Politik/Inland

Christoph Leitl: "Die FPÖ muss aus dem Eck raus"

Der frühere Wirtschaftskammerboss Christoph Leitl ist Präsident der Europäischen Wirtschaftskammer und in der „Global Chamber Platform“ tätig, wo er 100 Millionen Unternehmen mit einer Milliarde Menschen vertritt.

KURIER: Herr Präsident, Sie sind für Ihr pro-europäisches Engagement bekannt. Wie sehen Sie dem EU-Wahlkampf 2019 entgegen?

Christoph Leitl: Ich bin überzeugt, dass Othmar Karas ein guter Kandidat für Österreich und das Europäische Parlament sein wird. Wir haben gute Leute, wenn ich an Andreas Schieder denke, er hat Europa von seinem Vater Peter Schieder in den Genen. Dass ein Werner Kogler kandidiert, zeigt, dass auch die Grünen das Thema Europa sehr ernst nehmen. Sorgen macht mir Vilimsky (FPÖ-Europapolitiker, Anm.). Die Auseinandersetzung bei der EU-Wahl wird zwischen kritisch-konstruktiven Kräften und destruktiven Kräften stattfinden. Die einen wollen Europa weiterentwickeln, die anderen wollen Europa abschaffen, weil sie ihr Heil im Nationalismus sehen.

Wir haben heuer im Gedenkjahr auch der zerstörerischen Kräfte in Europa gedacht. Glauben Sie nicht an die Lernfähigkeit?

Meine Sorge ist: Wenn wir nicht mehr Väter und Großväter in den Familien haben, die noch authentisch erzählen, was sie erlebt haben, und wie fürchterlich Krieg ist, dass sich dann das Gift des Nationalismus mit seinen vereinfachenden Lösungen wieder verbreitet. Wir erleben eine lange Periode des Friedens, und manche glauben, dass wir uns Nationalismus schon wieder leisten können. Das können wir nicht.

Nationalismus ist auch eine Reaktion auf die Globalisierung.

Man kann über die Globalisierung kritische Anmerkungen machen, und ich tue das auch. Aber eines hat die Globalisierung erreicht: die weltweite Armut ist massiv reduziert. Wir Europäer sollten gelernt haben: Wo Armut ist, ist Instabilität. Wer ist beim IS? Wo liegt das kriegerische Potenzial in Afrika? Bei Menschen ohne Perspektive. Unsere Aufgabe muss sein, möglichst vielen Menschen glaubwürdige Zukunftsperspektiven zu vermitteln, daher freue ich mich, dass die österreichische Ratspräsidentschaft Afrika zum Thema macht. Wenn wir Fähigkeiten, Bildung und Ausbildung nach Afrika bringen, werden auch Investoren hingehen.

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Zurück zu Harald Vilimsky. Was verlangen Sie von der FPÖ?

Ich würde mir sehr wünschen, dass nicht in einem Boot mit Le Pen und Salvini sitzt. Le Pen hat wortwörtlich gesagt, die Zukunft Europas liegt im Nationalismus. Wenn man sich mit so jemandem ins Boot setzt, muss das auch Einfluss auf die österreichische Koalition nach sich ziehen. Das ist, glaube ich, den Wenigsten bewusst.

Warum soll das nicht gehen? Die Regierung sagt, wir haben eine Koalition in Österreich, aber nicht im EU-Parlament.

Das ist Unsinn, das kann man nicht trennen, weil europäische Politik auch österreichische Politik ist. Die wesentlichen Dinge werden auf EU-Ebene entschieden.

Die ÖVP sagt, die FPÖ müsse in den EU-Gremien ohnehin gemäß Koalitionspakt pro-europäisch abstimmen, sie werde nur im Wahlkampf nach außen hin ihre Basis mit antieuropäischen Slogans bedienen.

Das geht eben nicht, weil man auf die Dauer als Gruppe unglaubwürdig wird, wenn man auf der einen Seite Emotionen hochkochen lässt und auf der anderen Seite den konstruktiven Mitspieler mimt. Da wird man sich wohl entscheiden müssen: Ist man ein kritischer Weiterentwickler? Oder ein Zerstörer?

Sorgen Sie sich, dass ein nationalistischer FPÖ-Wahlkampf die Stimmung in Österreich negativ beeinflusst?

Natürlich. Österreichische Politiker machen gute Figur auf EU-Ebene, vom Kanzler abwärts. Aber es wird auf Dauer nicht gehen, dass man als Regierungspartei daheim Nationalismus schürt und glaubt, das wird in Europa nicht registriert. Und wenn in Europa so etwas registriert wird, ist in hohem Maß Erklärungsbedarf angesagt. Ich persönlich habe bisher die freiheitliche Mitwirkung an der Regierung als europa-konstruktiv in der EU verteidigt, was nicht immer ganz einfach war. Das soll in Zukunft leichter und nicht schwieriger werden.

Was hätte es für Konsequenzen, wenn Ihre Appelle an die FPÖ ungehört verhallen?

Ich will nicht über Was-Wäre-Wenn reden. Ich hoffe auf Vernunft, Einsicht und sogar auf Besinnung. Die Freiheitlichen waren einmal die überzeugteste Europapartei Österreichs. Als Franz Vranitzky und Alois Mock den Kurs in Richtung EU-Beitritt einschlugen, ist Haider ins Gegeneck gehupft. Seitdem verharrt die FPÖ dort, aber da muss sie raus.

 

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Was sagen Sie der FPÖ, warum sie aus dem Eck raus soll?

Weil Europa eine Überlebensnotwendigkeit ist. Wir Europäer stellen nur noch sieben Prozent der Weltbevölkerung. Wir erbringen aber fast 25 Prozent der Weltwirtschaftsleistung und konsumieren über 50 Prozent der Lebensstandards, indem wir über 50 Prozent der Weltsozial- und der Weltumweltausgaben bestreiten. Wenn die nächste Generation diese Standards erhalten will, muss sie sich fragen, wie sie diese enorme Wirtschaftsleistung erhalten kann. Das geht nur, wenn die sieben Prozent Europäer zusammenstehen. Europa hat mit 100 Milliarden das größte Forschungsprogramm. Das brauchen wir, um die Wettbewerbsfähigkeit zu sichern, wir brauchen unsere Begabungen und unsere Innovationskraft.

Viele Junge glauben aber an ein Ende des Wachstums.

Solange ein Großteil der Welt hungert, keine gescheiten Wohnungen oder hygienische Lebensumstände hat, ist das Gerede von den Grenzen des Wachstums blanker Zynismus. Was wir ab er brauchen, ist intelligentes Wachstum, in Form einer Kreislaufwirtschaft. Ich bin kein Feind des Plastik, aber ich bin ein Feind dessen, dass Plastikreste in den Meeren unvorstellbare Schäden anrichten. Wir müssen kompostierbares Plastik entwickeln. Da sollte unsere Kreativität hineinfließen, das Konzept der Kreislaufwirtschaft soll von Europa ausgehen.