Politik/Ausland

Flüchtlingskrise: Warum rechte Parteien profitieren

Chaos in Spielfeld", "Migranten durchbrechen Grenzsperren", "Flüchtlinge zünden Zeltlager an" – diese Schlagzeilen der Woche waren Wasser auf die Mühlen der rechtspopulistischen und rechtsextremen Parteien Europas und haben wohl weitere Bürger zwischen Wien und Stockholm noch mehr verunsichert beziehungsweise in ihrer Meinung bestärkt. Denn – auf Deutschland bezogen – meinte in einer aktuellen Umfrage weit mehr als die Hälfte, dass die Regierung unter Realitätsverlust leide und die Kontrolle über die Lage verloren habe.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel hält zwar gegen ausländerfeindliche Ressentiments ("Wir schaffen das"), doch gerät sie deswegen auch in den eigenen Reihen unter Druck. "Die Menschen merken, dass gerade etwas Großes passiert", auf das sie keinen Einfluss mehr hätten, analysiert der deutsche Politologe Timo Lochocki. Und er meint damit die Globalisierung und Europäisierung: "Die Flüchtlinge sind gewissermaßen nur ein Symbol für diesen Kontrollverlust."

Abstiegsängste

Damit einher gehe die Furcht der sozial Schwachen, die ohnehin knappen Mittel jetzt mit den Zuzüglern teilen zu müssen, und die Angst in Teilen des Mittelstandes vor dem Abstieg, führt Cornelia Koppetsch aus. "In Deutschland gibt es genug Arbeitslose, um die sich keiner kümmert, da gibt es keine ‚Lotsen‘, die helfen wollen", zitiert die Soziologin einen Satz, den sie oft höre.

"Wer diese Ängste nicht ernst nimmt, wird Wähler verlieren", sagt Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte. Folge: In Deutschland spülte die Flüchtlingskrise die ausländer- und EU-kritische "Alternative für Deutschland", die schon in der politischen Versenkung verschwunden war, wieder weit über die Fünf-Prozent-Marke – mit 7,5 Prozent würde sie leicht in den Bundestag einziehen.

In Österreich (Heinz-Christian Strache), Schweden (Jimmie Akesson) oder den Niederlanden (Geert Wilders) lachen die jeweiligen rechtspopulistischen Parteiführer von Platz eins der Umfrage-Grafiken. In Frankreich darf sich Marine Le Pen Hoffnungen bei der Präsidentschaftswahl 2017 machen. Und in Ungarn würde derzeit jeder Vierte für die rechtsextreme Partei Jobbik votieren.

Wobei die etablierte Politik gerade in der Flüchtlingsfrage im Dilemma sei, so Cornelia Koppetsch. Hierbei verwickle man sich "unweigerlich in Widersprüche. Einerseits kann man die Asylsuchenden ja nicht einfach verrecken lassen. Andererseits stellt sich das Problem, wie die Gesellschaft umgehen soll mit diesem Zustrom." Konkret schlägt sie vor, den Sozialstaat (wieder) auszubauen, um Verteilungsängste zu minimieren.

Timo Lochocki wiederum drängt die traditionellen Parteien, allen voran die konservativen, dazu, "die Meinungsführerschaft" über das Thema wiederzuerlangen. Und die Bevölkerung auch durch eine Politik der Symbole zu beruhigen – etwa durch mehr Polizei.

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Kommt nicht her“ – mit diesem Titel wird demnächst in den Medien von Jordanien, dem Libanon und der Türkei eine Kampagne gestartet. Die vielen syrischen Flüchtlinge in den dortigen Lagern sollen abgeschreckt werden, nach Schweden migrieren zu wollen. Unter anderem mit Berichten über das ungemütliche Wetter in Schweden. Finanziert wird dies von der rechtspopulistischen Oppositionspartei „Schwedendemokraten“ (SD), ihr Parteichef Jimmie Akesson sieht aktuell „die schwedische Gesellschaft vor der größten Katastrophe in jüngster Zeit“. Es drohe ein Kollaps des Wohlfahrtsstaates.

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Das skandinavische Land mit seinen neun Millionen Einwohnern ist dank der traditionell großzügigen Sozialpolitik nach Deutschland das beliebteste Ziel für Asylsuchende: Es kommen derzeit 2000 Flüchtlinge pro Tag an. Die SD, die sich für eine rigorose Flüchtlingsbegrenzung ausspricht, liegt in Umfragen derzeit bei 24 Prozent. Das ist doppelt so viel wie bei den Parlamentswahlen 2014. Selbstbewusst setzen sie die rot-grüne Minderheitsregierung unter Druck. Diese Woche forderte die Parteispitze eine Volksabstimmung über die Flüchtlingspolitik von Premier Stefan Löfven. Dieser konnte sich mit seinem Wunsch nach einem EU-weiten Umverteilungssystem von Flüchtlingen in Brüssel nicht durchsetzen und sucht nun einen inner-schwedischen Kompromiss. Das erste Resultat: Am Freitag verschärfte die Regierung die Asylbestimmungen. So wird eine befristete Aufenthaltserlaubnis eingeführt. Außerdem sollen Asylanträge schneller bearbeitet und abgewiesene Asylbewerber schneller zurückgeschickt werden.

Dämme gegen rechts brechen

Zurzeit werden trotz der herbstlichen Witterung in Schweden Großzelte aufgebaut, da es an Unterkünften mangelt. „Wir haben eine Verpflichtung, uns um die Flüchtlinge zu kümmern, es geht um Empathie, schlagen Sie einmal das Wort nach“, so der Sozialdemokrat Löfven bei einer Parlamentsdebatte. Löfven erinnerte zudem an die rechtsradikale Vergangenheit der SD – diese haben ihre Wurzeln in einer fremdenfeindlichen Bürgerinitiative Ende der 1970er-Jahre.

Auch deswegen wurde im vergangenen Jahr zwischen allen Parteien eine Vereinbarung geschlossen, keine Koalition mit den Rechtspopulisten einzugehen. Das Abkommen bröckelt jedoch. Diese Woche sagte sich die kleine Partei „Christdemokraten“ los. Auch innerhalb der ehemaligen konservativ-liberalen Regierungspartei „Die Moderaten“ gibt es Stimmen, die SD als Volkspartei zu akzeptieren. Dies hat der einflussreiche Arbeitgeberverband bereits getan und sich im September mit den Spitzen der SD getroffen, um diese für niedrige Steuern für Unternehmen zu erwärmen. Schließlich sind Neuwahlen angesichts der Minderheitsregierung stets möglich.

Auch die Abschreckungskampagne, die die Partei ebenso in Deutschland schalten wird, gilt als Wahlkampf. Bis zu 25 Prozent des Wahletats, etwa 12 Mio. Kronen (12,8 Mio. Euro), will die SD aufwenden. Der Pressesprecher der „Moderaten“, Per Nilsson, kritisierte dies – „die Schwedendemokraten sind auf dem Weg von einer Parlamentsformation zu einer steuerfinanzierten Kampagnen-Organisation.“

Der Wahlkampf war hart – und laut Umfragen vorab zeichnete sich bei den heutigen Parlamentswahlen in Polen die Totaldemontage der amtierenden Regierung unter Premierministerin Ewa Kopacz ab. Einzelne Umfragen gaben der regierenden PO gar nur mehr um die fünf Prozent. Klarer Sieger: Die nationalkonservative PiS von Jaroslaw Kaczynski. Der kandidiert zwar nicht auf der Liste (Listenerste ist Beata Szydlo), mischte im Wahlkampf aber ordentlich mit. Mehr noch: er gab den Ton an. Dabei zog er das gesamte rechtspopulistische Register. Vor allem angesichts der Flüchtlingskrise. Da warnte Kaczynski vor einer Überfremdung Polens. Wobei sich Premierministerin Kopacz gerade einmal zu einer Aufnahme von 7000 Asylwerbern durchringen konnte. Unterstützt wurde Kaczynski dabei von einer ganzen Reihe ultrakonservativer Medien.

Die PiS stellte bereits zwischen 2005 und 2007 die Regierung. Überschattet war diese Periode von einer ganzen Reihe an Skandalen und Skandälchen.