum Casinos-Austria-Finanzvorstand. Diese Ermittlungen führten im August 2019, wenige Monate nach dem Ibiza-Video und dem Scheitern von Türkis-Blau zu Hausdurchsuchungen bei Ex-FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache, Ex-FPÖ-Klubchef Johann Gudenus und wenig später auch bei ÖBAG-Chef Thomas Schmid.
Schmid hat zwar sein Handy vor der Beschlagnahmung durch die Ermittler zurückgesetzt sowie WhatsApp und andere Nachrichten gelöscht, aber die Ermittler haben viele Chatnachrichten wiederherstellen können. Das sagte Ibiza-Ermittler, Oberstaatsanwalt und IT-Experte Matthias Purkart von der WKStA, vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss im Parlament im Juni 2020.
Die Auswertung dieser Daten hat schon einige für die ÖVP unangenehme Dinge zutage gefördert. Unter anderem kam heraus, dass die ÖVP die Kirche unter Druck gesetzt hat nachdem diese Kritik an der Flüchtlingspolitik der türkis-blauen Regierung geübt hatte. Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) empfahl dem damaligen Generalsekretär im Finanzministerium, Thomas Schmid, der Kirche "Vollgas" zu geben. Steuerliche Begünstigungen der Religionsgemeinschaften sollten infrage gestellt werden.
Auch die nun bekannt gewordene mutmaßliche Inseratenkorruption ist in Schmids Nachrichten dokumentiert. Die Korruptionsstaatsanwaltschaft hat daraufhin Ermittlungen aufgenommen.