Politik

Bessere Bildung ja – aber wer zahlt?

 

Prinzipiell einig sind sich Kanzler Faymann und Unternehmer Kapsch über eine gemeinsame Schule bis zum 14. Lebensjahr mit viel individueller Förderung. In den Fragen Studiengebühr und Steuerpolitik liegen aber Welten zwischen den beiden.

KURIER: Jeder vierte Pflichtschulabsolvent kann nicht gut lesen. Wie muss die Schule verbessert werden?
Werner Faymann: Jeder heutige Test spiegelt Versäumnisse früherer Jahre wider. Man kann noch nicht einschätzen, wie viel die Initiativen der jetzigen Unterrichtsministerin bringen, etwa zusätzliche Millionen für Sprachförderung. Dort muss es weitergehen. Wir wünschen uns auch ein zweites verpflichtendes Kinderbetreuungsjahr. Kinder unter fünf Jahren sind besonders aufnahmefähig. Die Zahl der Ganztagsschulplätze muss erhöht werden, der Unterricht sollte auf den ganzen Tag verteilt werden.

Verpflichtende Ganztagsschule für alle?
Faymann: Zuerst müssen wir das Angebot schaffen. Aufgrund unnötiger ideologischer Streitereien haben wir da Nachholbedarf.

In Wien hätte man das Angebot im Pflichtschulbereich ja längst schaffen können. Das ist Landessache.
Faymann: Moment, die meisten Ganztagsangebote gibt es ohnehin in Wien! Andere Bundesländer haben nachgeholt.

Herr Kapsch, leiden Unternehmen unter schlecht gebildeten Schulabsolventen?
Georg Kapsch: Die Allgemeinbildung sinkt insgesamt ab – auch jene von Universitätsabsolventen. Die größte Herausforderung haben wir aber in der Pflichtschule. Grundfertigkeiten werden vielfach nicht mehr beherrscht. Acht Prozent beenden ihren Bildungsweg nach der Pflichtschule, zwei Prozent schaffen nicht einmal diesen Abschluss. Das ist ein Alarmzeichen! Wir in der Industrie fordern breite Allgemeinbildung und dann, darauf aufsetzend, berufliche Ausbildung. Die heutigen Schulformen verlangen eine viel zu frühe Festlegung.

Sollen alle bis 14 in eine gemeinsame Schule gehen?
Kapsch: Wenn man nicht einfach die AHS-Unterstufe mit der Neuen Mittelschule mixt, sondern ein wirklich neues Konzept mit individueller Differenzierung macht, dann bin ich sofort dabei.
Faymann: Das Neue am Konzept muss sein, dass man zusätzlich die einzelnen Begabungen fördert – mit engagierten Lehrerinnen und Lehrern. Vom politischen Mitbewerber wird das als Einheitsbrei abqualifiziert. Aber das ist falsch.

Aber genau so eine Niveausenkung befürchten viele KURIER-Leser. Die SPÖ lehnt ja Leistungsgruppen ab.
Faymann: Überhaupt nicht. Die Unterrichtsministerin will Förderung in Kleingruppen.

 

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Aber das heißt ja nicht Leistungsgruppen.
Faymann: Es soll niemand bestraft werden, indem er seine Gruppe verlassen muss, weil er eine Leistung nicht erbringt. Aber er muss gefördert werden, bis er ein gewisses Niveau erreicht. Jedes Kind soll gleiche Chancen haben. Auch bei der dualen Ausbildung, auf die wir sehr stolz sind, will ich, dass Allgemeinbildung weiterhin eine Rolle spielt ...
Kapsch: ... wieder spielen sollte! Also A-Zug, B-Zug ist sicher nicht der richtige Ansatz. Wenn, dann muss es eine spezifische Förderung geben: Manche sind in Naturwissenschaften, andere wiederum in Sprachen besser. Und wenn Sie die frühkindliche Phase so wichtig finden, warum bezahlen wir dann gerade die Kindergartenpädagogen und -pädagoginnen so schlecht?

Humangenetiker Markus Hengstschläger hat im KURIER vorgeschlagen, den Mutter-Kind-Pass um Deutschlernen zu erweitern.
Faymann: Mir ist lieber, wenn das in den Bildungsjahren vor der Volksschule erfolgt.

Viele KURIER-Leser fragen aber auch nach der Verantwortung der Eltern.
Faymann: Natürlich gibt es eine Verantwortung der Eltern. Aber es gibt Familien, auch ohne Migrationshintergrund, mit Sprachproblemen. Dann hat das Kind dann einfach Pech gehabt? Von der Selber-schuld-Behauptung halte ich nichts.
Kapsch: Ich halte von Bonus-Malus-Systemen grundsätzlich nichts.

Die Lehrergewerkschaft behauptet, dass wir europaweit die am schlechtesten gebildeten Migranten haben. Überfordern wir die Schulen damit? Und holen wir die „richtigen“ Migranten?
Faymann: Die Wirtschaft holt immer mehr Saisonarbeitskräfte für Bau, Ernte und Tourismus – mit geringem Bildungsniveau und eher aus ländlichen Gebieten. Manche können selbst in ihrer eigenen Muttersprache nicht ausreichend lesen und schreiben. Umso stärker müssen wir die nächste Genera­tion fördern. Die gemeinsame Schule ist auch ein Beitrag gegen Segregation.
Kapsch: Die Unternehmen haben sich ursprünglich nur für die Ausbildung am Job verantwortlich gefühlt. Aber weil das Bildungssystem versagt, übernehmen wir in den Betrieben mittlerweile Bildungsaufgaben, um den Menschen lesen, schreiben und rechnen beizubringen – bis hin zu Benimmkursen.

Ist es ein Problem, dass wir zu wenig gut qualifizierte Zuwanderer anlocken?
Kapsch: Ja, das zeigt leider auch die bisher geringe Akzeptanz der Rot-Weiß-Rot-Card.

Wie verhindern Sie bei einer Gesamtschule eine Flucht der Mittelschicht in Privatschulen? Länder mit Gesamtschulen haben ja traditionell einen höheren Privatschul-Anteil als Österreich.
Faymann: Die Qualität öffentlicher Schulen muss stimmen.
Kapsch: Es geht ausschließlich um Qualität – deshalb brauchen wir auch mehr bilinguale Schulen.
Faymann: Wir sind uns da so einig, dass wir schon fast beim SPÖ-Parteitag gemeinsam auftreten könnten!
Kapsch: Aber es gibt andere Themen, wo man mich dort sicherlich sofort hinaustragen würde!
Faymann: Nein, die Sozialdemokratie ist eine sehr tolerante Gruppierung! (lacht) Um Geld für Schulreformen zu bekommen, brauchen wir ein neues Lehrerdienstrecht mit flacherer Gehaltskurve und höherer Stunden-Verpflichtung. Zusätzliche Einnahmen könnten aus einer Erbschaftssteuer kommen.
Kapsch: Das wird sich nicht ausgehen. Die SPÖ schlägt ja eine Freigrenze von einer Million vor. Da kommen nur 34 Millionen Euro heraus.
Faymann: Das an Deutschland angelehnte Modell brächte umgerechnet zwischen 400 und 500 Millionen. Wenn man einen so hohen Anspruch an Bildung, Pflege, Forschung stellt, dann muss man auch über zusätzliche Einnahmen reden.
Kapsch: Aber warum schaffen die Schweiz mit einer Abgabenquote von 30 und Deutschland mit 37 Prozent ein vergleichbares Niveau bei Gesundheit, Lebensqualität und Bildung? Unsere Abgabenquote beträgt über 42 Prozent, und die Kosten pro Schüler liegen 30 Prozent über dem OECD-Schnitt. Da muss doch etwas zu heben sein! Ganz wichtig für das Schulwesen ist auch noch etwas anderes: Pädagogen sollten die Chance auf einen Berufswechsel haben. Von der Wiege bis zur Bahre in der Schule zu verbringen, das muss der Vergangenheit angehören!

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Muss das Lehrer-Image besser werden?
Kapsch: Natürlich! Man darf nicht auf alle Lehrerinnen und Lehrer hinschlagen.
Faymann: Meine jüngere Tochter geht in eine ganztägige Schule, und da sehe ich großes Lehrer-Engagement. Konzentrieren wir uns nicht immer nur auf Negatives.

Wie zufrieden sind die Unternehmen mit den Hochschulabsolventen?
Kapsch: Mit der fachlichen Ausbildung sind wir zufrieden. Wenn man aber schaut, wer studiert, dann sind es vor allem die höheren Sozialschichten. Auch wenn die Fachhochschulen das ein wenig ausgleichen, hat sich daran nichts geändert. Was ein Beweis dafür ist, dass die Abschaffung der Studienbeiträge nichts gebracht hat.
Faymann: Aber die Einführung auch nicht. Vielleicht ist das Gebührenthema maßlos überschätzt.
Kapsch: Nein, das finde ich nicht. Natürlich darf es nicht sein, dass jemand aus sozialen Gründen nicht studieren kann. Eigentlich müsste die Sozialdemokratie für Studienbeiträge sein. Weil die Nutznießer der Abschaffung waren die finanziell Stärkeren.
Faymann: Zunächst: Die Studiengebühren werden den Unis bis 2013 refundiert, das sind rund 150 Millionen jährlich. In der SPÖ gibt es jetzt eine Arbeitsgruppe, die Vorschläge zu der Frage erarbeitet: Wie könnte ein Modell aussehen, das Studiengebühren für jene, die es sich leisten können, beinhaltet und gleichzeitig das Stipendienwesen ausbaut? Ich persönlich bin gegen Studiengebühren. Die Unis haben eine Menge Probleme. Studiengebühren sind da keine zentrale Frage.
Kapsch: Widerspruch: Bei einer halbwegs akzeptablen Gebühr – 1000 bis 1500 Euro von Inländern und EU-Staaten pro Jahr, 3000 bis 4000 Euro von Drittstaatsangehörigen – kommt ein Volumen von 200 bis 250 Millionen Euro heraus. Damit hätten Sie einen Gutteil des Geldes herinnen, das sie mittels Erbschaftssteuer wollen. Dieses Geld würde in die Kinder, auch im Sinne eines Erbes, investiert.
Faymann: Nein, Grund und Boden werden nicht vergleichbar mit anderen Ländern besteuert. Dafür heben wir beim gut verdienenden Arbeitnehmer ganz schön hohe Steuern ein. Soll der noch mehr zahlen? Gerechter wäre es, dort etwas zu holen, wo wir Schlusslicht sind: beim Immobilienhandel, den uralten Einheitswerten, beim Erben und bei Finanztransaktionen.
Kapsch: Sprechen Sie beim Thema Vermögenssteuer bitte von Substanzsteuer.
Faymann: Bei einer Vermögenssteuer soll es einerseits Freigrenzen von einer Million, andererseits auch Ausnahmen wie etwa für den Hauptwohnsitz geben.
Kapsch: Aber wer zahlt diese Steuer am Ende? Die Mieter! Die Gewinne auf Immobilien sind so gering, dass das nicht leistbar ist – außer, Sie verkaufen.
Faymann: Aber wenn jemand in der Vergangenheit mit Innenstadt-Immobilien große Gewinne gemacht hat, hat er ja auch nicht die Mieten gesenkt. Hier gibt es eine Entkoppelung zwischen großen Vermögen und Profit.
Kapsch: Wer die Vermögenssteuern im internationalen Vergleich erwähnt, muss dazusagen, dass wir höhere Ertragssteuern haben. Sie können mich nur bei der Grundsteuer überzeugen ...
Faymann: Und bei der Finanztransaktionssteuer!
Kapsch: Wenn das ein bis drei Länder tun, ist das sinnlos.
Faymann: Wir wollen mit neun beginnen.
Kapsch: Zu wenig.
Faymann: Das wäre aber so, wie wenn man sagen würde: Wir beginnen auch bei einem Umweltgesetz erst, wenn China dafür ist.
Kapsch: Schauen Sie sich bitte den Vorschlag der EU-Kommission zur Finanztransak­tionssteuer an: Der stützt wieder nur Hedgefonds und ist kontraproduktiv für die Realwirtschaft.
Faymann: Darüber werden wir noch miteinander diskutieren.

Neuer Vorstoß: Für eine gemeinsame Schule

SPÖ-Vorschläge Das SPÖ-Parteipräsidium hat einen Leitantrag für den Bundesparteitag am 13. Oktober abgesegnet. Darin wird gefordert, eine gemeinsame Schule "unabdingbar" in das nächste Regierungsprogramm aufzunehmen. Spätestens 2018 soll sie verwirklicht sein. Weitere Forderungen: flächendeckender Ausbau ganztägiger Betreuungseinrichtungen und ein neues Lehrerdienstrecht. Mehr Geld für Bildung erhofft sich die SPÖ aus neuen Vermögenssteuern.

Industrie-Vorschläge Der (seit Juni) neue Präsident der Industriellenvereinigung Georg Kapsch macht kein Hehl aus seiner Zustimmung zu einer gemeinsamen Schule bis 14. Die Industrie wünscht sich mehr individuelle Förderung und bessere Allgemeinbildung für alle. Einen Geldmangel im Bildungswesen sieht sie nicht, zu viel Geld versande in der Verwaltung, neue Steuern lehnt sie ab. Kapsch wünscht sich mehr Hochschulabsolventen und die Wiedereinführung der Studienbeiträge.