Politik/Ausland

"Weg in den Brexit unumkehrbar"

Eine Woche nach dem EU-Referendum herrscht in der britischen Politik die große Ratlosigkeit. Niemand will so recht den roten Knopf drücken, also Artikel 50 des Lissabon-Vertrages aktivieren und den EU-Austritt Großbritanniens einleiten.

Die derzeitige Regierung von Premier Cameron will das ihren Nachfolgern überlassen. Die siegreichen EU-Gegner verabschieden sich immer deutlicher von ihren Versprechen wie dem Dichtmachen der Grenzen, und einige Minister denken laut über ein zweites Referendum nach. Schließlich sei das Parlament, in dem eine große Mehrheit deklariert gegen den Austritt ist, keineswegs an das Ergebnis der Volksabstimmung gebunden.

"Eher theoretische Spielereien", urteilt der britische Politologe Tim Bale gegenüber dem KURIER: "realpolitisch kaum durchsetzbar." Die britische Verfassung sei zwar aus historischen Gründen so unscharf formuliert, dass sie fast alles zulasse, aber "umso mehr geht es um politische Entscheidungen". Das Referendum habe eine "entscheidende Weiche gestellt: Der Weg in den Brexit ist unumkehrbar."

Neuwahlen noch heuer

Formal betrachtet hat die Volksabstimmung nur beratende Wirkung für die Regierung. Sie und auch das Parlament sind in keiner Weise an das "Nein" gebunden. Trotzdem: Eine Blockade des EU-Austritts wäre, so Bale, "theoretisch möglich, aber politisch kaum machbar".

Auch wenn die Parlamentsabgeordneten persönlich gegen den Brexit seien, wenn sich in ihren jeweiligen Wahlbezirken eine Mehrheit dafür entschieden habe, könnten sie sich schwer dagegen stellen. Der Premierminister wiederum könnte sich auch über das Parlament hinwegsetzen. Wenn man den EU-Austritt als internationalen Vertrag betrachte, könnten er und seine Regierung den auch ohne Parlament entscheiden. Doch Bale hält das für äußerst unwahrscheinlich: "Der Premier wird die Abstimmung im Parlament brauchen."

Das aber werde ohnehin neu besetzt. Der Politik-Experte rechnet mit Neuwahlen noch heuer. Erst dann würden die Positionen der Parteien zum Wie und Wann eines EU-Austrittes klar werden.

Einfach aus der Welt schaffen ließe sich das Referendum auf keinen Fall. "Wer so etwas den Bürgern zur Entscheidung vorlegt, kann das nachher nicht ignorieren. Sonst würde man Populisten wie Nigel Farage mit ihren Beschimpfungen der politischen Kaste nur recht geben."