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"Tickende Zeitbomben": Regierung will Gefährder "wegsperren"

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Der islamistische Terroranschlag in Wien vom 2. November hat die Republik schwer getroffen. Am Dienstag hatte Bundeskanzler Kurz in Paris gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der deutschen Kanzlerin Angela Merkel, und der EU-Spitze Ursula von der Leyen und Charles Michel eine bessere Koordinierung und Zusammenarbeit angekündigt.

Im Ministerrat am Mittwoch wurde eine Punktation beschlossen: Geplant ist die vorbeugende elektronische Überwachung entlassener Gefährder sowie die Unterbringung terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug, von der ÖVP als "Präventivhaft" bezeichnet.

Weitere Punkte umfassen die Möglichkeit zur Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft nach einer Terror-Verurteilung, Führerscheinentzug und strengere Waffengesetze sowie eine "Ergänzung der Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)".

Extremistische Vereine und Kultusstätten will man bei Terrorismuspropaganda leichter schließen können, es soll dafür ein Imameverzeichnis geben. Zudem soll die Zuständigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten für Terrorismusstrafsachen gebündelt werden. Ein erstes Gesetzespaket soll Anfang Dezember in Begutachtung gehen.

Bundeskanzler Sebastian Kurz erklärt, dass zwei Ziele mit den Maßnahmen verfolgt werden sollen:

"Ein konsequentes Vorgehen gegen Gefährder. Und zum Zweiten ein entschiedenes Vorgehen gegen den politischen Islam, der die Grundlage für den Terror bildet." Wie bei geistig abnormen Rechtsbrechern soll die Möglichkeit geschaffen werden, diese Menschen "wegzusperren". Denn diese Menschen seien "tickende Zeitbomben".

Konkret geht es um folgende Punkte aus dem Ministerrat:

Zentrale Maßnahmen:

  • Schaffung einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage für eine elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Vorbeugung von terroristischen Straftaten
  • Schaffung einer EMRK-konformen Möglichkeit der Unterbringung terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug
  • Doppelstaatsbürgerschaft: Schaffung der Möglichkeit der Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft aufgrund Verurteilung einer terroristischen Straftat
  • Explizite Anführung der Möglichkeit des Entzugs der Lenkerberechtigung im Führerscheingesetz – effektiver Informationsaustausch der zuständigen Behörden.
  • Ergänzung der Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)
  • Schaffung der Möglichkeit der Schließung von Kultusstätten bei Terrorismuspropaganda durch Einführung eines einheitlichen Imameverzeichnisses und Registrierung ausländischer Imame in der Zeit der religiösen Aktivität in Österreich
  • Bündelung der Zuständigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten für Terrorismusstrafsachen
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Für FPÖ "diskussionswürdig", Neos wollen zuerst Aufklärung

Zurückhaltend haben die Oppositionsparteien auf das von der Regierung angekündigte Anti-Terror-Paket reagiert. "Einige Punkte des Pakets der Regierung sind durchaus diskussionswürdig, manches ist allerdings nicht zu Ende gedacht", meinte FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl am Mittwoch in einer Aussendung. 

Kickl forderte ein "Verbotsgesetz gegen den politischen Islam, inklusive eines Verbots aller verschiedener Vereinigungen, Organisationen, Einrichtungen und Vereine wie etwa Muslimbrüder, Milli Görüs oder ATIB". Zudem will er den Verlust der Staatsbürgerschaft für Islamisten, und zwar unabhängig davon, ob die Person staatenlos wird oder nicht. Fußfesseln statt Haft seien außerdem absurd, denn ein Attentäter könne auch mit Fußfesseln problemlos schießen, merkte Kickl an.

"Nicht reinlassen, abschieben, verbieten, einsperren und nicht mehr rauslassen - das ist einzige, das im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus funktioniert", glaubt Kickl. Das Anti-Terror-Paket entbinde die Regierung auch sicher nicht von der Verantwortung und der Aufklärung im Zusammenhang mit der Terrornacht von Wien. Die FPÖ sei jedenfalls zu Gesprächen bereit, Kickl schlug dazu eine gemeinsame Sondersitzung aller Parlamentsfraktionen vor.

"Die Bundesregierung wirft mit Punktationen um sich und nennt das dann ein effektives Vorgehen gegen den Terror", reagierte der stellvertretende NEOS-Klubobmann Nikolaus Scherak mit Unverständnis auf das angekündigte Anti-Terror-Paket. Bevor man über schärfere Maßnahmen spreche, müsse der Anschlag "lückenlos und unabhängig" aufgeklärt werden. "Das muss oberste Priorität haben." Sollte sich nach der Aufklärung herausstellen, dass weitere Schritte notwendig seien, könne man diese anschließend diskutieren.

 

 

Der KURIER gibt hier aus der Kommunikation des Ministerrats alle Punkte wieder, die heute beschlossen wurden:

Maßnahmen zur Prävention der Verbreitung von extremistischem Gedankengut

  • Erweiterung des Symbolgesetzes hinsichtlich Akteure und Verwendungsverbot (z.B.: Verwendung von Symbolen in Vereinen, etc.)
  • Anpassung der rechtlichen Grundlagen zur Auflösung von extremistischen Vereinen
  • Schaffung der Möglichkeit der Schließung von Kultusstätten bei Terrorismuspropaganda durch Einführung eines einheitlichen Imameverzeichnisses und Registrierung ausländischer Imame in der Zeit der religiösen Aktivität in Österreich
  • Systematischer Daten- und Informationsaustausch zwischen Sicherheitsbehörde, Vereinsbehörde und Kultusamt
  • Konsequente Kontrolle und Erweiterung der bestehenden Bestimmungen zur Verhinderung von Umgehungskonstruktionen des Auslandsfinanzierungsverbotes im Islamgesetz
  • Konsequente Trockenlegung der Finanzierung von fundamentalistischen/extremistischen Gruppen und Moscheen aus dem Ausland; Unterstützung/Forcierung aller Initiativen auf EU- und internationaler Ebene in diese Richtung
  • Wirksame Durchsetzung des Islamgesetzes – Moscheen und Vereine, die dadurch auffällig werden, dass unter dem Deckmantel der Religionsausübung antidemokratische, radikal-islamistische, verfassungswidrige Aktivitäten stattfinden, sind konsequent zu schließen
  • Fokus auf Extremismusprävention in allen sozialen Bereichen, insbesondere im Bildungswesen
  • Ausbau von Anlaufstellen und niederschwelligen Beratungsangeboten für Angehörige, die Radikalisierungstendenzen wahrnehmen, jedoch davor zurückschrecken, Behörden und andere Stellen zu informieren
  • Meldestelle für gewaltverherrlichende Online-Inhalte („Cyber-Dschihadismus“)

Mehr Effektivität der Ermittlungsmethoden und Zusammenarbeit der zuständigen Behörden

  • Umsetzung der geplanten BVT-Reform inklusive Anpassungen und Verbesserung der Befugnisse für die neue Organisationsstruktur des BVT insbesondere für den nachrichtendienstlichen Bereich
  • In diesem Rahmen: Umfassende Neuaufstellung des BVT zur Wiederherstellung des Vertrauens seitens der Bevölkerung und von Partnerdiensten. Diese umfasst insbesondere die klare strukturelle Trennung in eine nachrichtendienstliche und eine Staatsschutzkomponente sowie die Herstellung von zeitgemäßen Sicherheitsstandards
  • Anpassung der Überwachungs-Verordnung auf die aktuellen technischen Standards für unverschlüsselte, internet-basierte Kommunikation (Voice over LTE, etc.)
  • Bündelung der Zuständigkeit von Staatsanwaltschaften und Gerichten für Terrorismusstrafsachen
  • Einführung einer rechtsverbindlichen Informationspflicht seitens des BVT/LVTs über strafprozessuale Erkenntnisse an die Staatsanwaltschaft, damit die Staatsanwaltschaft unmittelbar auf Basis umfassender Information durch die ermittelnden und überwachenden Sicherheitsbehörden einschreiten kann.
  • Vermeidung einer Gefahr für staatspolizeiliche Strukturermittlungen und den Schutz klassifizierter Informationen im Strafverfahren.

Mehr Effektivität bei der Kontrolle von Gefährdern

  • Schaffung einer EMRK-konformen Möglichkeit der Unterbringung terroristischer Straftäter im Maßnahmenvollzug
  • Einführung einer Überwachungsverpflichtung bei Terrordelikten – kein Gefährder, der entlassen wird, darf unüberprüft bleiben – hierfür Schaffung einer verfassungskonformen Rechtsgrundlage für eine elektronische Aufenthaltsüberwachung zur Vorbeugung von terroristischen Straftaten
  • Effizientere Methoden zur Risikoeinschätzung
  • Schaffung von Verbindungsstellen mit wechselseitigen Informationspflichten der Sicherheitsbehörden, Justizbehörden und beigezogenen Vereinen und Organisationen insbesondere für die Abhaltung von Fallkonferenzen
  • Fallkonferenzen vor bedingter Entlassung von Terrorstraftätern (Ausbau der Kommunikationsflüsse zwischen Sicherheits- und Justizbehörden und zur Erfüllung von Weisungen beigezogenen Vereinen und Organisationen)
  • Verpflichtung des Gerichts im Verfahren über die bedingte Entlassung eines wegen Terrordelikte (§ 246f.; § 278ff. StGB) Verurteilten die zuständige Verbindungsstelle über eine Gefährdungseinschätzung unter Berücksichtigung des Vollzugsverhaltens zu ersuchen (§ 152 Abs. 2 StVG);
  • Erweiterung der gerichtlichen Aufsicht nach §52a StGB auf Personen, die wegen §§ 278b ff StGB verurteilt wurden, mit verstärkten Berichtspflichten von Bewährungshilfe und Einrichtungen der Deradikalisierung.
  • Verlängerung der Probezeit (mit weiterer Überschreitungsmöglichkeit bei Rückfall)
  • Prüfung der Einführung von Regelungen im Polizeilichen Staatsschutzgesetz und Sicherheitspolizeigesetz, um bei Terrordelikten auch nach der Haft strenge Maßnahmen zu setzen, wie Meldeverpflichtungen, Reisebeschränkungen, längerfristige und engmaschigere Betreuung in der Deradikalisierung
  • Konsequente Durchsetzung aller bestehenden Möglichkeiten des Entzugs staatlicher und finanzieller Leistungen nach Verurteilung wegen eines Terrordelikts
  • Doppelstaatsbürgerschaft: Schaffung der Möglichkeit der Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft aufgrund Verurteilung einer terroristischen Straftat
  • Explizite Anführung der Möglichkeit des Entzugs der Lenkerberechtigung im Führerscheingesetz – effektiver Informationsaustausch der zuständigen Behörden.

Gesetzliche Verschärfungen zur Bekämpfung von Terrorismus und religiös-motiviertem Extremismus

  • Verschärfung der Bestimmungen für Geldwäsche und Terrorfinanzierung
  • Ergänzung der Straftatbestände zur effektiven Bekämpfung des religiös motivierten politischen Extremismus (politischer Islam)
  • Strafgesetzlicher Erschwerungsgrund des religiös motivierten politischen Extremismus als Erschwerungsgrund im Strafgesetz
  • Prüfung der bestehenden Strafrahmen der Terrordelikte und ggf. Ausweitung

Deradikalisierung im Strafvollzug

  • Verpflichtende Vollzugsplanung mit individualisiertem Deradikalisierungsplan
  • Einrichtung bedarfsorientierter Sicherheitsabteilungen in den Justizanstalten
  • Clearingsstelle (Schnittstellenmanagement; Durchführung der Risikoeinschätzung; Fallbesprechungen, etc.)
  • Strengere Waffengesetze
  • Verschärfung des Waffengesetzes: Bei jeder Neuausstellung von Waffenpässen oder Waffenbesitzkarten verpflichtende Prüfung der Extremismus-Datei des BVT
  • Prüfung der Straftatbestände für Besitz- und Beschaffung verbotener Waffen und ggf. Verschärfung
  • Personen, die wegen Terrordelikten verurteilt wurden, ist ein lebenslanges Verbot des Besitzes und Erwerbs von jeglichen Waffen-, Waffenbestandteilen und Munition aufzuerlegen. Verstöße sind unverzüglich dem Gericht zu melden.

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