„Wir sind jetzt offiziell Terroristen“: Die Jagd auf die Muslimbrüder
Welche Strafe, glaubst du, krieg’ ich für das Logo der Muslimbruderschaft?“, fragt Hytham sarkastisch. Der junge Ägypter hat das Logo vor einigen Tagen zu seinem Facebook-Profilfoto gemacht. Am Freitag waren die frisch verlautbarten Strafmaße für Vergehen im Zusammenhang mit der – mittlerweile als Terrororganisation eingestuften – Bewegung der Muslimbruderschaft in aller Munde.
Eine Auswahl: Mehrjährige Haftstrafen für die Zugehörigkeit zu der Bewegung. Todesstrafe für Führungsmitglieder und Organisatoren von Protesten – sie droht auch Ex-Präsident Mursi. Fünf Jahre Haft für das Verwenden des Rabaa-Zeichens in sozialen Medien. (Eine Hand mit vier erhobenen Fingern steht für das arabische Wort rabaa, „die Vierte“. Am Rabaa-Platz wurden am 14. August mehr als 100 Menschen bei der Auflösung von Pro-Mursi-Protesten getötet, Anm.) Meldungen zufolge wurde auch eine Telefonhotline eingerichtet, bei der man Mitglieder der Bruderschaft anzeigen kann.
Anschlag
Die Muslimbruderschaft war am Dienstag von der ägyptischen Regierung als Terrororganisation eingestuft worden, nachdem bei einem Anschlag vor einer Polizeistation 14 Menschen getötet worden waren. Die Verantwortung übernahm eine andere Gruppe. Doch die vom Militär gestützte Regierung sieht die Muslimbrüder als die Drahtzieher des Anschlags.
„Sie hatten keine Beweise“, sagt der liberale Aktivist Ahmed Naguib zum KURIER. „Ich denke nicht, dass die Muslimbrüder den Anschlag verübt haben. Sie verlieren dadurch mehr als alle anderen.“ Stattdessen wolle er „nicht ausschließen, dass das Innenministerium dahintersteckt“, so Naguib. Für den Liberalen ist klar: „Wir gehen zurück zur Mubarak-Taktik.“
Dutzende Festnahmen
Die erste Verhaftungswelle ging am Freitag über die Bühne. Wegen „Zugehörigkeit zu einer terroristischen Vereinigung“ waren mindestens 54 Mitglieder der Organisation im ganzen Land festgenommen worden. Ihnen drohen mehrjährige Haftstrafen.
„Die Regierung versucht, die Bruderschaft in die Knie zu zwingen“, sagt Ahmed Naguib. Außerdem wolle sie durch Einschüchterung verhindern, dass zum dritten Jahrestag der Proteste, am 25. Jänner, neue Großdemonstrationen aus dem Revolutionslager organisiert werden.
Doch Naguib glaubt, dass die Verhaftungen nur noch mehr Unruhe bringen. Die Organisation will sich nicht einschüchtern lassen und rief am Freitag zur „Woche des Zorns“ auf.
Bald schon drohte die Situation zu eskalieren. In mehreren Städten kam es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Islamisten. Dabei gab es schon erste Todesopfer, mindestens vier Menschen kamen am Freitag ums Leben. In Nasr City, in der Nähe des Rabaa-Platzes, versammelten sich Hunderte Anhänger der Muslimbrüder. Hytham war auch dabei: „Polizisten in Zivilkleidung haben sich unter uns gemischt“, teilt er dem KURIER mit. „Sie feuern Tränengas und scharfer Munition.“ Und: „Wir sind jetzt offiziell Terroristen.“