Bundeskanzler Nehammer bricht zu viertägiger Afrika-Reise auf
Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) bricht am Montag zu einer viertägigen Afrika-Reise auf. Am Dienstag nimmt Nehammer an einem österreichisch-angolanischen Wirtschaftsforum teil, im Anschluss trifft der Kanzler den angolanischen Präsidenten João Lourenço. Begleitet wird Nehammer von Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP) und einer Wirtschaftsdelegation. Weitere Stationen der Reise sind Ghana und Ägypten.
Die Themenschwerpunkte der Reise liegen laut Bundeskanzleramt neben der Stärkung der jeweiligen bilateralen Beziehungen auf den Bereichen Migration und Sicherheit sowie der Hilfe vor Ort. So wird Nehammer etwa auch von Bundespolizeidirektor Michael Takacs und Generalmajor Friedrich Schrötter, dem Stabschef von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (ÖVP) sowie der Rektorin der Universität für Bodenkultur, Eva Schulev-Steindl, begleitet. "Sicherheit und Stabilität am afrikanischen Kontinent sind im beidseitigen Interesse - für Afrika und Europa. Als Europäische Union haben wir uns viel zu lange nicht intensiv genug mit dem Kontinent beschäftigt. Wir haben uns teilweise in einseitige Abhängigkeiten begeben von anderen Ländern, wie Russland oder China", betonte der Kanzler im Vorfeld der Reise. Umso wichtiger sei es jetzt, "auf Diversifizierung zu setzen und unsere diplomatischen Türen in den globalen Süden - allen voran nach Afrika - zu öffnen", so Nehammer.
Ein weiterer Fokus der Reise seien Wirtschafts-, Energie- und Rohstofffragen, so das Kanzleramt weiter. Neben der Wirtschaftskammer und der Österreichischen Entwicklungsbank begleiten den Kanzler auch ranghohe Vertreter der Unternehmen Frequentis, Andritz Hydro, Komptech, OMV, Plasser & Theurer, VA Tech WABAG, VAMED, Verbund, Voest Alpine Railway Systems GmbH, Wagner-Biro, Pessl Instruments GesmbH, AMET und AMEX. "Gerade im Bereich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit ergeben sich win-win-Situationen. Österreich wird schon jetzt geschätzt, u.a. durch unsere Unternehmen, die zu den aktivsten der Welt gehören. Darüber hinaus sind wir als neutrales Land inmitten der EU ein guter Türöffner für stärkere Beziehungen mit den afrikanischen Ländern", erklärte Nehammer weiters.
"Sicherheit und Stabilität am Kontinent entstehen nur durch gute Kooperationspartnerschaften, die Perspektiven für die Menschen in Afrika schaffen. Denn dies ist das absolute Gegenteil von illegaler Migration und kriminellen Schleppermachenschaften, die ihre Geschäftsmodelle weiter ausbauen wollen. Dagegen müssen wir gemeinsam klar auftreten, um Sicherheit zu schaffen", so der Bundeskanzler. "Afrika braucht standortgerechte, ökologisch und ökonomisch tragbare Lösungen, die wir durch einen gemeinsamen Austausch entwickeln können. Wir wollen aber auch wechselseitig voneinander lernen", so Totschnig, der in Angola seinen Amtskollegen treffen wird, im Vorfeld der Reise.
In Angola ist seit 2017 João Lourenço an der Macht. Der Ex-Verteidigungsminister kam 2017 als Nachfolger des 38 Jahre lang autoritär herrschenden José Eduardo dos Santos, der 2022 verstarb, an die Macht. Bis 1975 war das Land eine portugiesische Kolonie. Mit der Unabhängigkeit kam es zu Kämpfen der verschiedenen Befreiungsbewegungen um die Macht im Land, die insgesamt etwa eine halbe Million Tote forderten und teilweise zu einem internationalen Stellvertreterkrieg vor dem Hintergrund des Kalten Kriegs wurden. So wurde die marxistische MPLA von der Sowjetunion und Kuba unterstützt, die UNITA vom südafrikanischen Apartheid-Regime und verdeckt, also nicht vom US-Kongress gebilligt, durch den US-Auslandsgeheimdienst CIA. Heute wird die Ausrichtung der MPLA als eher sozialdemokratisch eingeordnet, jene der UNITA als wirtschaftsfreundlich und eher Mitte-rechts.
Bei der jüngsten Parlamentswahl gewannen Präsident Lourenço und die Regierungspartei MPLA mit 51,7 Prozent, das war ihr bisher schlechtestes Ergebnis. Angolas größte Oppositionspartei UNITA folgte mit 44,5 Prozent, gut 17 Prozentpunkte mehr als bei der vorherigen Wahl. Allerdings scheiterte die UNITA mit einer Klage gegen die Ergebnisse der Parlamentswahl und dem Wunsch einer Neuauszählung der Stimmen. Die Europäische Union hatte das Anliegen unterstützt. Der Wahlsieg der MPLA bedeutete automatisch eine zweite, fünfjährige Amtszeit für Lourenço. Der 69-Jährige versprach Wirtschaftsreformen, Investitionen in den Gesundheitssektor sowie ein Ende der weit verbreiteten Korruption.
Angola liegt nämlich seit Jahren in einschlägigen Listen internationaler Organisationen in der Spitzengruppe der korruptesten Staaten weltweit. So wurde Ex-Präsident Dos Santos vorgeworfen, Gelder in großem Umfang veruntreut zu haben, um seine Familie und enge Vertraute zu begünstigen. Seine Tochter Isabel dos Santos, eine der reichsten Frauen Afrikas, wird von der angolanischen Justiz beschuldigt, während ihrer Zeit an der Spitze des staatlichen Ölkonzerns Sonangol Gelder unterschlagen und einen Großteil davon in Portugal investiert haben. Isabel dos Santos weist die Vorwürfe zurück.
Bisher ist die Wirtschaft der ehemaligen portugiesischen Kolonie vor allem auf Öl fokussiert, von den Gewinnen profitiert jedoch nur eine kleine Schicht der Gesellschaft. Nach Nigeria ist Angola, das auch Mitglied der OPEC ist, der zweitgrößte Erdölproduzent und -exporteur Afrikas. Dennoch leben nach Angaben der Weltbank gut 56 Prozent der Bevölkerung in Armut. Zwischen 2010 und 2015 zogen rund 150.000 Portugiesen aufgrund der Wirtschaftskrise im eigenen Land in das Land an der Westküste Afrikas, wo die Wirtschaft aufgrund der reichen Erdöl- und Diamantvorkommen boomte. Die Wohnungsmieten in wohlhabenden Gegenden der über neun Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt Luanda gehören mittlerweile zu den höchsten der Welt.
Zwischen 2000 und 2020 erhielt Angola rund 39 Milliarden Euro an chinesischen Krediten, mehr als ein Viertel der chinesischen Kredite für Afrika flossen nach Angola. Im Jahr 2019, gestand Präsident Lourenço jedoch, dass das Konzept der durch den Export von Öl bedienten Kredite aus China für sein Land nicht funktioniert habe. Angola konnte aufgrund des sinkenden Ölpreises seine Schulden nicht mehr bedienen. Lourenço setzte in der Folge auf eine Diversifizierung der Wirtschaft und der Handelspartner. Dies sei eine "Frage von Leben oder Tod", begründete er diesen Schritt.
Auch von der Klimakrise ist Angola stark betroffen. Im Süden herrsche die schlimmste Dürre seit 40 Jahren, berichtete die Hilfsorganisation CARE Anfang des Jahres. 3,8 Millionen Menschen hätten nicht genug zu essen, 114.000 Kinder unter fünf seien unterernährt. Zudem sei Angola unter den vier Ländern mit den höchsten Preissteigerungen bei Nahrungsmitteln wie Getreide und Speiseöl liegt - ausgelöst durch den Ukrainekrieg.
Am Mittwoch wird Nehammer in der ghanaischen Hauptstadt Accra ein Wirtschaftsforum eröffnen. Außerdem wird er die National Dog Academy und das Kofi Annan International Peacekeeping Training Centre besuchen, beide Einrichtungen werden vom österreichischen Bundesheer unterstützt. Außerdem trifft der Kanzler den ghanaischen Präsidenten Nana Akufo-Addo zu bilateralen Gesprächen. Präsident Akufo-Addo war im Dezember 2020 wiedergewählt worden. Der 76-Jährige setzte sich damals gegen seinen langjährigen Widersacher, Ex-Präsident John Dramani Mahama, durch.
Ghana, das 1957 als erstes Land Afrikas die Unabhängigkeit von Großbritannien erhalten hatte, gilt als eine der stabilsten Demokratien in der Region, durchlebt momentan allerdings eine schwere Wirtschaftskrise. Die Covid-Pandemie und der Ukraine-Krieg führten zu einem Versickern der Staatseinnahmen, die für den Schuldendienst verwendet werden müssen. Investitionswillige Unternehmen erhalten kaum erschwingliche Kredite, da sich der öffentliche Sektor in den vergangenen Jahren so viel Geld lieh, dass für die Wirtschaft nichts übrig blieb. Die Staatsverschuldung beträgt mittlerweile fast 50 Milliarden Dollar (45,78 Mrd. Euro), das sind fast 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Jeder dritte Jugendliche und junge Erwachsene ist ohne Job.
Das 30-Millionen-Einwohner-Land an der afrikanischen Westküste ist der weltweit zweitgrößte Kakaoproduzent und einer der wichtigsten Goldproduzenten Afrikas. Seit 2011 ist auch Erdöl ein wichtiger Devisenbringer. 90 Prozent der im Land benötigten Nahrungsmittel werden in Ghana produziert. Während Ghana noch vor wenigen Jahren zu den am schnellsten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas zählte, setzen Inflation und Währungsverfall den Menschen mittlerweile stark zu.
Zum Abschluss seiner Afrika-Reise trifft der Bundeskanzler dann den ägyptischen Präsidenten Abdel Fattah al-Sisi in Kairo. Totschnig wird in Kairo Gespräche mit Hani Sweilam, dem ägyptischen Minister für Wasser und Bewässerung führen. Danach werden Nehammer und Totschnig gemeinsam mit den CEO's der mitreisenden Wirtschaftsdelegation sowie Vertretern österreichischer Firmen in Ägypten an einem Round Table mit dem ägyptischen Ministerpräsidenten Moustafa Kamal Madbouli, sowie mehreren ägyptischen Ministern und Wirtschaftsvertretern teilnehmen. Geplant sind danach Vertragsunterzeichnungen der Unternehmen Voestalpine Railways Systems und Plasser & Theurer mit den ägyptischen Eisenbahnen.
Al-Sisi ist seit 2013 Staatschef des 110 Millionen-Einwohner-Landes. Nach dem Sturz von Langzeitherrscher Hosni Mubarak, war zunächst Mohammed Mursi von der Partei der Muslimbrüder im Juni 2012 zum Präsident gewählt worden. Doch nach nur einem Jahr stürzte ihn das Militär, angeführt vom ehemaligen Armeechef al-Sisi. In den folgenden Monaten ging die neue Führung mit aller Härte gegen Mursis Anhänger vor, etwa 1.400 Menschen wurden getötet.
Ägypten ist nach Südafrika der zweitwichtigste Exportmarkt für österreichische Unternehmen in Afrika. Präsident al-Sisi versucht mit dem Bau von Großprojekten, wie etwa dem Bau einer neuen Hauptstadt, Arbeitsplätze für seine rasant wachsende Bevölkerung zu schaffen. Auch das Land am Nil ist vom russischen Angriffskrieg in der Ukraine betroffen, 80 Prozent des benötigten Weizens muss Ägypten importieren, den Großteil davon aus der Ukraine und Russland. Auch in Migrationsfragen ist Ägypten ein wichtiger Partner Europas. Laut IOM (Internationale Organisation für Migration) und UNHCR (UNO-Flüchtlingsjochkommissariat) befinden sich aktuell etwa sechs Millionen Flüchtlinge im Land. Nach dem Besuch von Außenminister Alexander Schallenberg und Innenminister Gerhard Karner (beide ÖVP) im Juli vergangenen Jahres, wird Nehammer diesbezüglich sicher auch mit al-Sisi sprechen.