Albanien: Aus dem Armenhaus nach Europa
Von Walter Friedl
Im Ausgehviertel im Zentrum Tiranas ist selbst am Montag in den angesagtesten Lokalen kein Platz zu bekommen. Bei Bier, Wein und Cocktails darf der Tag an diesem heißen Frühsommertag ausklingen. Das Flair ist südländisch, die Stimmung ausgelassen. Mit seinen vielen Cafés, Palmen-bewachsenen Parks und grellen Marken-Stores erinnert die albanische Kapitale an eine italienische Stadt – fern der Klischees, die noch in den Köpfen vieler Mittel- und Nordeuropäer verankert sind: rückständig, heruntergekommen, dreckig, gefährlich – wie sich das ehemalige Armenhaus auf dem Balkan einst tatsächlich präsentierte.
Neuester Hit: Ein Fahrrad-Leihsystem per Handy. „Die Leute sagten, das gibt es überall in Europa, wir wollen das auch. Also haben wir das gemacht“, sagt der dynamische Bürgermeister Tiranas, Erion Veliaj, vor österreichischen Journalisten, „denn wir wollen ja hier ein Stück Europa entwickeln“, so der 38-Jährige, der dann auf das beschlossene Plastiksackerl-Verbot verweist.
Österreich-Präsenz
Den zentralen Skanderbeg-Platz hat er autofrei gemacht und eine alte Gewohnheit aus der kommunistischen Zeit, das Denunziantentum, ins Positive gewendet: „Wenn Leute Formen von Vandalismus sehen oder entdecken, dass irgendwo ein Baum umgefallen ist, können sie das via App bei uns melden und wir schnell reagieren.“
Tirana ist das pulsierende Zentrum des Drei-Millionen-Einwohner-Landes, jeder dritte Albaner wohnt hier, 50 Prozent des BIPs werden im Großraum erwirtschaftet. Das sieht man mit freien Auge: Die kerzengerade Straße vom modernen Flughafen in die Stadt ist gesäumt von Niederlassungen von Mercedes oder Toyota, von Möbel- wie Gartengeschäften – und natürlich von zahlreichen Outlets. Auch mehr als 50 österreichische Unternehmen sind im Land präsent und hoffen wie die sozialdemokratische Regierung unter Premier Edi Rama auf eines: Dass die von der EU-Kommission empfohlenen Beitrittsgespräche endlich starten: „Die Verhandlungen würden die Modernisierung schneller voranbringen“, so Rama kürzlich vor österreichischen Journalisten. Ob sich die Staats- und Regierungschefs auf ihrem Gipfel ab 28. Juni allerdings dazu durchringen können, ist fraglich.
„Europäische DNA“
Ein Aufschub würde die Menschen frustrieren, meint der Premier, sie, die laut Umfragen zu 84 Prozent für die EU-Mitgliedschaft sind, würden die „Energie verlieren“, weiter in Richtung Europa zu marschieren. Andere befürchten, dass populistische Rabauken die Profiteure sein könnten. Und wieder andere warnen, dass Brüssel Albanien partiell an Peking, Moskau und Ankara verlieren könnte. Tatsächlich sind alle drei Länder sehr bemüht, hier Fuß zu fassen. So hat China bereits den bis dato einzigen internationalen Flughafen (in Tirana) von dem deutschen Baukonzern Hoch-Tief übernommen.
Doch Finanzminister Arben Ahmetaj beruhigt: „Wir sind Teil der europäischen DNA und europäischer als so mancher EU-Staat.“ Zugleich verweist er auf die positive Entwicklung der vergangenen Jahre. Das Wirtschaftswachstum sei 2017 bei 3,84 Prozent gelegen, für heuer seien 4,2 Prozent prognostiziert. Die Zahl der Jobs sei um 50 Prozent auf 667.000 angewachsen. Allerdings liegt der durchschnittliche Monatslohn bei umgerechnet bloß 400 Euro, der staatliche Mindestlohn bei mickrigen 207 Euro. Und das bei Spritpreisen von rund 1,40 Euro pro Liter.
Tourismus-Potenzial
Besonderes Hoffnungsgebiet sei der Tourismus, der sich seit 2014 verdreifacht habe und schon zehn Prozent des BIPs ausmache. Für heuer werden fünf Millionen Urlauber erwartet.
Vor allem der Süden Albaniens mit seinen nahezu unberührten Stränden bietet enormes Potenzial, das Tirana auch heben will. „Investoren, die dort für die Errichtung von Fünf-Sterne-Hotels Geld in die Hand nehmen, zahlen zehn Jahre lang keine Steuern“, verrät Ahmetaj. Die Kette Falkensteiner prüft derzeit bereits ein Engagement.
Während Regierungsvertreter versuchen, die Lage des Landes ins beste Licht zu rücken, leuchtet die Opposition naturgemäß auch die echten oder vermeintlichen Schattenseiten aus. „Rama wollte 2013 unbedingt Premier werden und hat sich mit der Unterwelt ins Bett gelegt“, sagt der Abgeordnete Genc Pollo von der „Demokratischen Partei“, „seither gibt es eine Allianz zwischen Regierung, Oligarchen und Organisierter Kriminalität.“ Für staatliche Aufträge sei viel Geld aus dubiosen Quellen wieder zurückgeflossen, das dann für Wählerstimmenkäufe verwendet worden sei, erhebt Pollo in fast akzentfreiem Deutsch schwere Vorwürfe. Edi Rama baue bloß „Fassaden“ auf, „potemkinsche Dörfer“. Einige wenige würden profitieren, generell wachse aber die Armut.
Auf der Ausgehmeile Tiranas sieht man davon wenig. Junge Männer fahren stolz mit ihren fetten Mercedes- oder BMW-SUVs vor. Die Nummerntafeln ähneln bereits frappant jenen von EU-Ländern: Links auf blauem Hintergrund das Kürzel AL, darüber der albanische Doppeladler – der sich, so die Hoffnung im Land, bald in den europäischen Sternenkranz erheben soll.
Diese Reise wurde ermöglicht durch das Wiener Institut für den Donauraum und Mitteleuropa und von Rognerhotel, Raiffeisen und UNIQA finanziert.