Graf: "Bei Treibjagden kann Wild entkommen"
Von Birgit Braunrath
Freitagnachmittag im Büro des Dritten Nationalratspräsidenten. Martin Graf spricht so leise, dass man ihn kaum wiedererkennt. Die Geschichte setzt ihm zu. Er hat einer alten Dame "geholfen", ihr Vermögen – unwiderruflich und ohne Mitspracherecht – in eine Stiftung einzubringen, deren Vorstand er ist, und dann mit dem Stiftungsvermögen Geschäfte zugunsten der eigenen Familie gemacht, so lautet der Vorwurf.
KURIER: Was zeigt das Bild in Ihrem Büro?
Martin Graf: Den Narrenturm. Ich hab’ mir gedacht, das passt fürs Parlament (grinst).
Sie sind einer der Präsidenten dieses „Narrenturms“? Wie können Sie so etwas sagen?
Erstens muss man ein bisschen Humor und Selbstironie haben, und zweitens fühlt man sich hier in manchen Stunden wirklich so.
Wann war es das letzte Mal so weit?
Derzeit ist es laufend so.
Sie werden also auch hier im Haus mit dem Fall Meschar konfrontiert?
Naja, ich höre kaum Politiker, die sich zu Wort melden. Die Medien sind der Treiber. Ich bin sogar Platz 1 der Media-Watch-List.
Ehrt Sie das auch ein bisschen?
Lieber wär’ mir schon, wenn ich aufgrund meiner politischen Tätigkeit Platz 1 erringe.
Womit hätten Sie das verdient?
Zum Beispiel mit meiner Initiative für leistbares Wohnen. Da war ich federführend bei Gesetzesinitiativen betreffend eine Neuordnung des Genossenschaftswesens am Gemeinnützigkeitssektor. Derzeit machen sich die Genossenschaften ein ordentliches Körberlgeld zulasten der Bürger.
Womit wir bei einer Kernbotschaft der FPÖ sind: „Wir sorgen für den kleinen Mann.“ Mittlerweile hört man, der Graf müsse aufpassen, die Stiftungsgeschichte könnte die Partei Stimmen kosten. Als hoher Vertreter der Robin-Hood-Partei stehen Sie plötzlich wie der Sheriff von Nottingham da – schuldig oder unschuldig, Sie sind nicht mehr der Gute ...
... ja, leider ...
Wie geht es Ihnen damit?
Es stimmt mich traurig. Ich sage es mit einem alten Sprichwort: „Jede Gefälligkeit rächt sich früher oder später.“
Man hat derzeit den Eindruck, dass Sie angeschlagen sind. Sind Sie persönlich getroffen?
Ich habe ja auch eine Familie. Mein Vater hat einen halben Herzinfarkt gekriegt, ist im Spital und wird operiert, das ist das Ergebnis.
Sie wollen sagen, die Medien sind schuld, dass Ihr Vater operiert werden muss?
Ich zähle Fakten auf. Meine Frau ist nach einer Operation zu Hause gelegen, plötzlich standen Journalisten auf unserem Grundstück. Mein Bub ist ein Tischlerlehrling, er kommt in die Arbeit und muss sich dort anhören, sein Vater ist ein Gauner. Es ist brutal!
Aber wie ist es für Sie selbst? Merken Sie, dass die Stimmung auf der Straße umschlägt? Oder gehen Sie im Moment gar nicht auf die Straße?
Aber ja, immer noch. Ich fahre auch mit der U-Bahn. 50 Prozent der Leute sprechen mir Mut zu, 50 Prozent beschimpfen mich, das war schon immer so, das kenne ich.
Sie wussten seit Oktober, dass ein Antrag von Frau Meschar auf Abberufung der Stiftungsvorstände bei Gericht liegt. Jetzt wirken Sie überrascht bis überrumpelt. Sind Sie davon ausgegangen, dass das nicht publik wird?
Ich hätte es nicht erwartet. Auch das Abberufungsverfahren kam für mich aus heiterem Himmel. Aber ich mache der Stifterin keinen Vorwurf, nur ihren Beratern. Ihr wünsche ihr das Beste. Ich vergleiche das so: Was macht man, wenn man als Vater draufkommt, dass sein Kind in die Fänge einer Sekte geraten ist? Plötzlich wird Ihnen ein Mensch, den Sie seit vielen Jahrzehnten kennen, entfremdet.
Frau Meschar würde dem Sektenvergleich heftig widersprechen. Sie sagt, Sie habe dem Kauf der Immobilie, in der sich das Lokal Ihres Bruders befindet nie zugestimmt. – War das ein Schritt zu viel, den Sie heute bereuen?
Die Frau Meschar kannte doch das Lokal von unzähligen Besuchen und Essenseinladungen! Und sie hat sich nie gegen den Kauf ausgesprochen, sie hat nur gefragt: „Können wir uns das leisten?“ Die Antwort war: „Ja.“
Sie widersprechen dem, was Frau Meschar jetzt sagt, in allen Punkten. Aber Sie treten nicht als Stiftungsvorstand ab. Wieso?
Eine meiner Grundbedingungen für einen Wechsel im Vorstand war schon bei den ersten Vergleichsgesprächen, dass diejenigen, die jetzt in die Stiftung hineindrängen, eine Erklärung abgeben, dass sie die Stiftung unentgeltlich führen, solange Frau Meschar lebt. Das wurde abgelehnt. Da habe ich gesagt: „So nicht. Der Stifterwille ist zu respektieren.“
Der Stifterinnenwille hat sich aber stark geändert. Sie sagen trotzdem: "Ich bleibe, um die Stifterin vor ihren Günstlingen zu schützen"?
Ich habe nicht gesagt, daher bleibe ich. Es ist nur eine Komponente, die zu beachten ist.
Sie sagen, Sie waren als Mitglied im Vorstand gar nicht vorgesehen und haben das Amt nur aufgrund eines Todesfalls auf nachdrücklichen Wunsch von Frau Meschar angetreten. Warum treten Sie jetzt nicht auf nachdrücklichen Wunsch von Frau Meschar ab?
Wenn solche Vorwürfe erhoben werden, kann ich nicht sagen: „Ich gehe.“ Dann bleiben die im Raum. Ich kämpfe um meine Reputation, das ist ein Menschenrecht. Und das geht nur über das Abberufungsverfahren.
Was machen Sie, falls das Gericht eine vorzeitige Abberufung des Vorstands verfügt?
Dann muss ich das zur Kenntnis nehmen. Aber wenn Frau Meschar das will, werde ich mich auch ohne Stiftungsvorstandsmandat um sie kümmern. Wahrscheinlich eh als Einziger. Ich war immer der Einzige, der auf sie geschaut hat, seit dem Tod ihrer Mutter.
Das klingt rührselig. Wenn tatsächlich alles in böser Absicht gegen Sie konstruiert ist, wie könnten Sie diese Dame immer noch mögen?
Ich kann. Weil ich denke, dass das nicht von ihr ausgeht. Da gibt es offensichtlich eine Beratergruppe – deren Interessen lassen wir jetzt dahingestellt –, die bereit ist, alles zu tun, notfalls über die Medien Unsinn zu verbreiten, eine Gehirnwäsche vorzunehmen ...
Frau Meschar wird beleidigt sein, wenn sie das hier liest: Sekte, Gehirnwäsche ...
Ich habe das nur als Vergleich gebracht. Ich fühle mich, als ob es so wäre.
Was würden Sie Frau Meschar sagen, wenn Sie davon ausgehen, dass sie das hier liest?
(Überlegt kurz) Ich würde sagen: „Gertrude, setz ma uns zam und find ma a gemeinsame Lösung!“ Gern im Beisein der Anwälte, kein Problem. Aber dazu wird es nicht kommen. Sie will mich nicht treffen. Ich sage Ihnen – und ich kenne die Frau Meschar gut –, wenn sie mir gegenübersitzt, sagt sie die Wahrheit.
Haben Sie je Dinge getan, von denen Sie heute sagen: "Das hätt’ ich mir sparen können"?
Na sicher. Immer wieder.
Was konkret?
Das werde ich Ihnen jetzt nicht erzählen (grinst). Würde ich zum Beispiel heute gefragt, ob ich Präsident vom FC Hellas Kagran werden will, würde ich sagen: „Nein, es kostet nur Geld, und ich hab dauernd Schwierigkeiten.“
Sie sollen drei Spielerinnen – politisch motiviert – rausgeworfen haben ...
Drei Damen vom sozialistischen Linksblock haben 2009 auf dem Platz mit Demonstrationen begonnen: „Der Präsident muss weg!“ Da hat es dem damaligen Obmann – seines Zeichens ein Sozialist – gereicht, und er hat gesagt: „Politisiert wird hier nicht. Euch drei brauchen wir nicht mehr!“ Ich selber hab’ davon erst im Nachhinein erfahren. Aber alles, was irgendwo passiert, hab’ ich getan ...
Und die Ohrfeige, die Sie angeblich einem Spieler verpasst haben?
Na nie und nimmer! Was ist das wieder für ein Gerücht? Ich komme mit dem Bekämpfen von Gerüchten nicht mehr nach. Der Tag hat 24 Stunden, ich schlafe auch einige davon, daher kann ich gar nicht alles, was man mir vorwirft, getan haben.
Haben Sie eine Theorie, warum das so ist?
Es gibt offensichtlich einen Bodensatz von Menschen, die am liebsten eine Treibjagd führen. Aber bei Treibjagden kann das getriebene Wild auch entkommen.
Auch aus Ihrem politischen Umfeld hört man nicht nur Schmeichelhaftes über Sie. Sie seien ein eher "einfaches Gemüt" ...
Man hat ja nicht nur Freunde in der Politik. Aber bekanntlich gibt es das in allen Parteien.
Außerdem seien Sie geltungsbedürftig und brüsteten sich damit, Herrn Strache und die Burger-Töchter bekannt gemacht zu haben ...
Der Strache braucht doch für seine Frauenbeziehungen nicht meinen Beistand. So ein Unsinn! Da sind wir wieder beim Narrenturm.
Würden Sie gehen, wenn man Sie darum bittet, weil die Causa Meschar die Partei belastet?
Ich kenne meine Partei lange genug und glaube nicht, dass jemals das Ansinnen kommt, mich aus der Partei auszuschließen.
Einen Aufruf, das Amt des Nationalratspräsidenten zurückzulegen, gab es bereits ...
Der Professor Brauneder hat mich schon beim Rigorosum in Rechtsgeschichte zwei Mal durchfallen lassen. Später ist er nachbarmäßig mit mir im Parlament gesessen. Ich gehe davon aus, dass Brauneder mich schon lange nicht mag. Jetzt hat er es artikuliert.
Bisher hat sich kein FPÖ-Vertreter Brauneder angeschlossen.
Alles ist im Fluss, und nichts ist auszuschließen. Man muss sich positionieren.
Sie haben eingangs Ihren Humor erwähnt. Diesen Donnerstag waren Sie unfreiwillig Hauptdarsteller der "maschek"-Parodie in "Willkommen Österreich". Man sah, wie Sie eine Gruppe Pensionisten durchs Parlament führen. Im „maschek“-Text versuchen Sie, die älteren Leute mit Gratiswürsteln zum Stiften zu bewegen. Können Sie da noch lachen?
Ja, ich find’ das gut. Ich hab’ einen Humor. Viele haben ihn nicht. Das ist der Nachteil mancher politischer Mitbewerber. Die gehen in den Keller lachen. Aber so gewinnt man nie eine Wahl. Das ist der Unterschied.
Die Meschar-Privatstiftung
Chronologie 2006 wurde jene Stiftung gegründet, über die Gertrude Meschar, heute 90, sagt, der Dritte Nationalratspräsident Graf habe sie getäuscht, und Graf sagt, er habe ausschließlich im Interesse und Auftrag der Stifterin gehandelt. 2008 erwarb die Stiftung Anteile einer Liegenschaft, auf der sich das Lokal von Grafs Bruder befindet, an dessen Gastronomie-Betriebs-KG sich Martin Graf mit seiner GM Consulting KG später beteiligte. Gertrude Meschar sagt, sie habe betont, dass sie das Geschäft nicht wünsche und daraufhin das Vertrauen in den Vorstand verloren. Im Oktober 2011 brachte Meschar einen Antrag auf gerichtliche Abberufung der Stiftungsvorstände ein (Graf und zwei weitere Freiheitliche). Vergangene Woche berichtete die ORF -Sendung „Report“ erstmals über den Fall. Graf geriet daraufhin zunehmend unter Druck.
Fortsetzung Das gerichtliche Abberufungsverfahren dauert, sobald man sich auf einen Gutachter geeinigt hat, sechs bis acht Wochen.
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