Politik/Inland

Vom Kanzleramt unterstützt: Jugend-Netzwerk attackiert Medien

"Dieses Heft ist alles andere als zum Gähnen, es gibt viel zu raten, entscheiden und überlegen": So lautet einer der ersten Sätze in einer Informations-Broschüro des Bundesnetzwerkes Österreichische Jugendinfos (BÖJI), die den Schwerpunkt "Demokratie" hat. Das Heft ist im März 2024 in vierter Auflage erschienen. Aber ob sich die Autoren gewisse Passagen wirklich gründlich überlegt haben?

Das BÖJI stellt "Information und Informationsberatung zu allen jugendrelevanten Fragen" zur Verfügung. Es vernetzt 28 Infostellen "aus ganz Österreich". Diese seien "überwiegend als Vereine organisiert" und großteils von den jeweiligen Landesregierungen finanziert, heißt es auf der Website des Bundeskanzleramts. Dort, genau genommen im Jugendstaatssekretariat von Claudia Plakolm (ÖVP), ist das BÖJI angesiedelt.

"Geld entscheidet über Art der Berichterstattung"

Vor allem eine Passage der Publikation dürfte in der heimischen Medienlandschaft für massive Irritationen sorgen. Es geht darum, wie Meinungen beeinflusst werden: Von Verwandten, Freunden, Parteien, Influencern und – natürlich – auch Zeitungen, Fernsehen sowie Radio. Während die anderen Meinungsmacher weitestgehend neutral umschrieben werden, ist es bei den klassischen Medien genau umgekehrt. 

Die Autoren formulieren folgendes Pauschalurteil: "Wichtig zu wissen: Hinter Zeitungen und Drucksachen stehen immer finanzielle Mittel, also Geld. Und der, der Geld gibt, will seine Meinung verbreiten. Es gibt in Österreich keine 'unabhängigen' Medien." Selbiges gelte für Fernsehen und Radio, ob öffentlich-rechtlich oder privat: "Wie auch bei den Zeitungen entscheidet das Geld dahinter über die Art der Berichterstattung."

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Was hat die Publikation gekostet, wo wird das Heft verteilt und wie kommentiert das Bundeskanzleramt die Formulierungen? 

"Die zuständige Sektion hat das Bundesnetzwerk Österreichische Jugendinfos umgehend ersucht, die entsprechende Passage zu prüfen und umzuformulieren, um allfällige Missverständnisse zu vermeiden. Das Jugendstaatssekretariat ist selbstverständlich nicht der Auffassung, dass es keine unabhängigen Medien gibt", heißt es auf KURIER-Anfrage aus dem Jugendstaatssekretariat. Man habe BÖJI zudem aufgefordert, die Broschüre von der Website zu nehmen und alle gedruckten Exemplare einzuziehen.

Das Netzwerk sei "einfach gesagt" die Vernetzungs- und Serviceeinrichtung für die Jugendserviceeinrichtungen der Länder. Finanziert wird es über die Bundesjugendförderung. "Die vorliegende Broschüre ist kein gesondert gefördertes Projekt", heißt es vom Staatssekretariat.

Kurier-Redakteursausschuss empört

Eine erste Reaktion auf den Fauxpas gibt es vom Redakteursausschuss des KURIER. "Der Redakteursausschuss des KURIER protestiert aufs Schärfste gegen die in der Jugendbroschüre getätigte Pauschalaussage, dass es in Österreich keine unabhängigen Medien gebe. Sowohl unser Redakteursstatut als auch der Ehrenkodex der österreichischen Presse garantieren uns eine journalistische Unabhängigkeit."  Mit "Bestürzung" liest der Verein der Chefredakteure die Broschüre und reagiert darauf mit Protest. 

Protest des Vereins der Chefredakteure

In einer Stellungnahme heißt es: "Mit Bestürzung lesen wir in einer von allen Jugendinfo-Stellen verbreiteten und vom Bundeskanzleramt unterstützten Broschüre die Behauptung, dass es keine „unabhängigen“ Medien gebe. Das weisen die Unterzeichneten aufs Schärfste zurück. Wir arbeiten in redaktioneller Unabhängigkeit und verwahren uns gegen derartige Pauschalurteile, die dazu angetan sind, die Glaubwürdigkeit der privaten Medienhäuser zu untergraben, die es im österreichischen Markt ohnehin schwer genug haben."

Deshalb fordern Martina Salomon und Martin Gebhart (Kurier), Florian Asamer (Presse), Hubert Patterer (Kleine Zeitung), Kathrin Gulnerits (News),  Gerold Riedmann (Standard), Maria Scholl (APA),  Manfred Perterer (SN),  Christian Nusser (Heute), Anna Thalhammer (Profil),  Isabel Russ (VN), Doris Helmberger-Fleckl (Furche), Andreas Weber (Trend), Susanne Dickstein (OÖN), Florian Klenk (Falter), Daniel Lohninger  (NÖN), Marco Witting und Matthias Krapf (Tiroler Tageszeitung) das Bundeskanzleramt auf, "diese Broschüre vom Markt zu nehmen."

Irritation über alte Fotos

Und noch ein weiterer Aspekt könnte sich als problematisch erweisen. Laut KURIER-Informationen sind die Fotos der in der Broschüre abgebildeten Schüler alles andere als aktuell. Eine Betroffene gibt an, sich nicht mehr erinnern zu können, ihr Einverständnis für die Abbildung abgegeben zu haben. Sie zeigt sich schwer irritiert, denn das Foto sei mittlerweile rund sieben Jahre alt.

Der Artikel wurde aktualisiert und um den Protest des Vereins der Chefredakteure ergänzt