Pensionen als größte Hürde: 8,7 Milliarden fehlen
Kanzler und Vizekanzler bleiben dabei: Noch vor Weihnachten soll die neue Koalition aus SPÖ und ÖVP stehen, erklärten sie Mittwochabend bei der Präsentation der Finanzlage. Doch bis dahin dürfte es noch zu harten Verhandlungen kommen.
Angesichts eines (optimistisch geschätzten) Finanzbedarfs von 24 Milliarden bis 2018 soll es nun „Aufgabe aller Projektgruppen sein, Maßnahmen zu erarbeiten“, so VP-Vizekanzler Michael Spindelegger. Als größter Einzelbrocken – noch größer als die Hypo – haben sich die Pensionen herausgestellt. Spindelegger: „Wir haben einen Fehlbetrag von 8,7 Milliarden bei den Pensionen bis 2018. Dort muss etwas passieren.“
Länger arbeiten
Von einer Anhebung des gesetzlichen Pensionsantrittsalters will freilich niemand sprechen. Vielmehr will die Politik das faktische Pensionsantrittsalter (derzeit 58,4 Jahre) anheben. Spindelegger: „Es ist notwendig, die Menschen zu bewegen, länger zu arbeiten.“ Gleichzeitig müsse die Wirtschaft mehr altersgerechte Arbeitsplätze schaffen.
Immer öfter hört man von Verhandlern derzeit den Verweis auf das „Bad Ischler-Modell der Sozialpartner“. Dort legten Wirtschafts- und Arbeiterkammer sowie Gewerkschaft Vorschläge vor, um das Antrittsalter in den nächsten zehn Jahren um zwei Jahre anzuheben.
Eine Idee daraus ist ein Bonus-Malus-System für Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die Stoßrichtung: Betriebe zahlen Strafe für Frühpensionierungen und erhalten einen Bonus für ältere Arbeitnehmer. Enthalten ist auch eine Dienstgeber/ Dienstnehmer-Prämie: Wer später in Pension geht, erhält im ersten Jahr 2000 Euro Prämie, im zweiten 3000, im dritten 4000. Die Prämie erhält auch der Dienstgeber.
Burgenlands SP-Landeshauptmann Hans Niessl würde derartige Anreize begrüßen: „Ich kann mir vorstellen, dass man Anreize schafft, damit die Menschen länger arbeiten“, sagt er zum KURIIER. Das von den Sozialpartnern vorgeschlagenes „Bonus-Malus-System“ sei sinnvoll.
Keine Verschärfungen?
Einige Dinge aus dem Papier sind hingegen schon umgesetzt. Pensionskonto oder Verschärfung bei der Invaliditätspension treten 2014 in Kraft. Vor allem SP-Sozialminister Rudolf Hundstorfer hatte stets auf die beschlossenen Reformen verwiesen.
Ob weitere Verschärfungen kommen, soll ab Montag verhandelt werden. Ein VP-Verhandler meint aber: „Eine große Pensionsreform gibt es vorerst nicht. Viele Maßnahmen treten ja erst 2014 in Kraft. Deshalb wartet man ab, wie sie wirken.“
Misstrauensantrag, Lügenvorwürfe, die Forderung nach strafrechtlichen Konsequenzen: Der Kassasturz der Regierung geriet zum PR-Desaster für ebendiese. Nicht verwunderlich, dass die Opposition empört ist und nun alle Register ziehen will.
Die FPÖ spricht von "einem budgetmäßigen Trümmerhaufen" - und wird deshalb bei der Nationalratssitzung kommenden Mittwoch einen Misstrauensantrag gegen die gesamte Regierung einbringen. Die Regierung habe die Österreicher "belogen und betrogen" und sei deshalb rücktrittsreif, meinte Parteichef Heinz-Christian Strache in einer Aussendung. Nicht die jetzt genannten 18,44 Mrd. Euro (ohne Bankenhilfe, Anm.), sondern die vorher ventilierten rund 40 Milliarden Euro würden"wahrscheinlich eher der Wirklichkeit entsprechen", glaubt Strache.
Auch das Team Stronach ist überzeugt, dass die Budgetzahlen weiterhin "geschönt" sind. Klubchefin Kathrin Nachbaur bekräftigte am Donnerstag die Forderung nach einem Budgetgipfel mit den Oppositionsparteien, heimischen Experten, dem Rechnungshof und internationalen unabhängigen Prüfern.
Die Grünen orten "Versteckspiele" und damit einen "glatten Verfassungsbruch". Außerdem kritisierten Budgetsprecher Bruno Rossmann und Sozialsprecherin Judith Schwentner am Donnerstag in einer Pressekonferenz scharf, dass jetzt wieder Angst geschürt werde im Hinblick auf die Pensionen. "Lüge Lüge Lüge" gegenüber Parlament und Wählern hielt Rossmann SPÖ und ÖVP vor. Auch die 5,8 Mrd. für die Banken würden nicht ausreichen.
Antragsserie
IV verärgert
Die Finanzlage werde nun wieder politisch geschätzt und nicht fundiert berechnet, die Zahlen seien lediglich Vermutungen. "Eigentlich müsste die Nationalratswahl für ungültig erklärt werden, denn die Regierungsparteien haben uns nicht die Wahrheit gesagt, und unsere Wirtschaftsforschungsinstitute WIFO und IHS sowie die Nationalbank haben dazu geschwiegen", sagte Bertsch. In der Wirtschaft müssten sich die Verantwortlichen "bei solch groben Fehleinschätzungen wegen Insolvenzverschleppung oder Untreue vor Gericht verantworten".
Budgetloch auf, Budgetloch zu: Die bis 2018 in der Staatskasse fehlenden 40 Milliarden schrumpfen binnen einer Woche auf 24 Milliarden. Rot-Schwarz neu – die Hexenmeister der Budget-Alchemie; frei nach dem Motto: Liebe Österreicher, seht her, wir haben das Budgetloch geschrumpft?
Es fällt schwer, die Kassasturz-Inszenierung der vergangenen Tage noch für bare Münze zu nehmen. „Es gibt kein Budgetloch, sondern Prognosen, dass Einnahmen und Ausgaben künftig auseinanderklaffen“, suchte Politfuchs Michael Häupl zu retten, was nicht mehr zu retten war. Für ÖGB-Chef Erich Foglar ist es gar nur noch ein „Erwartungsloch“. Dieses Kommunikationsdesaster ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen.
Ein Milliarden-Budgetloch, das aus der Polit-Lotterie kommt, wird zur Glaubensfrage. Denn Regierung, Parlament, aber auch Wirtschaftsforscher haben die Budgetwahrheit Lügen gestraft. Da wurde vor der Wahl getrickst, aus vorauseilendem Gehorsam geschwiegen und hinterher auch noch beschwichtigt: Wahlkampfschmähs gehörten zum politischen Geschäft.
Die Chance auf einen schnellen glaubwürdigen Neustart ist verspielt. Wenn die Kraft für einen Rettungsversuch reicht, dann muss Rot-Schwarz nachholen, was vor der Wahl sträflich versäumt wurde. Die Koalition muss mit einem ambitionierten Regierungsprogramm sichtbar machen, dass sie das drohende Budgetloch ernst nimmt und den Österreichern endlich reinen Wein einschenken und sagen: Die Wirtschaftskrise ist auch fünf Jahre nach der Lehman-Pleite noch nicht vorbei; vor uns liegen magere Zeiten; wir wissen nicht, wie lange sie dauern; aber wir tun alles, um Österreich dafür bestens zu rüsten.
SPÖ und ÖVP haben eine wichtige Hürde auf dem Weg zur Neuauflage von Rot-Schwarz übersprungen. Die Noch- und Bald-wieder-Koalitionäre haben sich nach sehr zähen Verhandlungen auf den Budgetbedarf bis 2018 geeinigt.
In den kommenden fünf Jahren werden 24,2 Milliarden Euro für den Staatshaushalt benötigt. Die Summe setzt sich zusammen aus: 18,4 Milliarden Euro an strukturellem Defizit (siehe unten) plus 5,8 Milliarden Euro Bankenhilfe. Das gaben Kanzler Werner Faymann (SPÖ) und Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) am Mittwochabend bekannt. Anfangs war bekanntlich noch von einem Budgetloch in der Größenordnung von bis zu 40 Milliarden Euro die Rede gewesen.
Nächtliches Gefeilsche
In der Nacht zum Mittwoch saßen Rote und Schwarze im Finanzministerium beisammen, um sich auf eine Zahl festzulegen. Mittwochnachmittag zitierten Faymann und Spindelegger dann die Leiter der Verhandlungsgruppen ins Kanzleramt, um sie über die budgetäre Lage zu informieren. Schließlich ist der Spielraum maßgeblich für die Regierungsverhandlungen. Auch wenn laut SPÖ und ÖVP jetzt „nur noch“ 24,2 Milliarden fehlen, wird es Einschnitte geben.
„Wir werden pro Jahr etwa 2,5 bis 3 Milliarden einsparen“, kündigte Faymann an. Allein bei den Pensionen klafft ein Loch von 8,7 Milliarden Euro.
Der Kanzler betonte, es solle zunächst bei den Ausgaben gespart werden. Höhere Massensteuern wie etwa eine Anhebung der Mehrwertsteuer schloss er aus. Die Koalitionsspitzen hoffen aber auf Einnahmen aus der Finanztransaktionssteuer – ab 2016. Das bringt 500 Millionen Euro pro Jahr, die Steuer muss allerdings erst auf EU-Ebene beschlossen werden. Dass noch weitere neue Steuern eingeführt werden, schloss Pühringer nicht aus.
Fix ist, dass das Parlament bis 2018 nicht saniert wird. Damit erspart sich der Staat (vorerst) 500 Millionen. Auch die Familienbeihilfe wird nicht – wie vor der Wahl angekündigt – erhöht. „Gewisse Dinge können wir uns nicht leisten“, sagte Faymann (Details dazu siehe unten).
Koalition: Die Verhandler:
Nicht dem Sparstift zum Opfer fällt hingegen der Ausbau der Kinderbetreuung (Kindergärten, Krippen). Kostenpunkt: 350 Mio. Euro. Für mehr Ganztagsbetreuung an Schulen sind 400 Mio. Euro eingepreist.
Niedrigere Latte
Wie hat die Regierung das Budgetloch so rasch von 40 auf 24 Milliarden Euro geschrumpft? Erstens zieht sie nun das „strukturelle Defizit“ als Messlatte heran. Zweitens seien die 40 Milliarden der „Worst Case“ gewesen, erklärten Kanzler und Vize. Und drittens seien eine Reihe von Wünschen (etwa mehr Beamte) gestrichen worden.
Die zumindest vorerst abgesagte Erhöhung der Familienbeihilfe bringt Einsparungen von rund 200 Millionen Euro jährlich und damit über die gesamte fünfjährige Legislaturperiode etwa eine Milliarde für das Budget. Diese Zahlen wurden der APA am Donnerstag in Regierungskreisen bestätigt. Unangetastet bleibt hingegen der Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen.
Dafür will die Regierung in den Jahren 2014 bis 2018 weiterhin 350 Millionen Euro ausgeben. Ursprünglich war zwar von 400 Millionen (100 Millionen jährlich) die Rede, 50 Millionen wurden allerdings bereits auf heuer vorgezogen.
Die nun abgesagte Erhöhung der Familienförderung hätte den Familien ab 1. Jänner eine Steigerung um bis zu zehn Prozent gebracht. Sie sollte für unter dreijährige Kleinkinder um 163,8 auf 180 Euro (plus 10 Prozent) angehoben werden. Für drei- bis neunjährige Kinder sollte sie von 171,1 auf ebenfalls 180 Euro erhöht werden. Für ab 10-Jährige sollte es 200 Euro (statt 189,3) und für ab 19-Jährige 220 Euro (statt 211,1) geben.
Der Mehrkindzuschlag sollte in dem nun abgesagten Modell wegfallen und durch eine höhere Geschwisterstaffel ersetzt werden. Bei zwei Kindern sollten 15 Euro (statt 12,80), bei drei Kindern 75 Euro (statt 47,80), ab vier Kindern 240 Euro (statt 97,8) ausbezahlt werden. Statt dieser nun abgesagten Erhöhung bleibt es beim Mehrkindzuschlag, den Familien mit einem Haushalts-Brutto-Einkommen bis zu 55.000 Euro im Jahr ab dem dritten Kind beantragen können. Für jedes dritte und weitere Kind wird ein Zuschlag von 20 Euro über die Arbeitnehmerveranlagung gewährt.