Wahlmanipulation? Kirgistan droht dritte Revolte in 15 Jahren
Zwei Präsidenten wurden in den vergangenen 15 Jahren in Kirgistan bereits durch Revolten gestürzt, nun könnte es in dem strategisch wichtigen, zentralasiatischen Land neuerlich zu einem Umbruch kommen.
Nach teils gewalttätigen Protesten in mehreren Städten erklärten Oppositionsgruppen am Dienstag, wichtige Regierungsgebäude in der Hauptstadt Bischkek unter ihre Kontrolle gebracht zu haben. Ex-Präsident Almasbek Atambajew sei aus der Haft befreit worden, zu der er erst im Juni wegen Korruption verurteilt worden war.
Regierungsnahe Wahlsieger
Auslöser der Unruhen mit Hunderten Verletzten und mindestens einem Toten waren die Parlamentswahlen vom Sonntag, die laut Opposition manipuliert wurden. Auch ausländische Beobachter sprachen von Unregelmäßigkeiten. Informationen der BBC zufolge schafften nur vier der 16 angetretenen Parteien den Einzug ins Parlament, drei davon haben Verbindungen zur Regierung. Wie diese verfolgen sie eine pro-russische Politik.
Mehrere Provinzgouverneure traten örtlichen Medien zufolge angesichts der Proteste zurück, Dienstagabend folgte Premierminister Kubatbek Boronow. Als neuer Regierungschef wurde der erst am Vortag von Demonstranten aus dem Gefängnis freigelassene Politiker Sadyr Schaparow gewählt.
Präsident Sooronbai Scheenbekow sprach von einem Putschversuch und zeigte vorerst keine Anzeichen, abdanken zu wollen. Allerdings wies er die Sicherheitskräfte nach eigenen Angaben dazu an, nicht auf Demonstranten zu schießen.
Die Wahlkommission annullierte zudem laut Medienberichten das umstrittene Wahlergebnis – wohl um Druck aus der Lage zu nehmen.
Die Opposition diskutierte über die Bildung einer provisorischen Regierung.
Spielball der Interessen
Die Ex-Sowjetrepublik Kirgistan grenzt an China, ist ein enger Verbündeter Russlands und damit auch für die USA interessant. In dem bitterarmen Hochgebirgsland gibt es bis heute einen russischen Luftwaffenstützpunkt.
Die Gründe für den aktuellen Unmut in der Bevölkerung liegen nicht nur bei der Wahl, sagte die kirgisische Politologin Elmira Nogojbajewa der Deutschen Presse-Agentur. Neben Sehnsucht vieler Menschen nach Stabilität und Wohlstand gebe es auch eine große Angst wegen der Coronakrise. Kirgistan zählt inzwischen rund 50.000 Infektionsfälle und mehr als 1.000 Tote.
Kein Geld für Medikamente
Viele Menschen können sich Medikamente oder ärztliche Hilfe nicht leisten, weil die Arbeitslosigkeit extrem hoch ist. Mehr als eine Million Kirgisen leben als Gastarbeiter im Ausland und können wegen Arbeitsausfall kein Geld in die Heimat schicken.
„Die Proteste sind auch eine Botschaft an die Regierung, mehr zu tun“, sagte die Expertin. „Es gibt Korruption und Vetternwirtschaft im Staat. Die Regierung ist nicht effektiv und praktisch eine Marionette von herrschenden Clans.“ Die politische Situation sei im Moment sehr chaotisch. „Es ist schwer vorherzusagen, in welche Richtung das Land nun steuert: von Bürgerkrieg bis echten demokratischen Veränderungen ist alles möglich.“