Politik

Beschneidung: Mehr als ein Stückchen Haut

Der schwerste Angriff auf jüdisches Leben in Deutschland seit dem Holocaust." So drastisch warnte der Präsident einer Konferenz orthodoxer Rabbiner nach mehrtägigen Beratungen vor dem Urteil des Kölner Landgerichtes, das die Beschneidung von Knaben als Körperverletzung verbietet. Pinchas Goldschmidt, Moskauer Rabbi, sieht bei Bestand des Urteils "keine Zukunft für Juden in Deutschland", die Beschneidung sei "die Grundlage des jüdischen Selbstverständnisses".

Ähnlich heftig sind die Reaktionen der muslimischen Gemeinschaft, und alle erhalten viel Unterstützung der christlichen Kirchen. Alle kritisieren die Kölner Richter, die über die missglückte Beschneidung eines Vierjährigen befinden mussten: Das Grundgesetz garantiert vorne die körperliche Unversehrtheit als Grundrecht, weiter hinten aber auch die Religionsfreiheit. Das Urteil versucht eine Balance: An Kindern wird die Beschneidung verboten, weil sie nicht nur Körperverletzung, sondern auch irreversibel sei. Erwachsene könnten sich dafür legal entscheiden. Das gilt jetzt zwar nur im Bezirk Köln, ist aber nur noch vor dem Verfassungsgericht anfechtbar.

Schmerzhaft

Das Urteil zwang die Ärzteorganisationen dazu, ihren Mitgliedern strikte von Beschneidungen abzuraten, weil sie damit straffällig würden. Bisher scheinen sich inklusive des Jüdischen Krankenhauses in Berlin alle daran zu halten. Ohnehin sind die Ärzte überwiegend, aber nicht alle, der Meinung des Gerichts: So argumentiert der Sprecher der Urologen, dass die Beschneidung für Säuglinge schmerzhafter sei als meist dargestellt. Auch habe sie hygienische und damit medizinische Vorteile nur in Entwicklungsländern, wo Waschen seltener sei. Die Ärzte gehören damit zu der Minderheit, die von einem aufgeklärten Staat verlangt, archaische Rituale zu unterbinden, wenn sie schaden.

Neues Gesetz

In der nun heftigen öffentlichen Debatte ist die Mehrheit für die Beschneidung: Gerade Deutschland könne es sich nicht leisten, Vorreiter in der Verletzung religiöser Gefühle zu sein. Die Empörung der jüdischen und muslimischen Vertreter darüber wird jeden Tag größer und emotionaler. Die unter Druck geratene deutsche Regierung lenkt nun ein. Man werde klarstellen, dass Beschneidungen von Knaben in Deutschland auch in Zukunft vorgenommen werden könnten, erklärte Regierungssprecher Seibert. Im Gespräch ist eine gesetzliche Regelung, wie sie auch Grüne und SPD vorschlagen.

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