Politik

Gaucks überzeugender Wien-Auftritt

Nein, über das Thema Nummer eins konnte Joachim Gauck an diesem Sonntag nichts Konkretes sagen: Ob er nun nach dem Abgang von Christian Wulff deutscher Bundespräsident werde, wer ihn auf diesem Weg unterstützen und wer ihn blockieren könnte?„Da müssen Sie schon Frau Merkel fragen“, ließ der 72-Jährige schon am Eingang des kleinen Wiener Theaters die dicht gedrängten Journalisten auflaufen.

„Und die ist bekanntlich sehr schwer auszurechnen“, fügte er wenig später auf der Bühne im Gespräch mit Ö1 -Doyen Peter Huemer hinzu.

„Jetzt ein freier Mensch“

Doch wenn der ehemalige DDR-Bürgerrechtskämpfer bei seinem Auftritt in Wien etwas mehr als deutlich machte, dann dass er für das höchste Amt in Deutschland nicht nur bereit, sondern auch der mit Sicherheit überzeugendste Kandidat ist. „Natürlich bin ich ein bisschen aufgeregt“, machte Gauck kein Hehl daraus, welche Frage nicht nur das politische Deutschland, sondern auch ihn persönlich in diesen Tagen am meisten beschäftigt: „Es ist auch ein ambivalentes Gefühl. Schließlich bin ich jetzt ein freier Mensch, der immer sagen kann, was er sich denkt.“

Frei zu denken, aus freien Stücken zu handeln, das ist im beeindruckend festgemauerten Weltbild des Bürgerrechtlers aus der Diktatur immer noch das zentrale Motiv. Doch dabei ginge es nicht um die „Freiheit eines Pubertierenden“, der einfach egoistisch nur für sich leben würde. Gaucks Freiheit heißt auch Verantwortung für sich selbst und für die Gesellschaft. Verantwortung, vor der man sich nicht fürchten dürfe.

Dass es für ihn zentrales „Lebenskonzept“ ist, sich nicht zu fürchten, das glaubt man dem ehemaligen Pastor, der der Diktatur trotzte, nur zu gerne, ebenso wie seine fein abgestimmte Mischung aus Optimismus und Realismus. Es gebe eben in dieser Gesellschaft alles zwischen „grenzdebil und begnadet. Warum soll das in der Politik anders sein.“

Als jemand, der einst den „überheblichen Antikommunismus der Konservativen“ abgelehnt hat und bis heute „etwas gegen den Antikapitalismus“ hat, sieht der Pastor eine Gefahr darin, „Gläubigkeit in die Politik“ einzubringen: „In der Politik muss man immer den nächsten Schritt setzen, sie nicht immer gegen ein weltfremdes Ideal antreten lassen.“

Deutschlands beste Zeit

Doch diese Realität, in der sich sein Konzept von Politik bewegt, sieht der Optimist Gauck betont positiver als viele seiner gebildeten Zeitgenossen. Die „Kultur des Verdrusses“ nennt er diese urdeutsche Geisteshaltung: „Wenn man laut sagt, in was für einer wunderbaren Welt wir leben, dann wird man in intellektuellen Kreisen doch bald nicht mehr eingeladen.“ Er aber bleibt trotzdem dabei: „Wir leben in der besten Zeit, die Deutschland je hatte.“ Wenn dieses Deutschland, so wie die ganze westliche Welt, zur Zeit einem „Zangenangriff“ durch einen verantwortungslosen „Raubtierkapitalismus“ ausgesetzt sei, dann brauche es mehr denn je eine „realistische gestaltungswillige Politik“. Und zu der hätte der nach Eigendefinition „linke, liberale Konservative mit Distanz zu allen Parteien“ einiges beizutragen – nicht zuletzt einiges an Lebensweisheit und Witz: „Ob ich Präsident werde? Gott oder die Mehrheiten werden es fügen. Und meistens ist es dann eine Melange.“

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