Der "Magier" Hollande
Von Danny Leder
Wie konnte sich der vormalige Staatschef Frankreichs derartig irren? Noch Ende 2011 höhnte Nicolas Sarkozy über seinen damals angehenden sozialistischen Rivalen François Hollande, er sei „wie ein Stück Zucker, äußerlich solide wirkend, aber leicht zergehend".
Vorerst, also zehn Wochen nach Hollandes Amtsantritt, ist das Gegenteil der Fall: An dem unscheinbaren, rundlichen Brillenträger, dem Anzug und Krawatte oft verrutschen und die spärlichen Haarsträhnen immer wieder ins Gesicht flattern, scheinen alle Angriffe abzuprallen. Zumindest bisher ist die angesagte Kapitalflucht ausgeblieben. Frankreich muss auch nicht, wie befürchtet, überteuerte Prämien zahlen, um seine Schuldscheine auf den Finanzmärkten an den Mann zu bringen. Bei der letzten Ausgabe von französischen Staatsanleihen mit einer Laufzeit von sechs Monaten sank der Zinssatz erstmals in den Negativbereich. Die Anleger sind jetzt also sogar bereit, so wie im Falle Deutschlands, Verluste in Kauf zu nehmen, um ihr Geld an Frankreich verleihen zu dürfen.
Hollande konnte auch vorerst Gewerkschaftsführer und einen Teil der Unternehmerverbände in eine freundliche Erwartungsstarre versetzen, obwohl er ihnen allesamt außer widersprüchlichen Ansagen wenig geboten hat. Zuvor war es Hollande gelungen, Angela Merkel im Gezerre um den Euro in die Schranken zu weisen, ohne sie zu verprellen. Dabei hatte Sarkozy dem Sozialisten ursprünglich seine „Unerfahrenheit in internationalen Angelegenheiten" vorgehalten. Jetzt spricht der Blickkontakt zwischen Hollande und Merkel Bände: Der witzige Franzose amüsiert eine gelöste deutsche Kanzlerin, die sich in Anwesenheit von Sarkozy bestenfalls ein Krampf-Lächeln abringen konnte.
„Französischer Schröder“
Hollande beherrscht etwas, das der hektische Egomane Sarkozy im wahrsten Sinn des Wortes niemals „überzuckert“ hat: Ruhe ausstrahlen, sich zurücknehmen, anderen Raum bieten. Als Hollande französische und deutsche Spitzenunternehmer im Elysée zum Meinungsaustausch empfing, fiel der Kontrast zu seinem Vorgänger auf: „Das hatte nichts mit der Methode von Sarkozy zu tun, der andere kaum zu Wort kommen ließ, und alle von seiner Meinung zu überzeugen suchte. Hollande hört zu, macht Notizen, bittet um Präzisierung“, erzählte ein Teilnehmer dem Pariser Blatt Le Monde.
Er möge, so der Rat der Bosse, „der französische Schröder“ werden, also dem SPD-Kanzler nacheifern, der Deutschland für den Wettbewerb neu getrimmt hatte. Hollande blieb zwar diesen Ratgebern jede klare Antwort schuldig, er hinterließ aber nicht zuletzt durch selbstironische Bemerkungen einen wohltuenden, entspannenden Eindruck.
Die ironischen Einlagen drehten sich andeutungsweise um private Partnerschaftsprobleme. Jeder verstand die Anspielungen auf den Eifersuchtseklat, den sich die Lebensgefährtin von Hollande, die Journalistin Valérie Trierweiler, gegenüber seiner Ex-Partnerin, der SP-Politikerin Ségolène Royal, geleistet hatte.
Reserviert
Jacques-Alain Miller, Psychoanalytiker und brillanter Essayist des Magazins Le Point, sieht hinter diesem Eklat die „Undurchschaubarkeit“ und „jesuitische Reserviertheit“ von Hollande, die seine Frauen „verrückt“ mache. Dazu zitiert er ein seltenes Geständnis von Hollande gegenüber seinen Biografen (Antonin Andrée, Karim Rissouli: „L“homme qui ne devait pas être président“) : „Was ich tief empfinde, wissen selbst meine Kinder nicht. Ich bin sehr gesprächig, aber über das Wesentliche, über mich sage ich nichts, auch nicht zu Valérie. Ich glaube, dass sie darunter leidet.“
Vielleicht ist gerade diese Unabwägbarkeit der Schlüssel für das Vertrauen, das viele Franzosen zurzeit Hollande entgegenbringen. Wie man an einen Magier glauben mag, der sich nicht in die Karten schauen lässt. Aber wird diese Aura der anschwellenden Krise standhalten? Über Frankreich bricht gerade eine Welle von Betriebsschließungen und Entlassungen sondergleichen herein. In den nächsten zwölf Monaten wird mit 800.000 Kündigungen gerechnet. Erst dann wird sich zeigen, ob Sarkozy mit seiner verächtlichen Einschätzung von Hollande nicht doch recht gehabt hat.
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Hintergrund
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