EU will wieder Visa einführen
Deutschland und Frankreich sowie vier weitere Staaten (Belgien, Niederlande, Schweden, Luxemburg) machen Druck, für Reisende aus Balkanländern die Visapflicht wieder einzuführen. Der Grund: In den ersten acht Monaten 2012 gab es einen enormen Anstieg an Asylwerbern, vor allem aus Serbien, in bestimmten Ländern.
In einem Brief an die EU-Kommission fordern die sechs Staaten eine Änderung der Visa-Verordnung. Konkret verlangen sie eine Schutzklausel, die die automatische Wiedereinführung der Visapflicht ermöglicht, wenn Asylmissbrauch vorliegt oder die Sicherheit eines Landes gefährdet ist.
Innenministerin Johanna Mikl-Leitner ist dafür. "Wir kämpfen hart gegen Asylmissbrauch in der EU. Die Hintertür muss geschlossen werden, damit wir jenen Menschen Schutz geben können, die ihn wirklich brauchen. Ich will rasch die Schutzklausel, um die Wiedereinführung der Visapflicht zu ermöglichen", sagte Mikl-Leitner zum KURIER.
Verschärfung
Auch die EU-Kommission ist für die Verschärfung der Visa-Bestimmungen für Serbien, Albanien, Montenegro, Mazedonien und Bosnien-Herzegowina. Diese Länder haben seit 2010 die Visafreiheit für den ganzen Schengen-Raum.
Beim Rat der EU-Innenminister nächste Woche wird die Visa-Einführung das Hauptthema sein. Mikl-Leitner fordert, "die Verhandlungen über die Einführung der Schutzklausel bis Jahresende abzuschließen". Es gibt einen Haken: Das Europäische Parlament muss der neuen Visa-Verordnung zustimmen. Hier ist mit Widerstand zu rechnen. Der Chef der Europäischen Sozialdemokraten, Hannes Swoboda, erklärte, "dass freies Reisen ein Teil der EU-Integration und wesentlicher Bestandteil der Vorbeitrittsperspektive ist". Der Visazwang für die Balkanländer wäre "ein Rückschritt", der Kampf gegen Asylmissbrauch müsse aber weitergehen, erklärte Swoboda. Die Antwort der Innenministerin: "Ich hoffe, dass sich das Parlament kompromissbereit zeigt."
Warum einige Staaten ein Hotspot für Asylwerber und Asylmissbrauch sind, liegt an unterschiedlichen Versorgungssystemen für Asylsuchende. Die Regelung in Deutschland (siehe Artikel unten) ist völlig anders als etwa in Österreich, wo die Grundversorgung staatlich organisiert ist. In Deutschland bekommt jeder Asylwerber monatlich eine finanzielle Unterstützung und ist individuell für Essen und Wohnen verantwortlich. In Österreich werden Unterkunft und Verpflegung vom Staat zur Verfügung gestellt, es gibt ein Taschengeld von 40 Euro pro Monat. Das ist auch der Grund, warum Österreich aktuell keinen Anstieg an Asylwerbern aus Balkanländern – mit Ausnahme des Kosovo – zu verzeichnen hat.
Ansturm vom Balkan bringt Debatte um Asylmissbrauch
Plötzlich sind sie wieder präsent, zum Beispiel vor dem KaDeWe und anderen Kaufhäusern in Berlin: Gruppen von Balkan-typischen Männern offerieren hastige Hütchenspiele oder stellen mitleiderregend verkrüppelte Landsleute zum Betteln aus – offenbar mit Erfolg und immer auf Ausschau vor sich nähernder Polizei.
Mehr als das hatte zuvor schon die Statistik die Politik alarmiert. Die Zahl der Asylwerber in Deutschland hat sich drastisch erhöht, vor allem vom Balkan: So verdreifachte sich die Zahl Asyl suchender Serben von August auf September fast. Die für sie zuständigen deutschen Bundesländer sind überfordert.
Als Anlass gilt die jüngste Entscheidung des Verfassungsgerichts, dass Asylbewerber Anspruch auf die gleichen Staats-Leistungen wie Sozialhilfe-Empfänger haben. Damit bekommen Asylbewerber plötzlich 336 Euro bar auf die Hand. Am schnellsten reagierten darauf offenbar Bewohner der nicht visumpflichtigen Balkanstaaten.
"100-prozentigen Missbrauch von Asylrecht und Sozialleistungen", ortete Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann (CDU). Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) kritisierte das Verfassungsgericht und wurde auf EU-Ebene aktiv.
Das nehmen ihm Linke, Grüne und ihnen nahestehenden Flüchtlingshilfeorganisationen übel: Bei einer Demonstration in Berlin warfen sie Friedrich sogar "rassistische Hetze gegen Roma" vor. Der will sich davon nicht beirren lassen: In den vergangenen Jahren gab es auch kaum Asyl für Bürger vom Balkan. – Reinhard Frauscher, Berlin