Politik/Ausland

Zuckerhut und Peitsche: Brasiliens neuer Präsident polarisiert

Für einen seiner ersten öffentlichen Auftritte nach dem Wahlsieg in Brasilien hat sich Jair Bolsonaro ein Fußballstadion ausgesucht. Der künftige Präsident ist nach São Paulo gekommen, um den neuen Meister Palmeiras zu ehren.

Ein paar Wochen zuvor hatte der Ex-Fallschirmjäger und Anhänger der brasilianischen Militärdiktatur (1964-1985) einen Wahlkampf samt Messerattentat gegen ihn überstanden und gewonnen.

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Im Stadion gibt es Beifall und Buhrufe, wie immer, wenn der Rechtspopulist auftritt. „Mito, Mito“-Rufe sind zu hören (Mythos, Mythos), andere pfeifen ihn aus.

Einzeln treten die Meisterspieler vor und erhalten ihre Medaille. Dann kommt Mittelstürmer Willian und ignoriert die Hand des künftigen Präsidenten. Die Szenen von Anfang Dezember zeigen, wie gespalten das Land ist.

 

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Omnipräsent

Der Mann, der ganz Brasilien polarisiert, war im Wahlkampf kaum sichtbar und doch omnipräsent. Das hat seinen Grund: Ein offenbar geistig verwirrter Attentäter hatte Bolsonaro in den Bauch gestochen.

Es folgten Operationen und ein Wahlkampf vom Krankenbett aus, ohne TV-Debatte. Zugleich schnellten die Sympathiewerte für den Rechtspopulisten nach oben.

Bolsonaro, das Opfer, das war ganz nach dem Geschmack seiner Wahlkampfstrategen.

Sicherheit und Jobs

Mit der Opferrolle ist es zu Amtsantritt am 1. Jänner vorbei. Bolsonaro muss liefern. Die Liste jener, die Verbesserungen erwarten, ist lang.

Rund 63.000 Morde wurden 2017 in Brasilien gezählt. Die Wirtschaftsdaten brachen in den letzten Jahren trotz oder gerade wegen der von Ex-Präsident Lula da Silva nach Brasilien geholten Großereignisse Fußball-WM und Olympia ein, seit 2017 stabilisierte sich die Volkswirtschaft langsam. Die Menschen hoffen auf Jobs und Sicherheit.

Bolsonaro hat sich bisher als Kritiker des Systems ganz nach dem Vorbild von US-Präsident Donald Trump inszeniert. Und das, obwohl er selbst seit Jahrzehnten als Berufspolitiker im Abgeordnetenhaus sitzt.

Große Teile der brasilianischen Bevölkerung haben sich von den klassischen Parteien wegen Korruptionsskandalen abgewendet. Bolsonaro sammelte diese Frust-Stimmen. Sie erwarten nun einen Kurswechsel.

"Antifa"-Partys

Seine Gegner mobilisieren derweil die Straße: In Rio de Janeiro sind derzeit „Antifa“-Partys der große Trend der linken Musikszene. Unmittelbar vor der Wahl Ende Oktober luden Organisatoren zum „letzten Rave vor der Diktatur“. Im bevorstehenden Karneval soll Bolsonaro ein Thema werden.

Der designierte Präsident sagt, was er denkt. Und das ist mithin nicht immer konform mit den Menschenrechten.

So erwägt der Rechtspopulist die „gute Bevölkerung“ zu bewaffnen, um sie gegen die „böse Bevölkerung“ zu schützen. Noch mehr Waffen also in einem Land, in dem Gewalt und Kriminalität ohnehin aus den Fugen geraten sind.

Polizistin Katia Sastre ist in Brasilien ein kleiner Star. Populär hat sie ein Video gemacht: Ein Räuber geht in São Paulo mit gezogener Waffe auf eine Gruppe von Kindern und Müttern zu, die vor einer Grundschule warten. Auch Katia Sastre ist in der Gruppe, in zivil. Die Frau zieht ihre Waffe und schießt den Angreifer nieder. Die „Heldin“ wird anschließend ins Parlament gewählt.

Sie steht für jenen Teil der Brasilianer, die sich eine andere Sicherheitspolitik wünschen: „Die Bevölkerung, die auf der Seite der Guten steht, müssen wir bewaffnen, weil die Verbrecher schon bewaffnet sind. Ich bin mir sicher, dass wir damit die Sicherheit verbessern.“

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Sastre hat im Wahlkampf Bolsonaro unterstützt. Der will die Armee stärker in die Sicherheitsarchitektur des Landes einbauen und die Waffengesetze lockern.

NGO und Menschenrechtler sind entsetzt, doch zurzeit reitet Bolsonaro auf einer Welle der Zustimmung. Obwohl er für seine homophoben Sprüche („Lieber ein toter Sohn als ein schwuler Sohn“) und frauenfeindliche Tabu-Brüche („Du bist zu hässlich, um vergewaltigt zu werden“) bekannt ist.

Seit seiner Wahl versucht er sich an einem Imagewechsel: Er gibt sich gemäßigter und inszeniert sich als Macher.

NGOs im Visier

Doch die NGOs bleiben in Bolsonaros Visier: Er kritisiert die „Bußgeld-Politik“ für die Agrar-Industrie, verspricht die Öffnung von Indianerreservaten zur Ausbeutung von Rohstoffenund schickte die kubanischen Leiharbeiter-Ärzte zurück in ihre Heimat.

Damit inszeniert er sich als entschlossener Gegner der „Linksdiktatur“ in Kuba, aber auch in Venezuela und Nicaragua. Diesen werden ja außergerichtliche Hinrichtungen, Folter und Unterdrückung der Opposition vorgeworfen. Also jene Verbrechen, die auch der brasilianischen Militärdiktatur zur Last gelegt werden, die Bolsonaro öffentlich verehrt. Er hat den Spieß einfach umgedreht.