Arbeitsmarktkrise: Noch viel zu tun für Regierung und Sozialpartner
Die Sozialpartner und die Regierung haben am Dienstagvormittag über die Corona-Arbeitsmarktkrise beraten. Mit aktuell 404.000 Personen ohne Job gibt es noch 77.500 mehr Arbeitslose in Österreich als vor einem Jahr. Grundsätzliche Einigkeit herrschte bei den geplanten Qualifizierungsmaßnahmen, keinen Konsens gab es bei der Arbeitnehmervertreter-Forderung nach Arbeitszeitverkürzung.
An dem von der Arbeiterkammer und Gewerkschaft organisierten Treffen nahmen Arbeitsministerin Christine Aschbacher und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (beide ÖVP), Sozialminister Rudolf Anschober (Grüne), AK-Chefin Renate Anderl, ÖGB-Präsident Wolfgang Katzian und Wirtschaftskammer-Präsident Harald Mahrer teil. Konkrete Beschlüsse wurden nicht präsentiert.
Seit dem coronabedingten Arbeitslosenrekord Mitte April mit 588.000 Personen ohne Job gehen die Arbeitslosenzahlen kontinuierlich zurück. Zum Höhepunkt der Krise waren zusätzlich mehr als 1,3 Millionen Beschäftigte in Kurzarbeit, nun sind es noch knapp 389.000 Personen. Aktuell sind 11.000 Personen weniger in Kurzarbeit als vergangene Woche. Die Corona-Kurzarbeit kostete den Staat bisher 4,7 Mrd. Euro.
Die Arbeitsministerin rechnet für den Herbst und Winter aus saisonalen Gründen wieder mit einem Anstieg der Arbeitslosenzahlen. "Unser arbeitsmarktpolitischer Instrumentenkoffer ist vorbereitet", sagte Aschbacher. Man werde versuchen, die Zunahme der Arbeitslosenzahlen zu dämpfen. Hohe Erwartungen setzt die Arbeitsministerin in die mit bis zu 700 Mio. Euro dotierte Corona-Arbeitsstiftung, die Qualifizierungsmaßnahmen von heuer Oktober bis 2022 für rund 100.000 Personen anbieten soll. "Das wird die größte Qualifizierungsinitiative der Zweiten Republik", so Aschbacher. Hohe Nachfrage nach Arbeitskräften gebe es etwa im Bereich Erneuerbare Energie, Digitalisierung und Pflege.
Wirtschaftsministerin Schramböck begrüßte "den Schulterschluss von Regierung und Sozialpartnern", dass man "gemeinsam diese schwierige Zeit" überstehe. Es gehe darum, Impulse zu setzen, um Arbeitsplätze zu schaffen. Mit der Anfang September eingeführten Investitionsprämie zeigte sich Schramböck zufrieden. Die Nachfrage nach der Prämie sei sehr hoch. Man werde dies erweitern, weil Arbeitsplätze davon abhängen. Als Rezept gegen die hohen Arbeitslosenzahlen sei "Beschäftigung im öffentlichen Sektor nicht die Lösung", sondern man müsse Beschäftigung in den Betrieben schaffen, sagte Schramböck in Richtung der Arbeitnehmervertreter.
Für Sozialminister- und Gesundheitsminister Anschober muss alles unternommen werden, damit "die Arbeitsmarktkrise nicht eine soziale Krise wird". Außerdem kämpfe man dafür, dass es bei den Corona-Neuinfektionen "keine umfassende zweite Welle" gibt. "Ein zweiter Lockdown wäre ein schwerer wirtschaftlicher Gesamtrückschlag". Anschober warb auch dafür, "die bessere Verteilung von Arbeit, an möglichst viele" nicht aus den Augen zu verlieren. Es gebe Modelle, "die sehr spannend" seien, etwa das freiwillige Solidaritätsprämien-Modell des Arbeitsmarktservice (AMS). Lobende Worte fand er für die Corona-Arbeitsstiftung. "Das ist ein richtiger Schritt in die richtige Richtung."
Eine paradoxe Situation ortet Wirtschaftskammer-Präsident Mahrer: "Auf der einen Seite haben wir eine hohe Arbeitslosigkeit, auf der anderen fehlen nach wie vor viele Fachkräfte", so Mahrer. Man müsse "Angebot und Nachfrage besser zusammenführen", damit "der Kuchen wieder größer wird". Die Wirtschaftskammer drängt auf mehr Mobilität der Arbeitskräfte und betriebsnahe Qualifizierung. Arbeitszeitverkürzung ist für Mahrer ein "Instrument aus den 60er und 70er-Jahren" und wäre für durch Corona schon stark betroffene Betriebe "eine noch größere Belastung". Um Branchen, die vor der Coronapandemie stark vom Strukturwandel betroffen waren - etwa die Fahrzeugindustrie, müsse man sich speziell kümmern, so Mahrer. Beim Lkw-Hersteller MAN Steyr ist das oberösterreichischen Werk mit 2.300 Stellen in Gefahr. Es wäre, "schade eine Kompetenz zu verlieren", sagte der Wirtschaftskammer-Präsident.
Arbeiterkammer-Präsidentin Renate Anderl pochte auf "unterschiedliche Hebel", um die hohen Arbeitslosenzahlen zu senken, etwa die Schaffung von Beschäftigung, Arbeitszeitverkürzung und eine "gute Ausstattung" des AMS. Bei einer möglichen Arbeitszeitverkürzung sollte man die "Unterschiede in Regionen und Branchen" diskutieren, so Anderl. Bei der Corona-Arbeitsstiftung wünscht sich die AK-Chefin "rasch in die konkrete Umsetzung" zu gehen und eine Abwicklung der Stiftung über das AMS. Die Arbeitsstiftung müsse außerdem "allen offenstehen" und "anerkannte Berufsabschlüsse" ermöglichen, forderte sie.
Das Thema Arbeitszeit ist für ÖGB-Chef Katzian auch weiterhin auf der Agenda. Es gebe 66.000 offene Stellen und 404.00 Arbeitslose. "Arbeitslosigkeit ist die unsozialste und unmenschlichste Arbeitszeitverkürzung." Katzian wünscht sich "Maßnahmen, die kurzfristig wirken", damit die Arbeitslosenzahlen im Herbst und Winter nicht stark steigen. Erneut forderte der ÖGB-Chef die Nettoersatzrate beim Arbeitslosengeld zu erhöhen oder zumindest "weitere Schritte" zu setzen, damit den arbeitslosen Menschen zusätzlich finanziell geholfen werden kann. Ebenso wie die AK-Chefin Anderl forderte Katzian "ausreichende Mittel" für das AMS. Im Rahmen eines notwendigen Konjunktur- und Arbeitsmarktpakets drängt der ÖGB-Chef auf spezielle Maßnahmen für junge und ältere Arbeitskräfte, Frauen und Langzeitarbeitslose. Bedarf für zusätzliche Investitionen sieht Katzian vor allem im Bereich öffentlicher Verkehr, Digitalisierung und Bildung, Wohnen sowie Umwelt- und Energiepolitik. Auch mehr Mittel im Sozialbereich seien notwendig, etwa bei der Pflege. Informationen von der Regierung vermisst der ÖGB-Chef zur geplanten Corona-Arbeitsstiftung. Man sei bisher nicht eingebunden gewesen.