"Aggressiv gegrapscht": Skandal stürzt den "Aufdecker der Nation"
Das war’s: Nicht einmal drei Wochen nach dem überraschenden Wahlerfolg der Liste Peter Pilz bei der Parlamentswahl gab der 63-jährige Steirer bekannt, dass er sein Nationalratsmandat nicht annehmen werde. Kommenden Donnerstag findet die konstituierende Nationalratssitzung statt – ohne ihn.
Freitagnachmittag wurden erstmals Vorwürfe bekannt, dass Pilz 2015 eine ihm unterstellte Mitarbeiterin der Grünen "in 40 dokumentierten Fällen" belästigt haben soll. Demnach soll er sie "Schatzi" genannt haben, und dass sie ihr "Höschen einpacken" solle, um mit ihm auf Urlaub zu fahren, und auch, dass er sich ihr körperlich genähert haben soll.
Diese Vorwürfe bestreitet Pilz vehement und überlegt rechtlich dagegen vorzugehen.
Alpbach, Sommer 2013
Der Grund des Rücktritts ist ein anderer: Da geht es um neue Vorwürfe, die erst nach Veröffentlichung des profil-Berichts über die betroffene Mitarbeiterin in einer Diskussion via Twitter aufgekommen sind: Pilz soll in Tirol beim Forum Alpbach im Jahr 2013 eine Mitarbeiterin der ÖVP aus Brüssel sexuell belästigt haben. Zwei Männer, der Banker Christian Niedermüller und der Chef der Wiener SPÖ-"Sektion ohne Namen", Oliver Stauber, waren Zeugen des Vorfalls. Stauber beschreibt im Gespräch mit dem KURIER: "Pilz war an dem Abend offensichtlich alkoholisiert, und hatte sich und seine Hände nicht unter Kontrolle."
Gegenüber dem Falter beschrieb die Frau, die namentlich nicht genannt werden will, das Geschehen so: "Seine Hände waren überall. Zuerst umklammerte er meinen Arm, mit der anderen Hand war er an meinem Hals und dann an meinem Busen und Rücken. Auch sein Gesicht war viel zu nahe an mir. Das ging alles ziemlich schnell. Ich konnte mich nicht bewegen, nicht atmen, geschweige denn wehren. Ich rechne ja nicht damit, dass ich in einer gemütlichen Runde in Alpbach plötzlich aggressiv begrapscht werde."
Stauber berichtet weiter, dass er dann, gemeinsam mit dem Banker, Pilz von der Frau weggezogen habe. "Das hat nur ganz kurz gedauert."
Die Frau hatte sich schon überlegt, das zu veröffentlichen, zuletzt, als Pilz ankündigte, kandidieren zu wollen. "Aber wie schaut das aus, wenn eine EVP-Mitarbeiterin Anschuldigungen gegen den Saubermann Peter Pilz vorbringt", sagte sie zum Falter. "So kurz vor der Wahl, fast vier Jahre nachdem es passiert ist – auch wenn das von Zeugen bestätigt wird, wirkt das wohl plump konstruiert."
Dass Pilz sich unter Alkoholeinfluss zuweilen nicht im Griff hat – "das weiß jeder, der schon einmal mit ihm auf einer Abendveranstaltung war", bestätigt ein Grüner gegenüber dem KURIER: "Er führt sich auf wie ein alter Bock – das geht von Blicken bis hin zu dreckigen Sagern. Das ist peinlich und verwerflich, aber dass er je eine Grenze überschritten hätte, die ins strafrechtlich relevante geht, habe ich persönlich aber nie wahrgenommen."
"Keine Erinnerung"
Pilz erklärte am Samstag: "An diesen Vorfall kann ich mich persönlich nicht erinnern. Aber persönliche Erinnerungslosigkeit ist keine Entschuldigung." Deshalb werde er sein Mandat im kommenden Nationalrat nicht annehmen. "Ich werde am Donnerstag bei der Angelobung nicht dabei sein."
Jetzt werde er "alles tun, damit die Vorwürfe geklärt werden. Der erste Vorwurf, hinter dem ich politische Absicht vermute ... Und der zweite Vorwurf, wo ich möglicherweise einer Frau wirklich unrecht getan habe und dafür Verantwortung trage." Er bedauere das Ganze auch, "ohne die genauen Details zu kennen", dieser Frau gegenüber.
Und erklärt dann klar: "In solchen Situationen muss man auch als Mann etwas lernen. Ich bin einer dieser älteren, mächtigen Männer, die zum Teil noch aus anderen politischen Kulturen kommen. Ich bin politisch kein besonders korrekter Mensch und ich werde es wahrscheinlich auch nicht mehr werden. Ich habe eine bestimmte Lebensart. Die finden die einen ganz gut und andere sagen: Das tut man nicht so."
Wir älteren und in meinem Fall noch - gerade noch - mächtigen Männer müssen bereit sein auch etwas dazuzulernen.
Er sei dagegen, dass "unser ganzes Leben von politischer Korrektheit dominiert wird. Aber ich bin sehr dafür, dass wir Männer in solchen Positionen darüber nachdenken. Nicht nur wie unsere Absichten sind und wie wir persönlich etwas empfinden, sondern wie das auch jene, die für uns arbeiten und in einer schwächeren Position sind, das empfinden. Und ich glaube, da wird bei mir schon auch etwas gefehlt haben. Und da werden einige wie ich auch etwas dazulernen müssen."
Und wie geht es weiter? In einer Situation, wo eine schwarz-blaue und "in jeder Hinsicht problematische Rechtsregierung fix" sei, wäre es wichtig, eine handlungsfähige Opposition zu haben: "Ich wollte an der Spitze dieser Opposition stehen und werde das jetzt nicht können. Das ist meine eigene Verantwortung."
>>> Grüne nach Pilz-Skandal: "Das fällt auf die Partei zurück"
Wenn es auf der politischen Bühne wieder einmal besonders gut gelaufen war, gönnte sich Peter Pilz gerne einen Extra-Auftritt – zum letzten Mal nach dem Erfolg bei den Wahlen am 15. Oktober. Da stand er im Wiener Schutzhaus „Zur Zukunft“ wieder einmal auf der Bühne und schmetterte Rock’n’Roll-Hadern. Mal hieß das „Prinz Pezi und die Staatssekretäre“, mal „die Lasso-Brüder“, aber es war immer unverkennbar Peter Pilz: Laut, leidenschaftlich, witzig und mit einem Sinn für knallige Effekte.
Linke Szene
In diesem Stil gestaltete der 1954 geborene Sohn eines Voest-Betriebsrats aus dem steirischen Kapfenberg seine gesamte politische Karriere. Pilz kam zum Studieren nach Wien und tauchte dort, ganz wie es sich für einen, wenn auch etwas verspäteten, 68er gehört, tief in die linke Szene ein. Dort freundete er sich auch mit späteren SPÖ-Granden wie Michael Häupl oder Renate Brauner an.
Die grüne Initialzündung war für Pilz, wie für so viele, der Widerstand gegen das Donaukraftwerk Hainburg 1984. Zwei Jahre später zog das Gründungsmitglied der „Grünen Alternative“ in den Nationalrat ein.
Bald war klar, was Pilz’ politisches Talent ausmachte und womit er seine gesamte Karriere bestreiten sollte: Als Provokateur mit Sinn für Dramatik und als harter politischer Aufdecker. Der „Noricum“-Skandal rund um den illegalen Verkauf von Voest-Kanonen an Iran und Irak und die „Affäre Lucona“ um Bonvivant und Politikerfreund Udo Proksch waren seine ersten großen Bühnen. Bald war die Figur Peter Pilz viel größer als es der politischen Rolle der Grünen entsprochen hätte. In seiner Partei war Pilz ohnehin ein nur wegen seiner Erfolge gelittener politischer Einzelkämpfer.
So stand er auch hinter dem Erfolg, der die Grünen endgültig als wichtige politische Kraft etablieren sollte: Der Einzug in den Wiener Landtag 1991. Mit Pilz als Klubobmann wurde Wien zur Hochburg der Grünen und blieb es bis heute. Pilz war kurzfristig auch Bundessprecher der Partei, konzentrierte sich aber bald wieder auf seine Aufdecker-Rolle. Die Eurofighter-Untersuchungsausschüsse waren seine wahrscheinlich größte Rolle. Mit seinem Abgang fehlt auch dort in Zukunft ein Frontman. konrad kramar