Politik/Inland

Schieder: Schelling "bevorzugt" Reichere

KURIER: Die Steuerreform ist seit einer Woche in Kraft, Finanzminister Schelling denkt schon an die nächste: Er will ab 2017 die "kalte Progression" abschaffen, die den Effekt der Steuerreform in zwei, drei Jahren wieder aufgefressen haben wird. Wollen Sie das auch?

Andreas Schieder:Zunächst muss man sagen, dass die Steuerreform eine Entlastung von fünf Milliarden Euro bringt, was die kalte Progression mehrerer Jahre abschwächt oder refundiert. Es gibt aber auch eine Veränderung des Steuersystems: Wir haben es modernisiert, wir haben die Einstiegssteuersätze reduziert, um Arbeitsanreize zu schaffen. In einem starren mathematischen System, wo sich die Steuergrenzen nach Inflationsraten automatisch verändern, hätten wir das nicht machen können. Steuerpolitik ist Verteilungspolitik, Wirtschaftspolitik und Wachstumspolitik. Diesen Spielraum muss sich der Staat und der Finanzminister erhalten.

Und dafür muss man in Kauf nehmen, dass der Effekt der Reform mit der Zeit verpufft.

Das größere Problem im Steuersystem ist, dass wachstumsfreundliche Anreize fehlen. Außerdem fehlt noch immer eine Erbschaftssteuer. Ich halte auch eine Debatte über steuerliche Anreize für die Erreichung der Klimaziele für ebenso wichtig wie die kalte Progression. Lieber Kampf der Klimaerwärmung als der Automatismus bei der kalten Progression!

Wäre es denkbar, dass man zumindest einen Teil, sagen wir die Hälfte, der kalten Progression automatisch ausgleicht?

Natürlich. Aber der Vorschlag des Finanzministers hat einen verteilungspolitisch negativen Effekt: Die hundertprozentige Abgeltung der kalten Progression bevorzugt die Besserverdiener. In den unteren Einkommensgruppen wirkt sich die kalte Progression schärfer aus, daher ist es dort sinnvoller, öfter zu entlasten. Das will ich aber nicht durch einen Automatismus lösen, sondern durch eine verteilungs- und steuerpolitische Diskussion.

Demnächst wird im Parlament die Bildungsreform verhandelt. Für manche Punkte brauchen Sie eine Zweidrittelmehrheit im Plenum. Was ist hier noch Verhandlungssache und was ist schon in Stein gemeißelt?

In Stein gemeißelt ist noch gar nichts. Jetzt werden die Gesetzesentwürfe erstellt, dann werden wir gemeinsam mit der Bildungsministerin und den Fraktionen, die positiv mitwirken wollen, über alles reden.

Die Grünen haben schon signalisiert, dass die Quote der gemeinsamen Schule eine Bedingung für ihre Zustimmung zu den Zwei-Drittel-Fragen sein könnte. Sie fordern eine höhere Obergrenze als die 15 Prozent, die jetzt vorgesehen sind.

Da ist sicher noch eine Diskussion im Parlament notwendig, und da gibt es auch Spielraum – bleibt es bei den Prozentsätzen, gelten die pro Bundesland oder für größere Bildungsregionen usw.

Die Neujahrskonferenz des SPÖ-Klubs kommende Woche soll sich mit "kommunalpolitischen Herausforderungen für die Bundespolitik" befassen. Was darf man darunter verstehen?

Die Fragen der Kommunalpolitik sind der Mikrokosmos für die Herausforderungen des kommenden Jahres: Kinderbetreuung, Pflege, Wirtschaftspolitik, etc. Die Bundespolitik und die regionale, kommunale Politik haben viel miteinander zu tun, reden aber oft zu wenig miteinander.

Wird es auch um das Thema Flüchtlinge gehen?

Ja, auch darum.

Wie stehen Sie zur Debatte um Obergrenzen für Flüchtlinge? Neben dem Koalitionspartner hat das zuletzt u. a. SPÖ-Landeshauptmann Niessl gefordert.

Schauen wir, was die Experten sagen: Das Rote Kreuz, Kilian Kleinschmied, der Berater der Innenministerin ist, und Heinz Faßmann, der Außenminister Kurz berät, haben sich in den letzten Tagen alle dagegen geäußert. Ich glaube, mit gutem Grund. Menschen, die wegen ihrer politischen Einstellung, ihrer Ethnie, Religion, Nationalität, politischer Gesinnung oder Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verfolgt sind, steht nach internationalen Konventionen ein Asylrecht zu. Deswegen ist die Debatte um Obergrenzen die falsche. Ich habe auch das Gefühl, dass es den ÖVP-Politikern, die diese Diskussion gestartet haben, um ein Ablenkungsmanöver geht. Es melden sich genau jene zu Wort, die von ihren eigenen Fehlern und Mankos ablenken wollen. Natürlich sage ich auch als Sozialdemokrat: Weniger Flüchtlinge sind besser. Sowohl, weil es leichter zu handhaben ist, als auch für die Menschen an sich, weil es bedeutet, dass es weniger Fluchtgründe gibt.