Warum Gorbatschow Werbung für Putin macht
Von Elke Windisch
Sichtlich genoss Michail Gorbatschow das Blitzlichtgewitter beim 25. Jahrestag des Mauerfalls in Berlin und die Zuneigung, die ihm als "Vater der deutschen Einheit" entgegenschlug. Zu Hause gilt er als Totengräber der Sowjetunion. Seine Kompromissbereitschaft bei der deutschen Einheit halten ihm seine zahlreichen Gegner in Russland vor, sei der Anfang vom Ende imperialer Größe gewesen, zu der Russland trotz aller außenpolitischen Erfolge Putins bisher nicht wieder aufgelaufen ist.
Der Phantomschmerz über den 1991 kollabierten Koloss auf tönernen Füßen setzt der Nation bis heute zu. Vor allem, weil sich die Dinge in der Ukraine nicht so entwickeln, wie die Mehrheit es sich wünscht. Zwar ist die Krim wieder russisch, vor einer Anerkennung der "Wahlen" in den Separatistenregionen dagegen schreckt Moskau zurück. Mehr noch: Gorbatschow, der in Berlin ein Ende der Sanktionen forderte und der sich am Montag im Gespräch mit der deutschen Kanzlerin Merkel für Verständnis für Putin einsetzen wollte, sei von Putin eigens geschickt worden, um Bereitschaft des Kremlchefs zur Deeskalation zu signalisieren, munkelt man in Moskau.
Unterhändler
Die wirklich spannende Frage ist ohnehin eine andere: Was denkt Gorbatschow wirklich über den Konflikt in der Ukraine, wie steht er zu Putin? Kritiker warfen ihm schon als Parteichef und Präsident häufig Wankelmut, Inkonsequenz und Konfliktscheue vor. Auch im Verhältnis zu Putin wechselte er mehrfach die Seiten. Mal nahm er ihn wegen offenkundiger Demokratiedefizite frontal auf die Hörner, mal ließ er alle fünf gerade sein. Einige erklärten das mit seinen missglückten Versuchen, eine sozialdemokratische Partei zu gründen und so das eigene Comeback zu versuchen. Das geht in Russland nur mit maßvoller Kritik am Führungspersonal. Andere glauben, Gorbatschow liege mit Putin zwar innenpolitisch im Streit, unterstütze aber dessen Außenpolitik. Vor allem Putins Bestrebungen zur Restauration des Imperiums, wozu ihm selbst Kräfte und Ressourcen fehlten.
Gorbatschow ist nicht der lupenreine Demokrat, als den der Westen und seine wenigen Getreuen in Russland ihn sehen. Er spricht von sich ausschließlich in der dritten Person, duzt russische Journalisten wie Schulbuben und duldet keinen Widerspruch. Mit dem Bad in der Menge hat er ebenfalls Probleme. Als er bei den Präsidentenwahlen 1996 gegen seinen alten Widersache Boris Jelzin antrat, der damals politisch schon dem Ende nahe war, bekam er ganze 0,5 Prozent.
Egal, wie alt Michail Gorbatschow heute aussieht: Erkennen wird man den heute 83-Jährigen immer an seinem Feuermal am Kopf. Der letzte Präsident der Sowjetunion ist mittlerweile nicht mehr derselbe wie zur Zeit des Mauerfalls, als er die Titelseiten der Welt beherrschte – Gorbatschow ist nun Politpensionär, von Krankheit und Alter gezeichnet und von seinen Meriten im 20. Jahrhundert zehrend. Doch seine Stimme bleibt noch immer einflussreich: Nach wie vor gilt er hierzulande als der Brückenbauer aus dem Osten, als das Gewissen Russlands, das an die Schrecklichkeiten des Kalten Krieges erinnert.
In seiner Heimat ist das Bild des letzten starken Mannes der UdSSR ein ganz anderes. Schon bald nach seiner Ablöse wandte sich die öffentliche Meinung gegen ihn; gegen jenen Mann, der das Sowjetimperium auf dem Gewissen habe. Die turbokapitalistischen Auswüchse der 1990er Jahre ließen das kommunistische Modell in trügerischem Glanz erscheinen, die Russen wollten ihm das Ende dieser Ära nicht verzeihen. Seine Verdienste um Russland und den ehemaligen Ostblock waren in seiner Heimat mehr als verblasst: 1996, als der Mann mit dem Feuermal am Kopf es nochmal als Präsident versuchen wollte, erhielt er nur 0,51 Prozent aller Stimmen.
Gorbatschow im Jahr 1991 mit seinem Außenminister Eduard Schewardnadse
Neuer Stil im alten Kreml
Sieben Jahre zuvor, im Wendejahr 1989, konnte man diese Entwicklung nicht einmal ansatzweise absehen. Gorbatschow, der Bauernsohn aus Südrussland, hatte zu diesem Zeitpunkt eine steile Karriere in der Kommunistischen Partei hinter sich – nach Jahren als Apparatschik in Stawropol war er mit Unterstützung Jurij Andropows, des damaligen KGB- und späteren ZK-Chefs, schnell ins Politbüro und damit in den engsten Zirkel des Kreml vorgedrungen. Junges Blut war damals auch bitter nötig. Die Führung des sowjetischen Imperiums war Anfang der 1980er alt und schwerfällig – und vor allem nicht mehr fähig, reformistische Bewegungen richtig einzuordnen. Das Sowjetimperium drohte an seiner Gerontokratie unterzugehen.
Gorbatschow brachte einen neuen Stil nach Moskau, und auch außerhalb der Grenzen der UdSSR hoffte man auf neue Töne aus dem Kreml. „I like Mr. Gorbachev. We can do business together“, soll der damalige US-Präsident Ronald Reagan über sein neues Gegenüber im Osten gesagt haben. Der mit 54 Jahren zweitjüngste Generalsekretär der KP-Geschichte setzte auch bald in die Tat um, was er versprach. Glasnost und Perestroika – Offenheit und Umbau – waren die programmatischen Schwerpunkte seines Tuns; dem öffentlichen Dtuck und wirtschaftlich maroden Situation der Supermacht geschuldet. Gorbatschow ließ Dissidenten wieder straffrei in die UdSSR einreisen, stellte die Zeichen auf Abrüstung und gestand den Ländern des Warschauer Paktes neue Freiheiten zu.
Demonstratives Einverständnis: Gorbatschow und Reagan
Entspannungspolitik à la Sinatra
Sprachlich bediente sich der Kreml dabei einer Metapher, die unrussischer nicht hätte sein können. „You know the Frank Sinatra song, ,I Did It My Way'? Poland and Hungary are now doing it their way. I think the ‚Brezhnev Doctrine‘ is dead“, zitierten US-Medien im Oktober 1989 den Sprecher des Außenministeriums. Breschnews Diktum, die Staaten des Warschauer Paktes hätten sich ohne Ausnahme dem Kreml zu fügen, hatte seinen traurigen Höhepunkt bekanntlich 1968 mit dem Einmarsch der Roten Armee in Prag gefunden. Gorbatschow setzte dem nun die „Sinatra-Doktrin“ entgegen – und ließ den einstigen Vasallenstaaten ihren Willen.
Die Folge war ein politisches Erdbeben, das vor allem in Ostdeutschland spürbar war. Die dortige SED-Führung widersetzte sich dem neuen Kurs aus Moskau zwar, verfolgte sogar ihr eigenes Modell des Sozialismus, doch die Bevölkerung der DDR widersetzte sich der Honecker und seinen Getreuen. Im Herbst 1989 setzte schließlich eine Massenflucht ein, die die Randstaaten des Ostblocks komplett destabilisieren sollte – Ungarn öffnete seinen Grenzen nach Österreich, abertausende Menschen flohen von Ostdeutschland über diesen Weg in den Westen. Am 9. November 1989 sollte dann, als letztes Symbol der Trennung, die innerdeutsche Mauer endgültig fallen.
Diese Entwicklung hatte Gorbatschow vorausgesehen, wenn nicht gar intendiert, wie er selbst sagte. Kurz vor dem Mauerfall soll er Erich Honecker noch gewarnt haben, nicht in Untätigkeit zu verharren: „Das Leben verlangt mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“ Ein Zitat, das es in die Chroniken geschafft hat.
Ein Bruderkuss, als die Zeiten noch besser waren: Honecker und Gorbatschow 1986
Dem Umsturz folgt der eigene Fall
Den Mauerfall selbst hat Gorbatschow laut eigener Aussage verschlafen. Es sei auch nicht nötig gewesen, ihn dafür zu wecken, die Haltung des Kreml in dieser Sache sei schließlich klar gewesen, meinte er später. Auch 1990, als die baltischen Republiken nach und nach begannen, ihre Unabhängigkeit erklärten, blieb der letzte Präsident der Sowjetunion bei seinem Kurs – und ebnete gemeinsam mit Helmut Kohl die Wiedervereinigung Deutschlands. „Das geteilte Deutschland ist eine Zeitbombe gewesen. Damit hat Europa auf Dauer nicht leben können.“
Russland hingegen wollte mit ihm nicht länger leben. Im August 1991 wurde gegen Gorbatschow geputscht, unter der Führung des damaligen KGB-Chefs, des Innen- und Verteidigungsministers sowie des Premiers. Das letzte Aufbäumen der Sowjetherrschaft, die den Niedergang des kommunistischen Riesenreiches nicht akzeptieren wollte, sollte aber nur zwei Tage dauern. Der Putsch scheiterte am Widerstand der Bevölkerung und an Boris Jelzin – der damalige Präsident der russischen Teilrepublik stellte sich am Höhepunkt des Aufstandes gar auf einen Panzer, um mit einem Megaphon gegen die Putschisten zu wettern.
Nach dem Putsch war Jelzin der neue starke Mann - Gorbatschow hatte ausgedient
Die Sowjetunion zu Grabe getragen
Gorbatschow war damit aber am Ende seiner Ära angelangt – er war von Jelzin entmachtet worden, als letztes Symbol der Sowjetunion gebrandmarkt. Der noch junge Jelzin ließ die KPdSU verbieten, versetzte den letzten Präsidenten des Sowjetreichs somit in einen Status der völligen Handlungsunfähigkeit. Am 25. Dezember 1991 erklärte Gorbatschow dann auch formal seinen Rücktritt – und damit das Ende der 69 Jahre herrschenden Sowjetmacht.
Dass der heute 83-Jährige mit seinem Wirken und seinem zeitgerechten Rückzug eine unblutige Revolution ermöglicht hat, dankt ihm heutzutage kaum jemand in Russland, auch die Verleihung des Friedensnobelpreises konnte daran nicht viel ändern. Zu sehr ist sein Name mit der Aufgabe der Macht verbunden, die auch Präsident Putin heute immer wieder beschwört. Russland habe erst unter seiner Ägide wieder den Weg zurück zur Supermacht gefunden, so das Diktum des jetzigen russischen Präsidenten – dass die Demokratie da gern auf der Strecke bleibt, scheint daneben unerheblich.
Zwiespätiges Verhältnis: Der einstige Präsident der UdSSR und der jetzige russische Staatschef
Wechselhafte Töne
Gorbatschows Verbindungen zu Putin waren deshalb auch lange Zeit von Skepsis geprägt, nicht zuletzt die finanzielle Unterstützung für das regierungskritische Blatt Novaja Gazeta zeugte davon. Dessen autokratischer Stil war ihm lange Zeit ein Dorn im Auge, 2011 riet er Putin sogar öffentlich, seinen Hut zu nehmen. Erst mit Ausbruch der Ukraine-Krise änderte sich dies, die Töne des Ex-Präsidenten seinem De-facto-Nachfolger gegenüber wurden seither deutlich milder – man sagt ihm sogar nach, mit Putin gemeinsame Sache zu machen. Unermüdlich weist Gorbatschow darauf hin, dass der Konflikt nur eines zur Folge habe, nämlich die „Zerstörung des gemeinsamen Hauses Europa“. Dass ihm davor graut, ist aber nur verständlich. Schließlich wäre damit auch sein Lebenswerk zerstört – von dem er ja bis heute zehrt.