Für Hollande beginnt die Zeit der Wahrheit
Von Danny Leder
Wir haben keinen Spielraum, aber wir nützen ihn." Der Witz könnte von dem humorvollen François Hollande stammen, aber er wurde am Montag bloß von einem seiner Mitarbeiter kolportiert. Die Finanzlage Frankreichs war seit Jahrzehnten noch nie so angespannt, der soziale Frust selten noch so hoch, die internationalen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen selten noch so bedrohlich.
Aber der sozialistische Wahlsieger, der sich am Montag für Beratungen in seine noch bis Samstag gemietete Wahlkampfzentrale zurückzog und am 15. Mai offiziell das Amt des Staatschefs von seinem Vorgänger Nicolas Sarkozy übernehmen wird, dürfte aus der Not eine Tugend machen. Ein paar plakative Wahlversprechen wird Hollande zwar schnell und unverändert umsetzen: Etwa das dreimonatige Einfrieren des Benzinpreises durch eine Senkung der Treibstoffsteuer, eine Erhöhung der Schulstarthilfe für bedürftige Familien, die Anhebung des Plafonds für staatlich begünstigte Sparanlagen, die Schaffung von staatlich gestützten Jugendjobs in Krisenvierteln und eine Sonderregelung, um rund 150.000 Arbeitnehmern, die besonders früh zu arbeiten begonnen und 41 Beitragsjahre eingezahlt haben, den Pensionsantritt mit 60 zu ermöglichen – unter Sarkozy war das Pensionsantrittsalter auf 62 hinaufgesetzt worden.
Darüber hinaus aber wird Hollande Wahlkampfankündigungen neu gewichten und aufschieben in der berechtigten Annahme, dass die allermeisten Franzosen, inklusive der Linkswähler, das auch bereits ahnen, wenn nicht schon akzeptiert haben. Jedenfalls konnte man diese Einsicht bei den Siegesfeiern am Wahlabend spüren: Viele Anwesende erklärten, sie würden von Hollande keine Wunder erwarten und wären einfach schon über den Abgang von Sarkozy zufrieden.
Kassasturz
Diesen Wunsch nach "mehr Bescheidenheit und Gerechtigkeitssinn" an der Staatsspitze will Hollande maximal bedienen: So wird er sofort die Gehälter des Staatschefs und der Regierungsmitglieder um 30 Prozent kürzen. Gestützt auf diese Symbolik hofft Hollande die nächste, heiklere Klippe zu nehmen: Ein Bericht des Rechnungshofes, der einem Kassasturz gleichkommt, könnte Anlass für eine eher sozial-liberale Orientierung und Sparmaßnahmen geben, von denen er im Wahlkampf nicht gesprochen hatte. Um das durchzuziehen, sollen sich im Juli Gewerkschaften und Unternehmerverbände auf einen neuen Sozialpakt einigen.
Indes muss Hollande die Entlassungspläne der Industrie- und Handelsriesen, die während des Wahlkampfs auf Druck von Sarkozy zurückgestellt worden waren, parieren. Auch da könnte es zu einem Arrangement kommen, wobei Hollande seine Ankündigungen einer radikalen Anhebung der Reichensteuern zumindest teilweise an die Wünsche der Unternehmer adaptieren könnte.
Achse Paris–Berlin
Die Zeichen stehen auf Verständigung mit Angela Merkel. Abgesehen davon, dass ein vormaliger Deutsch-Professor, Jean-Marc Ayrault, als Premier im Gespräch ist, gibt man sich nunmehr in Paris und Berlin zuversichtlich: Einer Ergänzung des Euro-Fiskalpakts durch einen Paragrafen über wirtschaftliche Ankurbelungsmaßnahmen – wie von Hollande gefordert – stünde nichts im Wege (Details zur Reaktion Angela Merkels hier).
Sarkozys Anhänger wollen die Revanche
Das Lager um Sarkozy, der vorderhand seinen Rückzug aus der Politik angekündigt hat, rüstet für eine „dritte Wahlrunde". Womit nach den Präsidentenwahlen in zwei Durchgängen die Parlamentswahl Mitte Juni gemeint ist. Die bürgerliche Partei UMP, der Sarkozy bisher vorstand, hofft noch auf eine Retourkutsche für den Sieg von Hollande.
Ihr Hauptargument ist die Warnung vor einer „linken Allmacht", zumal die Sozialisten und ihre Verbündeten (Grüne und KP) bereits über eine Mehrheit im Senat, in allen Regionen sowie in den meisten Städten und Departements verfügen.
Demgegenüber betonen die Sozialisten die Notwendigkeit, dem neuen Präsidenten eine entsprechende Parlamentsmehrheit zu verschaffen, damit er seine Wahlversprechen verwirklichen kann. Tatsächlich gab es bisher, wenn auf eine Präsidentenwahl unmittelbar eine Parlamentswahl folgte, immer den Sieg desselben Lagers.
Chance für Marine Le Pen
Theoretisch wären die Revanche-Träume der UMP nicht völlig unrealistisch, weil Hollande bei der Präsidentenwahl keine überragende Stimmen-Mehrheit erzielte. Praktisch ist die Lage der UMP aber aussichtslos, weil die Rechtsbewegung von Marine Le Pen, die im ersten Durchgang der Präsidentenwahlen auf 18 Prozent gekommen war, bei der Parlamentswahl auf Kosten der UMP einen weiteren Durchbruch feiern wird.
Danny Leders Glosse zur Frankreich-Wahl lesen Sie hier.
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