Politik/Inland

Androsch: "Die SPÖ ist nicht auf dem Höhepunkt"

Aus Anlass seines bevorstehenden 80. Geburtstages am 18. April sprach der KURIER mit dem international tätigen Unternehmer und früheren SPÖ-Vizekanzler und Finanzminister Hannes Androsch über die EU, globale Herausforderungen, die türkis-blaue Regierung und seine Partei.

KURIER: Herr Doktor Androsch, Sie sind kurz nach dem so genannten Anschluss geboren. Ihre Kindheit war Krieg. Ist unsere Demokratie heute gesichert?

Hannes Androsch: Um Frieden, Freiheit, Stabilität und Wohlstand muss man zu allen Zeiten kämpfen. Wir blicken auf 73 Jahre friedliche Entwicklung in unserem Land zurück. Daraus ergibt sich die Verpflichtung und Verantwortung, das zu erhalten.

Das europäische Projekt wurde als Antithese zu Krieg, Faschismus und Holocaust gegründet. Überlebt die EU?

Zur positiven Entwicklung bis 1989 in Westeuropa und danach auch im Osten hat die EU wesentlich beigetragen – und die Vereinigten Staaten. Dass Amerika bedauerlicherweise selbstzerstörerische Entwicklungen nimmt, ist höchst beunruhigend. Wir haben heute eine multipolare Unordnung. In so einer Welt sind europäische Staaten zu Kleinstaaten geworden. Der einzige Ausweg ist, Kräfte zu bündeln. Wer glaubt, Probleme alleine zu lösen, ist zur Bedeutungslosigkeit verdammt. Wir brauchen das europäische Projekt, wenn wir auf der Weltbühne der Mächtigen Mitspieler und nicht Spielball sein wollen.

Wie dramatisch ist der Handelskrieg zwischen Ost und West?

Das ist ein Zeichen von höchst begrenztem Horizont und Unkenntnis der Vergangenheit, eine kollektive Unverantwortlichkeit. Europa konnte aufsteigen wie Phönix aus der Asche, das Pendel bewegt sich jetzt Richtung Osten. Die Chinesen machen es mit ihrer Seidenstraße nur geschickter als Putin mit seinen Bomben in Syrien. In diesem Kontext muss man verstehen, warum Kreisky entsetzt war, als sein Nachnachfolger 1987 das Außenministerium an die ÖVP abgegeben hat. Seither ist das Ressort inhaltslos. Österreich hat sich im Rahmen des europäischen Projektes isoliert und wird sich mit der Politik der neuen Regierung noch weiter isolieren.

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Österreich übernimmt im Juli den EU-Vorsitz. Vermittelt die Regierung genug Europa?

Nach wie vor sind gut 60 Prozent für Europa. Selbst die Freiheitlichen, die einer EU-Fraktion angehören, die die Union zerstören will, machten eine Kehrtwendung. Daraus muss noch keine EU- unterstützende Haltung entstehen, die ich auch beim Bundeskanzler – trotz verbaler Beteuerungen – kaum erkennen kann. Ich kann auch nicht erkennen, dass er in der Integrationszuständigkeit einen signifikant positiven Beitrag geleistet hat. Er hat all diese Funktionen nur zur Selbstdarstellung und Selbstbeförderung benutzt, ein politischer Dorian Gray.

Die Mehrheit der Österreicher befürwortet aber doch die neue Regierung und Kanzler Kurz. . .

Man muss die Sehnsucht der Menschen nach Neuem und Veränderung verstehen. Da könnte sich aber rasch eine Ernüchterung ergeben, schneller als es den momentanen Nutznießern lieb sein mag. Ob diese Schaumschlägerei aus Versprechungen und Zielsetzungen eingelöst wird, muss sich erst zeigen. Regierung kommt von regieren und nicht von Schmähführen. Man denke an das Rauchverbot, den Verfassungsschutz, den Lurch der Vergangenheit bei der Liederbuch-Affäre. Oder das Kopftuchverbot für Minderjährige, die in ihrer Religion gar nicht kopftuchpflichtig sind. Das ist Schmähtandlerei pur.

Aber welche Ernüchterung?

Das hat man in Kärnten gesehen. Kurz hat die Einigung nicht gepasst und hat einen shakespearehaften Königsmord gemacht – und ist übrig geblieben. Das ist eine Blamage. Das Ergebnis ist jetzt schlechter für die ÖVP.

Fällt Ihnen auch etwas Positives zur neuen Regierung ein?

Wenn man die Mehrheit hat, ist es legitim, eine Regierung zu bilden. Dass man sich nach 100 Tagen abfeiert, finde ich aber lächerlich, wenn man weiß, welche Vorlaufzeiten man braucht, selbst wenn man gut vorbereitet und erfahren ist – und all das trifft auf diese Regierung nicht zu. Der erste Testfall ist das Doppelbudget. Die Rede war noch nicht verhallt, musste man es schon korrigieren, etwa beim Auslandskatastrophenbeitrag. Dafür hat sich die Regierungsspitze 45 Millionen für Propagandazwecke genehmigt. Im Pflegebereich sind 500 Millionen offen, die Landesverteidigung hat das bisher schlechteste Budget. Die Universitäten bleiben chronisch unterfinanziert, auch die Schulen. Und mit zwölf berittenen Polizisten werden wir nicht dazu beitragen, die EU-Außengrenze zu schützen.

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Wie sehen Sie heute die SPÖ?

Wenn man nicht mit der Zeit geht, geht man mit der Zeit. Und in vielen Belangen ist meine Partei – zu meinem Leidwesen – nicht auf dem Höhepunkt der Zeit. Trotz aller vergangener Erfolge. Man muss verstehen, dass die Menschen wahrgenommen und wertgeschätzt werden wollen und zweitens, dass sie Sehnsucht nach Halt und Orientierung haben. Die sollte man ihnen gegeben.

Was konkret kritisieren Sie an der SPÖ, an der Kern-Truppe?

Ob wir eine Kern-Truppe haben, weiß ich nicht. Wenn jemand seriöse Politik macht, dann hat er Erfolg. Das hat Landeshauptmann Kaiser bewiesen, das Potenzial ist offensichtlich da. Und das ist zugleich die Antwort auf das, was in anderen Bereichen fehlt. „More of the same“ ist zu wenig. Die Frage der Sicherung der Pensionen, das un gelöste Pflegeproblem, die Organisationsprobleme im Gesundheitswesen, das erkennen die Leute täglich. Von ihren Vertretungen dürfen sie erwarten, dass sie zur Gestaltung bereit sind. Wir haben zwei Welten in Österreich: Eine leistungsfähige und leistungsbereite, auf der anderen Seite wird gelähmt und verschleudert. Was in den vergangenen 20 Jahren an Volksvermögen und Einfluss in diesem Land ohne Not verschleudert wurde – CA, Bank Austria, Buwog, Telekom – geht auf keine Kuhhaut.

Muss die SPÖ nach links rücken?

In der Politik geht es um Fortschrittlichkeit, Stillstand oder Rückschrittlichkeit. Mit ungenügenden Fußballern kann man nicht ins Finale kommen. Es gelingt ja nicht einmal, einen Elfmeter ohne Tormann zu verwandeln. Man ist nicht in der Lage, einen haltbaren Antrag auf einen U-Ausschuss zustandezubringen. Wenn man von 730.000 Mitgliedern in den 1970er-Jahren auf 150.000 abgesunken ist, hätten längst die Alarm glocken läuten müssen.

Wann öffnet sich die SPÖ den Blauen gegenüber?

Wenn es der FPÖ gelingt, Unzufriedene aus Protest für sich zu gewinnen, sind das noch lange keine Blauen. Pauschal kann man selbst die Korporierten nicht in einen Topf werfen. Ich schließe mich der Gedenkrede von André Heller an. Es ist legitim, Fehler zu begehen, man muss aber bereit sein, sie zu korrigieren. Als 1983 Friedrich Peter 3. Nationalratspräsident werden hätte können – ich glaube, er war einer, bei dem die Einsicht ein gekehrt war – haben ÖVP-Kreise heftig dagegen protestiert. Heute schweigen sie. Ich warne davor, 25 Prozent der Wähler abzustempeln. Man muss sich von jedem Mitbewerber abgrenzen, man darf aber niemanden ausgrenzen. Mit der FPÖ gibt es Schnitt- und Trennmengen. Darüber kann man reden, nicht aber über Grundsätzliches: eine klare Haltung zur Vergangenheit, zu Menschenrechten. Dazu gehört, dass man Flüchtlingen im Rahmen der Möglichkeiten Hilfe und Aufnahme gewährt. Und dass man kapiert, wie wichtig für unsere Zukunft das europäische Projekt ist.